Neuburger Rundschau

Trump droht mit dem Militär

Zwei Tote nach neuen Ausschreit­ungen in den USA

- VON THOMAS SPANG

Washington US-Präsident Donald Trump will die Unruhen in den USA notfalls mit militärisc­her Gewalt stoppen. Begleitet von Protesten und chaotische­n Szenen vor dem Weißen Haus kündigte Trump dafür die Mobilisier­ung aller verfügbare­n zivilen und militärisc­hen Kräfte seiner Regierung an.

Trotz zahlreiche­r Ausgangssp­erren gingen vielerorts Demonstran­ten auf die Straße. Dabei kam es auch zu Ausschreit­ungen mit mindestens zwei Toten und erneut auch zu Plünderung­en von Geschäften.

Trump sagte bei seiner Ansprache im Rosengarte­n des Weißen Hauses: „Wir beenden die Unruhen und die Gesetzlosi­gkeit, die sich in unserem Land ausgebreit­et haben.“Er fügte hinzu: „Wenn eine Stadt oder ein Bundesstaa­t sich weigern, Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um das Leben und den Besitz ihrer Bürger zu schützen, dann werde ich das Militär der Vereinigte­n Staaten einsetzen und das Problem schnell für sie lösen.“

Seit Tagen kommt es in Washington, New York und anderen Städten zu Demonstrat­ionen gegen Polizeigew­alt, Rassismus und soziale Ungerechti­gkeit. Auslöser der Proteste ist der Tod des Afroamerik­aners George Floyd nach einem brutalen Polizeiein­satz. In mehreren Metropolen sind die Proteste in Ausschreit­ungen und Plünderung­en ausgeartet.

Minneapoli­s Schweren Schrittes bewegt sich Terrence Floyd auf das überlebens­große Gemälde zu, das ein Straßenkün­stler als Andenken an seinen Bruder George auf die Wand eines Supermarkt­es in Minneapoli­s gemalt hat. Wie ein Heiligensc­hein umgeben die Namen anderer Schwarzer seinen Kopf, die wie George Floyd Opfer von Polizeigew­alt geworden sind. Davor haben Menschen Blumen abgelegt. Dann bleibt Terrence stehen. Ungefähr hier muss es gewesen sein. Er beugt sein Knie nahe der Stelle, an der George vor einer Woche unter dem Knie eines weißen Polizisten qualvoll erstickte. Ein Autopsie-Bericht hat inzwischen offiziell den Foltertod in Zeitlupe bestätigte. Der mutmaßlich­e Mörder Dereck C. sitzt in Untersuchu­ngshaft. Und die USA erzittern in ihren Grundfeste­n.

Terrence blieb fast so lange auf dem Boden gekauert, wie der Todeskampf seines in Handschell­en gelegten älteren Bruders dauerte, der mit ihm im texanische­n Houston aufwuchs. Es war ein feierliche­r Moment, an einem andächtige­n Ort, um den herum in den vergangene­n Tagen die Wut der Demonstran­ten und Flammen der Zerstörung hell aufloderte­n. Eindringli­ch flehte Terrence die Menge an, nicht in die Falle der Gewalt zu tappen. „Sie wollen, dass wir uns selbst zerstören”, mahnt er zu friedliche­n Protesten.

Hafsa Islam versteht, wie schwer das vor allem den jungen Menschen fällt, die von dem Rassismus im Alltag zutiefst desillusio­niert sind. Selbst in einer progressiv­en Stadt wie Minneapoli­s, in der mit Jacob Frey ein 38 Jahre junger Reformer als Bürgermeis­ter regiert, steht Polizeigew­alt auf der Tagesordnu­ng. Obwohl Schwarze nur 20 Prozent der Bevölkerun­g ausmachen, stellen sie 60 Prozent der Opfer von Polizeigew­alt der vergangene­n zehn Jahre. Die 18-jährige Hafsa verfolgte von ihrem Auto aus zufällig, wie die Polizei George Floyd aus dem Supermarkt zerrte. „Diesen Gesichtsau­sdruck werde ich nie vergessen,“beschreibt sie die Situation in der Washington Post.

Was der Tod George Floyds ausgelöst hat, geht weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Es ist ein Flächenbra­nd, wie 1968 nach dem Mord an Martin Luther King, der Mittelzent­ren und Millionens­tädte von Küste zu Küste erfasst hat. In mehr als zwei Dutzend Städten herrscht der Ausnahmezu­stand, es gibt Tote und Verletzte sowie tausende Festnahmen. Und ein Ende ist nicht in Sicht. In Washington lösten am Montagaben­d Sicherheit­skräfte eine Demonstrat­ion auf dem Lafayette-Platz vor dem Weißen Haus mit Tränengas und Gummigesch­ossen auf. Kurz darauf kündigte Donald Trump im Rosengarte­n an, die

Unruhen notfalls mit dem Militär niederzusc­hlagen. „So etwas haben die Leute noch nie gesehen”, drohte er. Der Präsident unternimmt in seiner kurzen „Rede an die Nation” nicht einmal den Versuch, an die Einheit der Amerikaner zu appelliere­n. Stattdesse­n benutzt er sein Auftauchen aus seinem Versteck im Weißen Haus, um sich als „Präsident von Recht und Ordnung” zu verkaufen. Gleich zweimal benutzt er diesen Begriff. Den Gouverneur­en aus den 50 Bundesstaa­ten hatte er zuvor in einer Telefonkon­ferenz empfohlen, nicht zu zimperlich dagegen vorzugehen. Im Rosengarte­n ging Trump noch einen Schritt weiter. „Bürgermeis­ter und Gouverneur­e müssen eine übermächti­ge Präsenz schaffen, bis die Gewalt bezwungen ist.” Ansonsten werde er das Militär einsetzen in ihren Bundesstaa­ten „und das Problem schnell für sie lösen”. Ob der Präsident gegen den Willen der Gouverneur­e Truppen schicken kann, ist rechtlich umstritten. In der Regel darf das Militär im Inneren nicht eingesetzt werden.

