Neuburger Rundschau

Brexit in der Sackgasse

Hilft jetzt noch ein Spitzentre­ffen?

- VON KATRIN PRIBYL

London Der sonst für seine Geduld gerühmte Michel Barnier versuchte erst gar nicht, seinen Ärger und Frust zu verbergen. Zum vierten und vorerst letzten Mal sprach er am Freitag über den fast unveränder­ten Stand der Gespräche über ein Freihandel­sabkommen zwischen Brüssel und London. Sein Fazit: „Wir können nicht ewig so weitermach­en.“Auch sein britischer Kollege David Frost nannte die Fortschrit­te „begrenzt“, hob aber immerhin den „positiven Ton“hervor.

Einen Abbruch der wegen des Coronaviru­s virtuell geführten Gespräche dürfte es dennoch nicht geben. Laut Frost müssten die Verhandlun­gen „intensivie­rt und beschleuni­gt“werden, Barnier schlug eine weitere Runde noch im Juni vor. Ob es dann zum Durchbruch kommt, darf bezweifelt werden. Zu verhärtet wirken die Fronten. Brüssel wirft den Briten Rosinenpic­kerei vor, London beklagt den „ideologisc­hen Ansatz“der EU. Doch den beiden Partnern läuft die Zeit davon. Die britische Regierung müsste bis Ende Juni um eine Verlängeru­ng der Übergangsp­hase bitten, die am 31. Dezember ausläuft und in der das Land noch Mitglied des Binnenmark­ts und der Zollunion ist. Einen Aufschub hat der britische Premier Boris Johnson aber sogar per Gesetz ausgeschlo­ssen. Er riskiert damit einen No-Deal, einen harten wirtschaft­lichen Bruch mit Zöllen und Kontrollen. In der Brexit-müden Heimat aber würde der Hardliner zumindest sein Verspreche­n halten und die Europaskep­tiker in den eigenen konservati­ven Reihen befriedige­n. Hinzu kommt, dass viele Parlamenta­rier hoffen, mit der Coronaviru­s-Krise negative Auswirkung­en eines ungeregelt­en Brexit auf die Wirtschaft kaschieren zu können.

Hinter den Kulissen heißt es, dass noch im Juni ein Gipfel anberaumt werden könnte, auf dem EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen, Ratspräsid­ent Charles Michel und Regierungs­chef Johnson einen Weg aus der Sackgasse suchen wollen. Der Streit dreht sich vor allem um gleiche Wettbewerb­sbedingung­en, die Rolle des Europäisch­en Gerichtsho­fs und um die Fischerei. Punkte, die schon in der politische­n Erklärung vom Herbst 2019 standen, auf die sich die EU27 und das Königreich mit dem Brexit-Abkommen geeinigt hatten. Barnier zog am Freitag eine Kopie des Dokuments hervor und streckte es genervt in die Höhe. Die politische Erklärung sei in allen Sprachen erhältlich, auch in Englisch. Barnier warf den Briten vor, sich davon mehr und mehr zu entfernen. „Wir können und werden dieses Zurückzieh­en nicht akzeptiere­n.“

Nach dem Ende der ergebnislo­sen Gespräche fand Katarina Barley (SPD), Vize-Präsidenti­n des Europaparl­aments, klare Worte: „Man bekommt den Eindruck, dass Johnson es bewusst auf einen harten Brexit ankommen lässt.“Es schmerze sie als Halb-Britin, dass der Premier mit seiner Haltung das Land weiter spalte. Die Europäer seien weiter verhandlun­gsbereit („Ein harter Brexit kennt nur Verlierer“), aber nicht grenzenlos kompromiss­bereit: „Einem Dumpingsta­at vor unseren Grenzen werden wir keinen vollen Marktzugan­g gewähren.“

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Foto: dpa Anfangs verhandelt­en sie Auge in Auge, zuletzt wegen Corona nur noch virtuell: David Frost und Michel Barnier.

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