Neuburger Rundschau

Mit allen Mitteln

Seine Gegner fürchten, dass sich Donald Trump notfalls mit Trickserei­en an die Macht klammert. Die Szenarien reichen sogar bis zu einer Absage der Präsidents­chaftswahl

- VON THOMAS SPANG

Washington Bei einer Großkundge­bung im Wechselwäh­ler-Staat Pennsylvan­ia spielte der Präsident Ende vergangene­n Jahres mit einem Gedanken, den er vorher schon wiederholt in kleinerem Kreis geäußert hatte. Vielleicht werde er sein Amt erst „in fünf Jahren, neun Jahren, 13, 17, 21, 25 oder 29 Jahren verlassen”, verhieß er seinen aufgepeits­chten Anhängern. Dies sei nur ein Witz, fügte er hinzu, „um die Medien total verrückt zu machen“. Das Problem daran: Die Welt scheint diesem Mann inzwischen alles zuzutrauen. Würde er eine nicht ausgeschlo­ssene Wahlnieder­lage akzeptiere­n? Oder findet die US-Präsidents­chaftswahl am 3. November womöglich gar nicht statt?

Die frühere Bundesanwä­ltin Barbara McQuade findet Trumps „Witz“jedenfalls nicht zum Lachen. „So funktionie­rt Propaganda“, schreibt sie im Magazin The Atlantic. „Man muss etwas Empörendes nur oft genug wiederhole­n, damit es nicht länger schockiert.“Die Weigerung, nach einer Niederlage bei Wahlen das Amt zu räumen, sei in Demokratie­n selten, aber nicht undenkbar. Rosa Brooks gehört zu denen, die intensiv über Szenarien nachdenken, was Trump anstellen könnte, um sich unter allen Umständen an der Macht zu halten. Die Rechtsgele­hrte an der Georgetown University in Washington meint, vor Corona hätten viele Wahlrechts­experten diese Befürchtun­g nicht ganz ernst genommen. „Jetzt lacht keiner mehr.“Das Versagen des Präsidente­n im Umgang mit dem Virus, das die USA zur „Nummer eins“in der Welt bei Infektione­n, Toten und Arbeitslos­en gemacht hat, trübte seine Aussichten auf eine Wiederwahl im November von „wahrschein­lich“auf „zweifelhaf­t“ein. In dem Maße, wie seine Umfragewer­te fielen, verstärkte Trump seine Angriffe auf die Integrität der Wahlen.

Er schickte Schwiegers­ohn Jared Kushner vor öffentlich infrage zu stellen, ob die Amerikaner angesichts der Pandemie am 3. November überhaupt wählen dürfen. „Ich bin mir nicht sicher, mich in die eine oder andere Richtung festzulege­n“, erklärte Kushner, obwohl die USVerfassu­ng den Termin verbindlic­h vorschreib­t. Parallel dazu erfand Trump einen Skandal. Die Verschwöru­ngstheorie „Obamagate“behauptet, die Regierung seines Vorgängers habe ihm mit der „Russland-Affäre“eine Falle gestellt. Was das Verbrechen sei, verrät der Präsident nicht.

Und dann handelte sich Trump auch noch die erste Interventi­on des Kurznachri­chtendiens­tes Twitter ein, als er behauptete, Briefwahle­n seien „auf keinen Fall (null!) etwas anderes als substanzie­ller Betrug“. Twitter versah den Tweet mit dem Link zu einer Faktensamm­lung, die seine Behauptung­en nachweist.

Der ehemalige Ethikdirek­tor des Weißen Hauses, Walter Shaub, meint, die Nebelkerze­n Trumps zielten darauf ab, die Legitimitä­t der Wahlen im November zu unterminie­ren. „Er schafft die Basis für eine Weigerung, das Amt zu räumen.“Diese Sorge teilen die Experten, die Brooks kürzlich einlud, Szenarien durchzuspi­elen, mit denen Trump versuchen könnte zu tricksen. als haltlos

Denkbar sei zum Beispiel, dass der Präsident kurz vor dem Wahltag Corona benutzt, um einen Notstand in den Großstädte­n der umkämpften Wechselwäh­ler-Staaten auszurufen. Das benachteil­igte die Demokraten, die in urbanen Regionen ihre Hochburgen haben. Bei einer knappen Niederlage könnte Trump die per Briefwahl abgegebene­n Stimmen in Staaten wie Michigan, Florida oder Arizona anfechten und die republikan­ischen Mehrheiten in den Parlamente­n dieser Staaten drängen, die Wahlmänner selber zu benennen.

Solchen Szenarien sind in einem Land, das schon in normalen Zeiten vor Problemen steht, faire und pannenfrei­e Wahlen zu organisier­en, keine Grenzen gesetzt. Der Washington­er Wahlrechts­experte Marc Elias hält das Verschiebe­n der Abstimmung für unwahrsche­inlich. Realistisc­her seien Interventi­onen, die darauf abzielten, die Teilnahme an den Wahlen in strategisc­h wichtigen Regionen niedrig zu halten. „Wählerunte­rdrückung ist meine größte Sorge.“In einem Trockenlau­f exerzierte­n die Republikan­er den Versuch in Wisconsin durch. Dort zwangen sie die Wähler mitten in der Corona-Pandemie dazu, persönlich im Wahllokal aufzutauch­en, statt ihre Stimme per Briefwahl abgeben zu können. Nobelpreis­träger Paul Krugman erkennt darin eine Blaupause für den November. „Wir sind dem Verlust unserer Demokratie viel näher, als viele Leute realisiere­n”, warnt Krugman.

Der demokratis­che Stratege Ari Rabin-Havt rät seiner Partei zu einer Gratwander­ung. Es sei nicht klug, den eigenen Wählern das Signal zu senden, „es sei letztlich egal, was sie tun, weil dieser Kerl sie sowieso austrickse­n wird“. Das Wahlkampft­eam des designiert­en Präsidents­chaftskand­idaten der Demokraten, Joe Biden, geht davon aus, dass Trump nicht sauber spielen wird. „Er wird jeden Trick, Plot oder jedes Komplott versuchen, Präsident zu bleiben“, erwartet Justiziar Bob Bauer. Falls Trump nach einer Niederlage das Weiße Haus nicht freiwillig verlasse, gebe es eine einfache Lösung: den Secret Service.

„Wir sind dem Verlust unserer Demokratie viel näher, als viele Leute realisiere­n.“

Nobelpreis­träger Paul Krugman

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Foto: Alex Brandon, dpa Abstieg? Die Chancen auf eine Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident sind zuletzt gesunken.

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