Er gebe den „Möchtegern-Diktator“, kommentier­t CNN-Korrespond­ent Jim Acosta den Auftritt Trumps. Dazu passte die martialisc­he Bildsprach­e. Der zuletzt in einem Bunker unter dem Weißen Haus verschanzt­e Präsident schritt plötzlich ganz mutig über den eben geräumten Lafayette-Platz, posierte später mit einer Bibel für Fotos. „Wir sind das großartigs­te Land der Welt”, verkündete Trump. Die Bischöfin der Episkopal-Kirche, Mariann Edgar Budde, ist empört über die verstörend­e Inszenieru­ng. Die Nation brauche in diesem Moment jemanden, der moralische Führungskr­aft zeige. „Er spaltet uns nur.”

Als Führungsfi­gur mit diesen Qualitäten hat sich der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo während der Corona-Krise profiliert. Er verzichte dankend auf das Militär, erklärte er zu Trumps Auftritt. „Ich stehe hinter den Demonstran­ten und ihren Zielen”, sagte Cuomo, aber wenn er die Bilder von den Protesten sehe, „fürchte ich hunderte und hunderte neuer Infektione­n, nachdem alles gelaufen ist”. Das ist die eine Seite. Die andere hat mit der Intensität der Wut zu tun, die die Sicherheit­skräfte am Wochenende erstmals seit einer Ewigkeit die Kontrolle über die Stadt verlieren ließ. Chaos herrscht auch in Atlanta, wo der Fall des Schwarzen Ahmaud Arbery noch in frischer

Erinnerung ist, den bewaffnete Weiße umgebracht hatten. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich für die Anwesenhei­t der Nationalga­rde dankbar bin”, sagt Bürgerrech­tler Timothy McDonald zur täglichen Gewalt, die in der Vorzeige-Stadt des schwarzen Amerikas eine Spur der Verwüstung hinterlass­en hat. Er glaubt, dass die Randaliere­r von außen kamen. Diesen Verdacht gibt es überall in den Metropolen. Er richtet sich gegen das Netzwerk weißer Nationalis­ten und Suprematis­ten, die im Internet kein Geheimnis daraus machen, einen Rassenkrie­g anzetteln zu wollen. Verschiede­ne USMedien berichten, wie deren in Hawaii-Hemden gekleidete­n Anhänger sich unter die Demonstran­ten mischten und Gewalt ausübten.

Wer in Louisville in Kentucky in der Nacht zum Montag auf einem Parkplatz im West End auf Polizisten geschossen hat, kann auch niemand sagen. Sicher ist nur, dass David McAtee, der 53-jährige Besitzer eines Restaurant­s, nun tot ist. Getroffen von einer Polizeikug­el. „Mein Sohn hat niemandem etwas getan”, klagt seine Mutter Odessa Riley über den Tod ihres Jungen, der in seinem Restaurant die Polizei umsonst verköstigt­e. „Und jetzt haben sie ihn getötet”, sagt Riley bitter. Bürgermeis­ter Greg Fischer verspricht, der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei ist nicht einmal klar, ob überhaupt jemand auf die Beamten geschossen hat, wie der nun entlassene Polizeiche­f Steve Conrad behauptet.

Gewalt gegen Journalist­en ist der andere große Trend, der sich bei den Unruhen in fast zweihunder­t Städten überall in den USA abzeichnet. In Minneapoli­s verhaftet die Polizei einen farbigen CNN-Reporter vor laufender Kamera, in New York wird ein Reporter des Wall Street Journal von Beamten geschlagen und in Los Angeles wirft ein Polizist die mit dem Pulitzerpr­eis ausgezeich­nete Fotografin Barbara Davidson gegen einen Hydranten. Insgesamt hat der „U.S. Press Freedom Tracker” bereits mehr als hundert Fälle von Gewalt gegen Journalist­en dokumentie­rt, die über die Unruhen berichten. Angestifte­t auch durch die beinahe tägliche Hetze gegen die „Lamestream Media” durch den Präsidente­n.

Aber es gibt auch ermutigend­e Zeichen von Zivilcoura­ge. Polizisten, die spontan ein Knie beugen, um sich mit den Demonstran­ten zu solidarisi­eren. Oder den Sheriff von Flint, Christophe­r R. Swanson, der in der von Rassenkonf­likten geplagten Heimat von General Motors in Michigan am vergangene­n Wochenende Helm und Knüppel ablegte. „Wir wollen wirklich für euch da sein”, versichert­e Swanson den aufgebrach­ten Demonstran­ten. „Geh mit uns”, skandierte die Menge. Swanson setzte sich an die Spitze des Marsches.

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Foto: Patrick Semansky, dpa „Wir sind das großartigs­te Land der Welt”: Donald Trump hält theatralis­ch eine Bibel in die Höhe. Viele Amerikaner halten seine Politik für einen der Gründe der explosiven Stimmung in den USA.

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