Müssen wir nach Corona neu bauen?
Bei der Planung von Gebäuden soll die Gesundheit der Menschen in Zukunft in den Mittelpunkt rücken, fordert Bayerns Baustaatssekretär. Was hinter dieser Forderung steckt
München Krankenhäuser mit getrennten Ein- und Ausgängen, Rathäuser mit neuartigen Raumaufteilungen und Schulen mit intelligenten Lüftungssystemen. Die CoronaPandemie wird langfristig unsere Art zu bauen verändern. Das zumindest fordert Bayerns Baustaatssekretär Klaus Holetschek: „Wir müssen das Thema Bauen von Grund auf neu denken.“Der CSUPolitiker regt deshalb neue Leitlinien für die künftige Bauplanung an.
Als Lehre aus der Corona-Krise, so Holetschek, müssten Kindergärten, Schulen, Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser, Hotels, Gaststätten, öffentliche und private Gebäude in Zukunft baulich darauf ausgelegt sein, die Gesundheit jedes einzelnen zu schützen: „Die Hygieneregeln müssen überall eingehalten werden können.“Dazu könnten zum Beispiel getrennte Wege für den Ein- und Ausgang bei sämtlichen öffentlichen Gebäuden, Hygieneschleusen in Krankenhäusern oder eigene Besuchszimmer in Pflegeeinrichtungen gehören. Auch die
Raumaufteilung müsse es den Menschen ermöglichen, die Abstände einzuhalten. „Und ganz wichtig ist natürlich immer die Frischluftzufuhr“, sagt der Baustaatssekretär. Lüftungssysteme, Fenster, Balkone und Terrassen bekämen vor dem Hintergrund des Coronavirus einen noch viel höheren Stellenwert.
Der Grund für seinen Vorstoß sei, dass die jetzige Krise die Chance biete, das Land für die Zukunft besser zu rüsten. Er wolle einen Denkanstoß geben, sagt Holetschek unserer Redaktion. Die Verbindung der Themen Gesundheit und Bauen gehe weit über Fragen der VirusEindämmung hinaus: „In welchem Umfeld wir uns bewegen, wo wir arbeiten, lernen, spielen, sporteln und leben, hat immer massive Auswirkungen auf unser gesundheitliches Wohlbefinden.“Gesundes Bauen sei deshalb in allen Lebensbereichen der Menschen wichtig.
Holetscheks Konzepte müssen angesichts der Erfahrungen aus der Pandemie diskutiert werden, sagt Christine Degenhart, die Präsidentin der bayerischen Architektenkammer, unserer Redaktion. Die
Architektin betont aber: „Durch bloße Änderung von Normen kann man keine Veränderung erzwingen.“Die Politik sei deshalb gut beraten, den Bürokratieabbau voranzutreiben: „Wir müssen uns mit Kreativität und den Möglichkeiten rüsten, die wir haben.“
Degenhart ist überzeugt davon, dass in Zukunft viele öffentlich zugängliche Gebäude gebaut werden, an denen sich die Erfahrungen aus der Pandemie ablesen lassen. Sie fordert aber vor allem eine Konzentration auf die bereits bestehenden Gebäude: „Wenn wir künftig pandemiegerecht bauen wollen, sollten wir hier anfangen und bei Sanierungen gesetzliche und bautechnische Anforderungen sinnvoll mit diesen neuen Aspekten koppeln.“Denn bei vielen alten Beständen stehe in naher Zukunft ohnehin eine energetische Sanierung an. Dabei ergeben sich etwa neue Anforderungen bei der Belüftung, berichtet die Architektin, die auch gleich pandemiegerecht umgesetzt werden könnten: „Aber die Krux ist natürlich der Preis. Wir sollten das pandemiegerechte Bauen im Auge behalten und es innovativ mit den längst formulierten Anforderungen an Nutzungsflexibilität, Inklusion und energetische Optimierung kombinieren.“
Aus den Zeiten der Pandemie könne man besonders auch in Sachen Flexibilität einiges lernen, meint Degenhart. Nutzungsflexibilität ist ihrer Ansicht nach hier einer der wichtigsten Aspekte, hierzu nennt sie ein Beispiel: „Die Wohnung diente während des Lockdown gleichzeitig als Wohnraum, Arbeitsstätte und Schule. Solche Mehrfachnutzungen müssen in unsere zukünftigen Überlegungen bei der Gebäudeplanung einfließen.“
Dennoch sollte der Bürokratieabbau eines der wichtigsten Ziele bleiben, sagt Degenhart. Die Gesellschaft sollte vielmehr die Kreativität und die Möglichkeiten ausschöpfen, die Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner mit ihrer Innovationskraft, ihrem Mut und ihrer Erfahrung bieten: „Wichtig und ein langfristiges Ziel muss sein, dass das Bewusstsein für die Problemlage nicht wieder in der Versenkung verschwindet.“