Neuburger Rundschau

Bio-Absatz wächst in der Krise

Den Deutschen sagt man nach, dass sie Lebensmitt­el gerne billig einkaufen. Aber stimmt das wirklich? Mitten in der Corona-Krise legt der Absatz von Bio-Milch und Bio-Fleisch deutlich zu. Wie das zu erklären ist

- VON CHRISTINA HELLER-BESCHNITT

Augsburg Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt: Um 22 Prozent ist der Absatz von Bio-Milch in den ersten Wochen der Corona-Krise angestiege­n. Der von Milch insgesamt nur um 15 Prozent. Das heißt: Wer zu Beginn der Corona-Krise in den Supermarkt ging und sich Milch kaufte, griff überdurchs­chnittlich häufig zu einem Bio-Produkt. Das ist bemerkensw­ert, weil der Bio-Lebensmitt­elmarkt in den vergangene­n Jahren zwar immer wuchs, aber relativ langsam. Was steckt also hinter diesen Zahlen – und vor allem: Ist das eine anhaltende Entwicklun­g oder lässt sich das nur durch Hamsterkäu­fe erklären?

Um das herauszufi­nden, hat sich die Agrarmarkt Informatio­ns-Gesellscha­ft – kurz Ami – genauer angesehen, wie sich der Bio-Lebensmitt­elmarkt während der CoronaKris­e entwickelt hat. Nicht nur im März, sondern auch im April. Denn der Anstieg im März hätte auch bedeuten können, dass Verbrauche­r einfach Lebensmitt­el bunkern wollten. Viele Nahrungsmi­ttel wie Nudeln, Mehl und Hefe waren ja eine Zeit lang ausverkauf­t. Ob die Kunden dann Bio-Lebensmitt­el oder konvention­elle gekauft hätten, wäre ihnen in diesem Fall egal gewesen. Doch die April-Zahlen weisen in eine andere Richtung. Denn auch als die Hamsterkäu­fe vorüber waren, griffen die Kunden lieber zu BioProdukt­en, sagt Thomas Els, AmiDatenan­alyst.

Schaut man sich den gesamten Lebensmitt­elmarkt an, liegt der Anteil von Bio-Lebensmitt­el etwa bei sechs Prozent. In manchen Bereichen – etwa bei Obst, Gemüse oder Eiern – liegt der Absatz deutlich höher, sagt Achim Spiller. Er ist Professor für Marketing für Lebensmitt­el und Agrarprodu­kte an der Universitä­t Göttingen. Beim Fleisch hingegen liege der Marktantei­l bei etwas über einem Prozent, und das verändere sich kaum. Nun hat die Ami aber herausgefu­nden: Auch beim Fleisch ist der Absatz von BioProdukt­en während der CoronaKris­e gestiegen. Im April sogar um zwei Drittel. Jahrelang tat sich also kaum etwas, nun aber wächst der Absatz sprunghaft. Wie lässt sich das erklären?

Dieser Bio-Boom in der Corona

Krise hat laut Spiller einen einfachen Grund: Die Menschen essen weniger außer Haus. „Etwa 30 Prozent der Lebensmitt­el werden normalerwe­ise außer Haus verzehrt“, sagt Spiller. Aber: „In diesem Außer-Haus-Segment werden kaum Bio-Produkte verwendet.“Das bestätigt auch der Bund der ökologisch­en Lebensmitt­elwirtscha­ft. Lediglich ein bis zwei Prozent der Lebensmitt­el, die an Kantinen, Mensen oder Restaurant­s verkauft werden, sind bio, heißt es von dort. Ein Grund für diese niedrige Quote ist der Preiskampf, sagt Spiller. Für Altenheime oder Krankenhäu­ser gäbe es fixe Preise, wie viel eine Mahlzeit kosten dürfe. „Wenn der Betreiber keine Vorgabe macht – etwa eine bestimmte Quote an Bio-Produkte festlegt –, dann entscheide­t nur der Preis, wer den Auftrag bekommt“, sagt der Professor. Und der spreche gegen Bio-Lebensmitt­el.

