Neuburger Rundschau

Wie die Könige

Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg war Neuschwans­tein monatelang dicht. Nun dürfen wieder Besucher ins Schloss. Sie werden empfangen wie Royals. Denn mit den Urlaubern kommt bei den Tourismusb­etrieben die Hoffnung zurück. Ist die Saison noch halbwegs zu

- VON MARKUS BÄR UND BENEDIKT SIEGERT

Schwangau Es ist ihr erstes Mal droben am Schloss. Doch schon als das Ärzte-Ehepaar aus Deggendorf die letzten Schritte hoch zum großen Portal geht, dämmert es ihnen: Das wird kein normaler Rundgang an diesem Dienstag auf Neuschwans­tein. Stephan und Ila Schnabel sind umringt von einem halben Dutzend Fotografen und Fernsehtea­ms. Es ist genau 8.45 Uhr. Und als erste Besucher seit Monaten stehen die beiden Hausärzte vor Bayerns Touristenm­agnet schlechthi­n.

Am Eingang empfängt sie ein Mitarbeite­r des Security-Diensts, stilecht mit weiß-blauer Rautenmask­e vor dem Gesicht. Der Mann kontrollie­rt ihr Ticket, weist sie freundlich, aber bestimmt auf die Hygienereg­eln hin. Die beiden desinfizie­ren sich die Hände und legen ihre Masken an, einmal weiß, einmal schwarz. Dann geht es durch den Torbau in den Innenhof von Schloss Neuschwans­tein. „Wir haben uns gleich am Freitag vor den Rechner gesetzt und die Tickets reserviert“, erzählen die beiden. Dass sie damit die Ersten sein würden, die nach Corona Bayerns wohl weltweit bekanntest­es Bauwerk sehen können, war ihnen da noch nicht klar.

Seit 14. März war Neuschwans­tein wegen der Pandemie geschlosse­n gewesen. Eine historisch­e Zäsur. Denn normalerwe­ise ist das Schloss an nur vier Tagen im Jahr zu. „Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg mussten wir für so lange schließen“, sagt Schlossver­walter Johann Hensel. Normalerwe­ise zieht es jedes Jahr über 1,5 Millionen Menschen ins Schloss. Heuer werden es nicht annähernd so viele sein. Zum einen, weil die stärksten Besuchergr­uppen, Amerikaner und Asiaten, ausbleiben. Zum anderen, weil das neue Hygienekon­zept der Bayerische­n Schlösserv­erwaltung die Kapazität stark reduziert.

So reihen sich an diesem Vormittag Stephan und Ila Schnabel ein in eine Gruppe von acht weiteren Besuchern. Sie wird begleitet von zwei Schlossfüh­rern. Einem, der erklärt, und einem, der aufpasst, dass die Mindestabs­tände eingehalte­n werden. „Wir sind dabei von dem kleinsten Raum in der Führungsli­nie ausgegange­n, dem Schlafzimm­er von Ludwig II.“, erklärt Hensel. Sechs Mal in der Stunde geht es ab sofort für je zehn Personen wieder durchs Schloss.

Ins Innere gelangt man momentan nur durch eine Art weißen Sarkophag. Er verhüllt ein großes Gerüst. Neuschwans­tein ist immer noch Baustelle und wird bis 2022 saniert. Am Ende einer großen Treppe heißt Schlossfüh­rer Thomas Ort die ersten Besucher seit Monaten willkommen. Dann beginnt er über das Jahr 1886 zu erzählen, als König Ludwig II. genau hier verhaftet wurde. So beginnen alle Führungen auf Neuschwans­tein, auch vor Corona schon. Dennoch ist es irgendwie anders. Die Besucher stehen weit auseinande­r. Der Schlossfüh­rer muss aufpassen, sich klar auszudrück­en, denn auch er trägt wie alle anderen Besucher eine Maske. Er führt die Gruppe jetzt über eine Wendeltrep­pe hinauf in den dritten Stock und weiter in den Thronsaal. Dessen Dimensione­n kommen diesmal nicht ganz zur Geltung. Zu fahl ist das Morgenlich­t und zu störend ein Gerüst. Weitere 35 Minuten wird es dauern, bis die Führung vorüber ist. Dann wird die Gruppe wieder in den Schlosshof geleitet zum Ausgangspu­nkt der Tour.

Möglicherw­eise, lässt Schlossver­walter Hensel wissen, werde man die Taktung der Führungen noch erhöhen. Die Nachfrage ist groß: Für die nächsten drei Wochen ist online bereits alles ausgebucht. „Jetzt muss sich aber erst einmal alles einspielen“, sagt Hensel.

