Neuburger Rundschau

Und wieder wurden Abiaufgabe­n geklaut

Fast jedes Jahr stehlen Diebe die Prüfungsbö­gen. Für die Schulen bedeutet das einen riesigen Aufwand

- VON CHRISTOF PAULUS

Friedberg/Bamberg Wenn man verfilmen würde, was im Bamberger Kaiser-Heinrich-Gymnasium passiert ist, würde man vielleicht eine Komödie daraus machen – zumindest, wenn Schüler im Kinosaal sitzen würden. Lehrer würden über diesen Film aber vermutlich nicht lachen. Denn den Aufgaben-Klau vor den Abiturprüf­ungen in Bamberg finden sie alles andere als lustig.

Unbekannte waren Mitte Mai in die Schule eingestieg­en und hatten dort einen Tresor aufgebroch­en. Daraus stahlen sie die „Prüfungsau­fgaben für einzelne Fächer“, wie ein Sprecher des bayerische­n Kultusmini­steriums bestätigte. Die Hintergrün­de des Diebstahls sind noch nicht bekannt, die Polizei ermittelt noch. Manche vermuten hinter der Aktion einen „Abi-Streich“, ein Scherz, der an bayerische­n Schulen nach den Abschlussp­rüfungen häufig vorkommt. Davon geht auch Michael Strehler aus, Schuldirek­tor des Bamberger Kaiser-Heinrich-Gymnasiums, wie er in einem Gespräch mit dem Bayerische­n Rundfunk sagte. Sollten die Diebe allerdings versucht haben, im Vorfeld an die Aufgaben zu kommen, um sich für ihre eigene Prüfung einen Vorteil zu verschaffe­n, wäre ihr Aufwand umsonst gewesen: Das Ministeriu­m versandte Ersatzaufg­aben, die die ursprüngli­ch vorgesehen­en ersetzten. Und weil in Bayern jeder Abiturient in jedem Fach dieselben Aufgaben gestellt bekommt, war die Folge: neue Aufgaben für ganz Bayern.

„Das ist ein Mehraufwan­d, auf den wir in Corona-Zeiten gerne verzichtet hätten“, sagt Ute Multrus, Schulleite­rin des Gymnasiums Friedberg. Was genau die Organisati­on so aufwendig macht, will sie jedoch nicht öffentlich machen. Die Abiturprüf­ungen unterliege­n strenger Geheimhalt­ung, darunter fallen nicht nur die Aufgaben, sondern auch deren Organisati­on, sagt Multrus. Auch das Kultusmini­sterium hält sich bedeckt, ebenso die Polizei. Denn jede Informatio­n, die an die Öffentlich­keit gelangt, könnte Dieben wie jenen in Bamberg helfen.

Fast jedes Jahr gelingt irgendwo in Deutschlan­d ein solcher Diebstahl. 2018 im niedersäch­sischen Goslar, 2017 in Stuttgart. Auch in der Region machte in den vergangene­n Jahren ein Fall Schlagzeil­en: An einer Realschule im Wittelsbac­her

Land hatte 2018 ein Konrektor die Abschlussa­ufgaben fotografie­rt und dem Sohn seiner Lebensgefä­hrtin zukommen lassen, der kurz vor dem Abschluss stand. Der Schwindel flog auf, der Mann verlor seinen Job und wurde zu einer Bewährungs­strafe verurteilt. Dass auch in anderen Fällen ein Mitarbeite­r einer bestohlene­n Schule den Dieben zumindest Informatio­nen geliefert hat, ist oft nicht auszuschli­eßen. Bayerische Schulen haben meist mehrere Tresore

zur Verfügung. Das Friedberge­r Gymnasium könne gar auf die Asservaten­kammer der Polizei zurückgrei­fen, um die Aufgaben aufzubewah­ren, sagt Schulleite­rin Multrus. Die vielen Geheimniss­e der Schulen und des Ministeriu­ms tragen zur Sicherung der Aufgaben bei.

Wenn man es hochrechne­t, sind an der Organisati­on der Abschlussp­rüfungen in Bayern jährlich tausende Beamte beteiligt – und wenn viele ein Geheimnis kennen, ist es gar nicht mehr so geheim. Ein pensionier­ter Gymnasiall­ehrer berichtet im Gespräch mit unserer Redaktion, dass vor den Prüfungen die Aufgaben in mehrfacher Ausfertigu­ng an die Schulen versandt werden. Öffnen dürfen auch die Lehrer sie erst am Morgen der Prüfung. Es ist davon auszugehen, dass die Ersatzaufg­aben so nicht versandt werden konnten, zu knapp war der verblieben­e Zeitraum. Also sei der Versand wohl digital erfolgt, vermutet der Pensionär – der Aufwand, die Aufgaben zu vervielfäl­tigen, müsste demnach an den Schulen hängen geblieben sein.

Gemunkelt wird häufig darüber, dass manche Schulen es mit der Sicherung der Aufgaben nicht ganz so genau nähmen, anstatt des vorgeschri­ebenen Tresors nur einen Schrank nutzen, der mit einem Vorhängesc­hloss gesichert sei. Doch wer sich an Schulen und bei Lehrern umhört, dem versichern die Verantwort­lichen: An den Gerüchten ist nichts dran. Die Schulen nähmen die Vorgaben sehr ernst. Ihre Tresore seien zwar keine Banktresor­e, doch um sie zu knacken, bedürfe es roher Gewalt. Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) schrieb den Tätern von Bamberg zuletzt eine „hohe kriminelle Energie“zu.

Die schriftlic­hen Prüfungen liegen inzwischen hinter den Abiturient­en, trotz des Diebstahls gingen diese ersten Meldungen zufolge sauber über die Bühne. „Auf solche Fälle ist das Kultusmini­sterium vorbereite­t“, erklärt ein Ministeriu­mssprecher. Aus Schülersic­ht ist ohnehin wenig passiert: Von den Dieben womöglich abgesehen, kannten sie bis zur Prüfung weder die alten noch die neuen Aufgaben. Betroffen hatte sie eher, dass die Prüfungen wegen der Corona-Pandemie verschoben werden mussten und erst am 20. Mai starteten. „Wir sind froh, dass wir überhaupt schreiben konnten“, sagt Friedbergs Direktorin Ute Multrus.

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Foto: Sebastian Kahnert, dpa Immer wieder werden Abiaufgabe­n gestohlen.

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