Weil Restaurant­s, Kantinen und Mensen seit Beginn der CoronaKris­e aber nur unter verschärft­en Auflagen Essen verkaufen konnten und weil zudem viele Menschen außerdem von zu Hause aus arbeiten, haben die Deutschen mehr eingekauft und häufiger daheim gekocht als vor der Krise. Diesen Eindruck hat auch eine Befragung bestätigt, die gerade an Spillers Lehrstuhl läuft. Sie misst in drei Wellen, wie sich das Einkaufsve­rhalten der Menschen während der Krise verändert. Eine Erkenntnis: Es wird mehr selbst gekocht.

Das ist also ein Grund. Wer nicht mehr außer Haus isst, lässt die Mahlzeit ja nicht einfach weg, sondern bereitet sich selbst etwas zu. Und wer selbst kocht, kauft anscheinen­d eher Bio-Lebensmitt­el ein. In der Fachwelt nennt sich das „Outof-Home“-Paradoxon, sagt Spiller. Menschen, die nicht zu Hause essen, achten weniger darauf, woher die Zutaten kommen. Selbst wenn ihnen das beim privaten Einkauf wichtig wäre. Aber: Im Restaurant oder der Kantine Bio-Lebensmitt­el zu essen, ist schwer – ein Bio-Angebot ist kaum vorhanden. Der Absatz von Bio-Lebensmitt­eln ist also deshalb angestiege­n, weil der Außerhausv­erzehr eingebroch­en ist. Doch die Daten der Ami deuten noch auf etwas anderes hin: Die Deutschen sind besser als ihr Ruf, was das Einkaufsve­rhalten betrifft.

Denn ein gängiges Vorurteil über den deutschen Konsumente­n lautet: Er kauft am liebsten billig ein – gerade beim Essen. Nur so hat er Discounter wie Lidl und Aldi – beide deutsche Erfindunge­n – groß gemacht. Obwohl viele Verbrauche­r in Umfragen immer wieder sagen, sie wären bereit, für Bio-Produkte oder Fleisch aus guter Tierhaltun­g mehr zu bezahlen, änderte sich der Absatz nicht. Die Erklärung: Die Befragten sagten das nur, weil sie annahmen, der Interviewe­r wollte diese Antwort hören. Biosiegel oder Tierwohlla­bel sind ihnen aber eigentlich völlig egal. Die Daten über das Einkaufsve­rhalten während der Corona-Krise lassen nun darauf schließen, dass dieses Vorurteil vielleicht nicht stimmt. „In der Bevölkerun­g weist etwa ein Drittel der Menschen eine Präferenz auf, BioProdukt­e zu kaufen“, sagt der Göttinger Professor Spiller.

Bleibt die Frage, ob das Essen nicht doch wieder das Erste ist, woran die Menschen sparen, wenn die Wirtschaft wirklich deutlich einbricht. Wenn Kurzarbeit dauerhaft einen Teil des Einkommens wegbrechen lässt oder viele Menschen sogar arbeitslos werden. In bisherigen Krisen war es immer so: Brach die Wirtschaft ein, wuchs der Absatz von Billiglebe­nsmitteln. Das spiegeln die Daten der Ami wider. Und auch Spiller sagt: „Wenn ein Großteil des Einkommens fehlt, man vielleicht sogar von Hartz IV lebt, dann hat man oft gar keine andere Wahl, als die billigsten Lebensmitt­el einzukaufe­n.“Und dennoch könnte es anders kommen. Warum? Zum einen geht man bei der Marktforsc­hungsgesel­lschaft GFK davon aus, dass Nachhaltig­keit ein Trend ist, der das Einkaufsve­rhalten der Menschen auch nach Corona prägen wird. Zum anderen sagt Spiller: „Hinter der Entscheidu­ng, BioProdukt­e zu kaufen, steht ein Wertegerüs­t. Und das bleibt auch in ökonomisch­en Krisen bestehen.“

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Beim gesamten Lebensmitt­elmarkt liegt der Anteil der Bio-Produkte in Deutschlan­d bei rund sechs Prozent. Bei Obst und Gemüse liegt er schon deutlich höher – Tendenz steigend.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Beim gesamten Lebensmitt­elmarkt liegt der Anteil der Bio-Produkte in Deutschlan­d bei rund sechs Prozent. Bei Obst und Gemüse liegt er schon deutlich höher – Tendenz steigend.

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