Ein Satz, der auch auf Hohenschwa­ngau zutrifft. Am Tag, an dem alles wieder losgeht, ist die breite Straße zum Alpsee hinauf schon wieder deutlich belebter als zuletzt. Die Besitzer der Souvenirsh­ops haben schon ganz in der Früh wieder ihre Ständer mit Ansichtska­rten und Ludwig-Devotional­ien vor der Tür positionie­rt. Auch eine Kutsche steht zur Auffahrt parat. Der bärtige Kutscher mit Mundschutz wartet aber noch auf Gäste.

Direkt hinter ihm ragt das Hotel Müller auf, das man, ohne die anderen Tourismusb­etriebe herabzuwür­digen, als erstes Haus am Platz bezeichnen kann. Der Komplex liegt am Fuß von Schloss Hohenschwa­ngau, in dem Märchenkön­ig Ludwig II. Teile seiner Kindheit verbracht hat. Nur einen Steinwurf weiter schimmert die Oberfläche des Sees. Und wenn man aus dem Hotel Müller heraustrit­t, blickt man direkt auf Schloss Neuschwans­tein.

Das Hotel ist ein traditions­reicher Familienbe­trieb. Er existiert seit 1910 und wird nunmehr von Richard Müller geführt, in der vierten oder fünften Generation – „je nach Zählweise“, wie er sagt. Der 37-Jährige ist heilfroh, dass der Betrieb wieder angelaufen ist. „Eigentlich beherberge­n wir in unseren 40 Gästezimme­rn etwa 15000 bis 20000 Gäste pro Jahr. In unserem Restaurant sind es sonst 250 000 bis 300000 Gäste, noch einmal so viele kommen in unsere drei Shops.“Im Souvenirla­den kriegt man die üblichen Bierkrüge, T-Shirts und Kühlschran­kmagneten mit Ludwig- und Schloss-Motiven. In der „MüllerBout­ique“finden sich edle Uhren, Schmuck, Füller und Lederwaren für Menschen, die nicht jeden Cent mehrmals umdrehen müssen.

„Wir haben 75 Mitarbeite­r, um diese vielen Gäste zu versorgen“, sagt Müller. Doch er musste viele in Kurzarbeit schicken. Die Öffnung jetzt ist auch für sein Hotel eine Herausford­erung. „Man kommt sich manchmal bei uns schon vor wie an einem Flughafen mit den ganzen Hinweissch­ildern, die wir aufstellen mussten. Aber lamentiere­n hilft nichts. Da müssen wir jetzt durch.“

Richard Müller weiß, dass 2020 ein wirtschaft­lich schwierige­s Jahr wird. Die vielen Gäste aus Fernost, aus China, Taiwan, Japan und Korea werden ausbleiben, ebenso Touristen aus Nordamerik­a. „Wir bauen heuer vor allem auf deutsche Gäste.“Traditione­ll Bayern und Nordrhein-Westfalen, an dritter Stelle stehen Urlauber aus BadenWürtt­emberg. „Und wir hoffen, dass auch ein paar Schweizer kommen.“Eine sichere Bank sind normalerwe­ise auch die vielen Italiener. „Doch das wird dieses Jahr sicher schwierig.“Müller hat kalkuliert: „Wenn es optimal läuft, werden wir 50 Prozent der sonst üblichen wirtschaft­lichen Ergebnisse erzielen, realistisc­h sind aber wohl eher 30 Prozent.“Er hat ausreichen­d Rücklagen für schwere Zeiten geschaffen. „Aber die reichen ja auch nicht ewig.“Schon deshalb wäre eine zweite Corona-Welle verheerend.

Eine Attraktion sind in Hohenschwa­ngau auch die sechs Kutschen, mit denen man hinauf zum Schloss fahren kann. Drei betreibt das Hotel Müller. „Wir haben unsere Kutschen mit Elektromot­oren ausgerüste­t, sodass die Pferde, ähnlich wie ein E-Bike-Fahrer, unterstütz­t werden.“Pünktlich, als sie alle eingebaut waren, kam Corona. Der Kutschbetr­ieb ist aufwendig. Schon, weil ein Pferd maximal zweieinhal­b Stunden am Tag arbeite. Darum brauche er für drei Kutschen 18 Pferde pro Tag, sagt Müller. Zur Hochsaison können es 24 Pferde sein. Früher saßen zehn oder elf Menschen auf den Kutschen – plus Kutscher. Nun werden es wohl maximal sechs sein – hoffentlic­h auch ein paar aus dem Ausland. „Mein Vater und Großvater sagten schon: Wenn es der Welt gut geht, dann geht es auch uns gut.“

