Neuburger Rundschau

Herrlich verpasst sein Debut

Der FCA-Trainer wird beim Re-Start gegen den VfL Wolfsburg nicht auf der Bank sitzen, weil er gegen die Hygienevor­schriften der DFL verstoßen hat

- VON ROBERT GÖTZ

Augsburg Dass der Neustart der Bundesliga unter außergewöh­nlichen Umständen stattfinde­t, zeigt sich auch bei der Spieltagsp­ressekonfe­renz des FC Augsburg vor dem Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg am Samstag (15.30 Uhr). Erstmals findet sie virtuell statt. Die Journalist­en sind per Livestream zugeschalt­et. In dem kleinen PKRaum, der vor genau zwei Monaten, als Heiko Herrlich als Nachfolger von Martin Schmidt vorgestell­t wurde, überfüllt war, sitzen nur der neue Trainer und FCA-Pressespre­cher Dominik Schmitz. Mit genügend Sicherheit­sabstand und durch eine Plexiglass­cheibe getrennt.

Das gehört genauso zu dem ausgeklüge­lten Hygienekon­zept, mit dem die DFL die Politik überzeugt hat, trotz Corona den Spielbetri­eb wieder aufnehmen zu dürfen, wie die Spiele ohne Zuschauer und wie die einwöchige Quarantäne der Mannschaft­en vor der Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebs. Der FCA hat sich dazu in seinem Mannschaft­shotel in Bobingen (Lkr. Augsburg) nur wenige Autominute­n südlich der WWK-Arena einquartie­rt und soll sich nach DFL-Vorgaben so weit wie möglich von der Außenwelt abschotten.

Doch so einfach ist das mit der Isolation in der Praxis nicht, wie Herrlich am Donnerstag freimütig erzählte, dass er das Hotel verlassen hatte, um sich Hautcreme und Zahnpasta zu kaufen. „Wir sind im Hotel in Quarantäne und sollen da eigentlich auch nicht rausgehen, aber es gibt halt Situatione­n, die es einfach erfordern.“Und dann beschrieb er detaillier­t seine Schwierigk­eiten mit den Corona-Regeln beim Einkauf mit Maske und Einkaufswa­gen. Dass er seinen Mundschutz auf dem Zimmer vergessen hatte und umkehren musste. Dass er zuerst glaubte, dass er nicht unbedingt einen Einkaufwag­en brauchte und von der Verkäuferi­n wieder aus dem Laden geschickt wurde. Dass er erst seinen 20-Euro-Schein für das nötige Ein-Euro-Stück wechseln lassen musste. Dass er dann aber noch einmal gedankenve­rloren ohne Wagen ins Geschäft ging. Und dass er am Ende froh war, dass ihn die Verkäuferi­n trotz FCA-Trainingsa­nzug hinter seiner Gesichtsma­ske nicht erkannt hatte. Herrlich: „Die hätte sich auch gedacht, was haben wir da für einen Trainer geholt.“

Auf jeden Fall einen, der wohl nicht daran gedacht hat, dass es besser gewesen wäre, sich die Besorgung von jemand anders erledigen zu lassen. Doch Herrlich ist nach

Wochen der Abstinenz nur noch auf Fußball fixiert.

Am Abend zieht Herrlich dann die Konsequenz­en aus seinem Fehlverhal­ten. In einer Pressemitt­eilung gibt der FCA bekannt, dass Herrlich gegen Wolfsburg nicht auf der Bank sitzen wird. „Ich habe einen Fehler gemacht, indem ich das Hotel verlassen habe. Auch wenn ich mich sowohl beim Verlassen des Hotels als auch sonst immer an alle Hygienemaß­nahmen gehalten habe, kann ich dies nicht ungeschehe­n machen. Ich bin in dieser Situation meiner Vorbildfun­ktion gegenüber meiner Mannschaft und der Öffentlich­keit nicht gerecht geworden“, wird Herrlich zitiert. „Ich werde daher konsequent sein und zu meinem Fehler stehen. Ich werde aufgrund dieses Fehlverhal­tens das Training morgen nicht leiten und die Mannschaft auch nicht am Samstag im Spiel gegen Wolfsburg betreuen.“Damit verpasst er zum zweiten Mal sein Debut. Anscheinen­d ist man damit auch einer Interventi­on der

DFL zuvor gekommen. Weitere Konsequenz­en scheint es aber nicht zu geben. Der FCA teilte mit, dass in den nächsten Tagen weitere Corona-Tests durchgefüh­rt werden und dass Herrlich nach zwei negativen Testergebn­issen seine Trainingsa­rbeit wieder aufnehmen wird. Wer am Samstag das Kommando auf der Bank führen wird, ließ der FCA noch offen. In Frage kommen die beiden Co-Trainer Jonas Scheuerman­n und Tobias Zellner.

Dass Herrlich selbst so lax mit den Vorschrift­en umgegangen ist, verwundert. Schließlic­h hat er als Trainer eine besondere Vorbildfun­ktion und er gehört selbst zur Risikogrup­pe. Sein Immunsyste­m ist vorbelaste­t, seit er 2000 als Stürmer von Borussia Dortmund an einem Gehirntumo­r erkrankte. Eine Woche vor der Diagnose trifft er noch gegen die Bayern. Aber in der zweiten Halbzeit sieht er alles doppelt, kann die Bälle nicht mehr richtig einschätze­n. Er muss zum Kernspin. Die Diagnose: Er hat einen bösartigen Tumor. Er findet Halt in seinem Glauben. Und hat Glück. Der Tumor reagiert auf die Bestrahlun­g und verschwind­et.

2004 beendet der fünffache Nationalsp­ieler, der mit Dortmund zweimal deutscher Meister wurde, die Champions League und den Weltpokal gewann, seine Karriere. Als Trainer arbeitet in Bochum, Unterhachi­ng, steigt mit Regensburg in die 2. Liga auf, geht nach Leverkusen, wo er 2018 zwei Tage vor Weihnachte­n entlassen wird.

Bei Bayer ließ er oft im 4-2-3-1-System dominanten Fußball spielen. Den will er auch beim FCA im Rahmen der personelle­n Möglichkei­ten einführen. Seine Startelf hatte er schon im Kopf. Darüber sprechen wollte er noch nicht. Er wollte Wolfsburg im Unklaren lassen, ob Tomas Koubek oder Andreas Luthe im Tor stehen wird, ob Alfred Finnbogaso­n am Knie verletzt ist und eventuell gar nicht spielen kann. Er wollte mit einem Sieg seine Mission Klassenerh­alt beginnen. Jetzt kann er nur zuschauen und hoffen, dass seine Spieler seine Ideen umsetzen können.

Am Donnerstag hatte er noch um Nachsicht gebeten, wenn die Spieler es am Samstag mit den Hygienereg­eln beim Torjubel nicht so genau nehmen: „Falls es aus der Emotion heraus, der Leidenscha­ft und Freude doch passiert, dann darf man das dem Spieler nicht vorwerfen. Wenn wir dann anfangen, das zu kontrollie­ren und in den Medien zu zeigen und das denunziere­n, dann sind wir in einer Sackgasse.“Er selbst zog jetzt seine Konsequenz­en.

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Foto: Ulrich Wagner „Ich bin ja nicht Trainer geworden, um in Kleingrupp­en Passformen zu üben.“Heiko Herrlich freut sich, dass endlich richtig Fußball gespielt wird.

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