Vom Unding zum Unwort
Vielleicht hätte Horst Dieter Schlosser seine Freude daran. Dieses Jahr gibt es jedenfalls einen ganzen Silbersee voller Begrifflichkeiten, die unter Umständen eine Negativ-Karriere starten könnten und hinabtauchen zum „Unwort des Jahres“. An dieser Stelle passt es dann, den inzwischen 83 Jahre alten Schlosser vorzustellen. Der emeritierte Linguistikprofessor ist gewissermaßen der Erfinder dieser bad guys der deutschen Sprache. 1991 bemerkte er während einer Diskussion beiläufig, nachdem es bereits das Wort des Jahres gebe, sei es auch an der Zeit für ein Pendant. Diese Idee griff ein Journalist im Publikum auf. Und auch ohne exponentielle Verbreitung in einem (noch nicht vorhandenen) Internet löste der Vorschlag ein breites Echo aus – „und dann gab es kein Zurück mehr“, erinnert sich der Sprachforscher.
Eine Grundvoraussetzung für diese Un-Wörter oder Un-Formulierungen ist, dass sie gegen Humanität oder sachliche Angemessenheit verstoßen, weil sie sich gegen das Prinzip der Menschenwürde oder Demokratie richten und etwas zu beschönigen, verschleiern oder gar zu verfälschen versuchen.
Zugegeben: Die Gegenwart ist vielmehr ein unerfreulicher Zustand als ein Unwort.
Dennoch würde ich Folgendes am liebsten nicht mehr hören: jedwede Wortkombination mit „Corona“, das ist wohl selbsterklärend. Das zuvor nie benutzte Wortpaar „triftiger Grund“. Noch vor wenigen Wochen war es untersagt, die beste Freundin zu treffen, nur weil sie ein überaus sympathischer Mensch ist. Das mochte vielleicht ein Grund sein (so wie in den vergangenen 40 Jahren), aber eben kein triftiger. Das Politikergedöns von der „neuen Normalität“versucht zu suggerieren, mit was wir uns gefälligst abfinden sollen – und es hört sich auch noch so positiv und energiegeladen an. Und dann sind da natürlich die berühmt-berüchtigten „Öffnungsdiskussionsorgien“. Diese Merkelsche Kreation hat vielleicht dann doch das Potenzial vom Unding zum Unwort.
Aus dem Polizeibericht