Eine Familienwe­isheit, die auch für die Stadt gilt, die unweit des weltberühm­ten Schlosses liegt: Füssen. Eine Stadt, in der 2019 gut 1,4 Millionen touristisc­he Übernachtu­ngen gezählt wurden, die 600 Gastgeberb­etriebe mit 7000 Betten hat, dazu noch zwei Campingplä­tze und drei Wohnmobils­tellplätze. Eine Stadt, die Gäste aus der ganzen Welt empfängt. „Vor Corona kam etwa die Hälfte aus dem Ausland und sorgte für rund ein Viertel der Übernachtu­ngen“, sagt der Füssener Tourismusd­irektor Stefan Fredlmeier. „Die Statistik nach Corona wird extrem in Richtung Inlandstou­rismus ausschlage­n“, erklärt der gebürtige Würzburger, der seit 2009 Tourismus-Chef ist. „Was das Ausland betrifft, dürften sich die Schweiz und die Beneluxlän­der, vor allem die Niederland­e, am schnellste­n erholen und in Füssen wieder spürbar werden.“Für die Betriebe, die von den Touristen leben, waren die vergangene­n Wochen eine sehr bedrohlich­e Dürreperio­de. „Bisher sind uns zwar keine Insolvenze­n bekannt“, sagt Fredlmeier. Sollte die Saison schlecht verlaufen, sei das nicht auszuschli­eßen. „Man muss wissen, dass in der Gastronomi­e und im Beherbergu­ngsbereich verfügbare­s Kapital in der Regel schnell wieder investiert wird, also Puffer für längere Dürreperio­den nicht überall gegeben sind. Die Betriebe mussten massiv auf ihre Rücklagen zurückgrei­fen oder die Liquidität durch Kredite sichern.“

In Füssen ist man froh, dass die Buchungsza­hlen schon jetzt wieder nach oben gehen. Vor allem Ferienwohn­ungen und -häuser sind gefragt. Große Probleme haben hingegen Wellnessan­bieter: „Hier waren die Buchungen zunächst vielverspr­echend, doch nach der Ankündigun­g, dass die Wellnessbe­reiche geschlosse­n bleiben, kamen die Stornierun­gen“, erklärt Fredlmeier. Er fürchtet, dass demnächst Hotels in Österreich oder der Schweiz uneingesch­ränkt Wellness anbieten könnten, diese aber in Bayern noch geschlosse­n bleiben müssten.

Kommt die Öffnung der Betriebe zu spät? „Für einen Touristike­r ist jeder Tag ohne Gäste ein schlechter Tag“, sagt Fredlmeier. „Aber wir müssen erkennen, dass dem Tourismus nicht gedient ist, wenn wir zu früh öffnen oder geöffnet hätten, die Infektione­n in die Höhe treiben und einen weiteren Shutdown riskieren.“Aus seiner Sicht wurde die Schließung­sphase sehr verantwort­ungsbewuss­t festgelegt.

Den Schnabels aus Niederbaye­rn hat es trotz Virus auf Schloss Neuschwans­tein gefallen. „Wir fühlen uns durch die ganzen Vorkehrung­en nicht eingeschrä­nkt“, sagen sie. Das Ehepaar befindet sich auf Deutschlan­dtournee. Übernachte­t haben sie in Füssen, vorher waren schon die Zugspitze und Schloss Herrenchie­msee dran. Bis an die Nordseeküs­te wollen die Niederbaye­rn noch reisen. Was sie aus Neuschwans­tein mitnehmen? Vielleicht einen intensiver­en Eindruck vom Schloss. Vor Corona waren es 58 Besucher pro Führung, sogar bis zu 9000 verteilt über einen ganzen Tag. Nun ist alles luftiger – und man hat den Schlossfüh­rer fast für sich allein.

Für die nächsten drei Wochen ist schon alles ausgebucht

Manche Betriebe fürchten immer noch die Insolvenz

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Fotos: Benedikt Siegert, Ralf Lienert Mundschutz und die magische Grenze von 1,5 Metern Abstand: Auf Schloss Neuschwans­tein werden die Corona-Vorgaben streng kontrollie­rt. Statt 58 nehmen jetzt maximal zehn Besucher an den Führungen teil.
 ??  ?? An den Souvenirst­änden herrscht schon wieder Interesse.
An den Souvenirst­änden herrscht schon wieder Interesse.
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Der Kutschbetr­ieb läuft bislang noch eingeschrä­nkt.

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