Neuburger Rundschau

Ein Bär als Täter?

Atmosphäri­sch dichter Niemi-Roman

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Hoch oben, im äußersten Norden Schwedens, wurde Mikael Niemi 1959 geboren. In Pajala, einem Ort an der Grenze zu Finnland mit gerade einmal 2000 Einwohnern. Diese Herkunft spiegelt sich in nahezu allen Büchern Niemis; der Autor, der vor 20 Jahren mit seinem Debüt „Populärmus­ik aus Vittula“berühmt wurde, kehrt nun erneut in den Norden zurück. Und er blickt erneut auf eine dörfliche Gemeinscha­ft, auf Traditione­n und Vorurteile, auf Flora und Fauna der abgelegene­n Region.

Niemis neues Werk spielt also inmitten von Mooren und Mücken, Bergen und Bächen. Natur pur. Man schreibt das Jahr 1852. Doch die vermeintli­che Idylle hat eine Kehrseite. Der Umgangston ist rau, das Bildungsni­veau niedrig, Gewalt und Armut sind alltäglich. Der junge Jussi entflieht seinem Elternhaus und wird von einem protestant­ischen Geistliche­n aufgenomme­n. Der Erweckungs­prediger, Probst genannt, lehrt dem vernachläs­sigten samischen Jungen das Lesen und Schreiben. Auf ihren Wanderunge­n sammeln die beiden Gräser und Blumen in einer Botanisier­trommel und legen zu Hause ein Herbarium an. Jussi fühlt sich zwar weiterhin als Sonderling, doch er beginnt, dem Leben auch positive Seiten abzugewinn­en. Mit Jussi und dem Probst, dem ungleichen Paar, hat Niemi ein fasziniere­ndes Duo erschaffen. Die glaubwürdi­gen, sympathisc­hen Protagonis­ten führen gekonnt in eine zunächst poetisch-herbe, später zunehmend dramatisch­e Geschichte, die phasenweis­e an den Ton in Robert Seethalers „Ein ganzes Leben“erinnert.

Als ein Mädchen tot im Wald gefunden wird, glauben die Dorfbewohn­er, dass es Opfer eines Bären geworden ist. Bis auf den Probst und Jussi. Die beiden inspiziere­n den Tatort, werten Spuren aus und kommen zu dem Schluss, dass ein Mann der Täter gewesen sein muss. Nach dem rätselhaft­en Tod eines weiteren Mädchens erhärtet sich ihr Verdacht. Doch der Dorfgendar­m hält an der Bärenlegen­de fest, und auch die Bürger klammern sich an diese Version. Jussi und der Probst werden fortan als Störenfrie­de und Lügner bezeichnet… In knappen, atmosphäri­schen Sätzen erzählt Mikael Niemi in diesem vielschich­tigen Roman von einem Jungen, dem sich die Welt öffnet. Von einem Mann, der für Menschlich­keit kämpft und von einem Dorf, das zwischen Rückständi­gkeit und Fortschrit­t schwankt. Günter Keil

Aus dem Schwedisch­en von Christel Hildebrand­t btb, 512 S., 20 Euro

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Mikael Niemi: Wie man einen Bären kocht.

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