Auf der Suche nach der Dunkelziffer
Wie viele Menschen hatten das Coronavirus schon, ohne es zu wissen? In Italien startet die Regierung jetzt eine große Antikörper-Studie mit rund 150 000 Teilnehmern
Rom Italien ist eines der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder in Europa. 230 000 Menschen haben sich nach offiziellen Angaben mit Sars-CoV-2 angesteckt, rund 33 000 Menschen sollen an der Krankheit gestorben sein. Das sind die offiziellen Zahlen. Weil es aber insbesondere an der Zahl der tatsächlich Infizierten Zweifel gibt, haben die italienische Regierung und die Statistikbehörde Istat nun eine umfassende Antikörper-Studie gestartet.
Seit Montag rufen freiwillige Mitarbeiter des Italienischen Roten Kreuzes bei Bürgern im ganzen Land an, um sie zu befragen und zu einem Antikörper-Test zu bewegen. Der Bluttest gibt dann Aufschluss darüber, ob die Testperson Antikörper gegen das Coronavirus im Blut hat und möglicherweise gar nichts von der eigenen Infektion mitbekommen hat. So will man das Ausmaß der sogenannten asymptomatischen Infektionen erkennen.
Das Istat hat 150000 Testpersonach verschiedenen Kriterien wie Geschlecht, Alter, Beruf und Wohnort ausgesucht. Italien hat 60 Millionen Einwohner, von der Untersuchung würde also jeder 400. Italiener erfasst. Den Behörden zufolge ist das ausreichend, um einen guten Überblick über die tatsächliche Ausbreitung der Corona-Infektion in Italien zu bekommen. Die Ergebnisse könnten dann in mehrerer Hinsicht verwendet werden.
Zum einen würde klarer, wie viele Italiener sich tatsächlich bereits mit Covid-19 angesteckt haben. Über die Dunkelziffer der tatsächlichen Infektionen, über die es heute nur Schätzungen gibt, könnten die Behörden so mehr Klarheit bekommen. Aufschlussreich könnte die Studie auch im Hinblick auf die reale Ausbreitung der Infektion bei den verschiedenen Alters- oder Berufsgruppen sein. Hilfreich wäre dies insbesondere im Hinblick auf neue, zu erwartende Ausbrüche. Schließlich könnten die italienischen Zahlen mit den Untersuchungen in anderen Ländern verglichen werden. Spanien beispielsweise kündigte bereits im April eine Antikörperstudie mit 90000 Testpersonen an. In Deutschland will das Robert-KochInstitut ab September 30000 Menschen auf Sars-CoV-2 untersuchen lassen.
Das Ergebnis der italienischen Studie soll in einigen Wochen vorliegen. 7000 Helfer des Roten Kreuzes hätten bereits seit Montag mit telefonischen Befragungen begonnen. Den Teilnehmern wird der Schutz ihrer Anonymität zugesichert, die Teilnahme sei nicht verpflichtend. Mit einer intensiven Werbekampagne, darunter Werbespots in Fernsehen und Radio, werben Gesundheitsministerium und Istat für die Studie. „Wie können wir die Epidemie besser bekämpfen?“, heißt es in einem TV-Spot. „Indem wir sie besser kennenlernen“, lautet die Antwort. Eine simple Blutentnahme genüge, um festzustellen, ob die Testperson Antikörper entwickelt habe.
Die 150000 Testpersonen aus mehr als 2000 italienischen Gemeinden sollen sich vor Ort in ausgesuchte Labore zur Blutentnahme begenen ben. Getestet werden sollen 30000 Einwohner der Lombardei, der am stärksten von der Pandemie betroffenen Region in Italien. Es folgen das Veneto mit 13000 Testpersonen, die Emilia-Romagna mit 12000. Kampanien, Latium und Sizilien sollen jeweils 11000 Menschen stellen. Fällt der AntikörperTest positiv aus, soll die betroffene Person in Quarantäne kommen, bis ein Nasen- oder Rachenabstrich Aufschluss über eine gegenwärtige Infektion und die daraus resultierende Ansteckungsgefahr gibt.
Die Statistikbehörde Istat hat in den vergangenen Wochen zudem eine Befragung bei 3000 Italienern über die Veränderung ihrer Gewohnheiten im Zuge der CoronaEpidemie durchgeführt. Danach waschen sich die Italiener inzwischen durchschnittlich zwölf Mal am Tag die Hände, fünf Mal wird Desinfektionsmittel auf die Hände aufgetragen. 16,5 Prozent sagen, dass sie sich sogar 20 Mal täglich die Hände waschen. Und: Neun von zehn Italienern gaben an, auf der Straße Mundschutz zu tragen.