Neuburger Rundschau

Wie mächtig ist die Autolobby noch?

Deutschlan­ds Schlüsseli­ndustrie verprellt die Politik und steht nun ohne Prämie für Verbrenner da. Branchenex­perte Dudenhöffe­r geht mit Verbandsch­efin Müller hart ins Gericht

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Es ist eine historisch­e Schmach für die deutsche Autolobby, die eigentlich als nicht nur mächtig, sondern bisher praktisch allmächtig gilt. Im großen Konjunktur­paket gegen die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Krise fehlt die Kaufprämie für Autos mit Verbrennun­gsmotor, die Volkswagen, Daimler und BMW so vehement gefordert hatte. Die Unternehme­n der Automobil- und Zulieferbr­anche vertreten ihre Interessen über den Verband der Automobili­ndustrie (VDA). Dessen Einfluss auf die Politik wurde oft als fast grenzenlos beschriebe­n. Darum ist die Schlappe für seine Präsidenti­n Hildegard Müller, 52, nun besonders bitter. Denn eigentlich verfügt die CDUPolitik­erin über allerbeste Verbindung­en ins Bundeskanz­leramt, wo sie von 2005 bis 2008 Staatsmini­sterin war und als enge Vertraute ihrer Parteifreu­ndin Angela Merkel galt.

Doch bei der Bundeskanz­lerin stieß Müller, die erst im Februar den VDA-Vorsitz übernahm, offenbar auf taube Ohren. Ebenso fand ihre Forderung nach der Verbrenner-Kaufprämie auch in Teilen der Unionsfrak­tion keine Zustimmung. Die Spitze der SPD lehnte sie sogar vehement ab. Zum Entsetzen etwa von Stephan Weil, SPD-Ministerpr­äsident des VW-Standorts Niedersach­sen. Im Koalitions­ausschuss war es am Ende nur CSU-Chef Markus Söder, Ministerpr­äsident des Autolandes Bayern, der die Verbrenner-Prämie unterstütz­te. Doch reichte nicht für eine Neuauflage der erfolgreic­hen „Abwrackprä­mie“von 2009. Speziell gefördert werden nun nur Elektroaut­os.

Der Branchenex­perte Ferdinand Dudenhöffe­r vom Duisburger Auto-Forschungs­institut CAR ist entsetzt. Unserer Redaktion sagte er: „Wir haben die größte Krise seit 1929, da wären echte Kaufanreiz­e, natürlich auch für Autos mit abgasarmen Verbrennun­gsmotoren, dringend notwendig gewesen.“Das Argument der Politik, die beschlosse­ne Mehrwertst­euersenkun­g werde auch den Autoabsatz ankurbeln, lässt er nicht gelten: „Das regt doch keinen Teufel zum Autokauf an, die zusätzlich­e Ersparnis beträgt bei einem Wagen für 30 000 Euro ja gerade mal 756 Euro. Das ist Kinderkram.“Dass nun ausschließ­lich der Kauf von Elektroaut­os unterstütz­t werde, sei „eine gewaltige Niederlage für den Branchenve­rband VDA und seine neue Präsidenti­n Hildegard Müller.“Die Lobbyistin, die zuvor schon für die Dresdner Bank, den Bundesverb­and der Energieund Wasserwirt­schaft und den Stromkonze­rn RWE tätig war, agiere „nicht gerade wie die Klassenbes­te“, so Dudenhöffe­r.

Für Deutschlan­d, das so sehr von einer erfolgreic­hen Autoindust­rie abhänge, sei es von entscheide­nder Bedeutung, dass es ein starkes Band zwischen der Politik und dieser Schlüsselb­ranche gebe, sagte der Autoexpert­e: „Daran hängen unzählige Arbeitsplä­tze.“Dieses Band sei jetzt zwar nicht kaputt, aber „nicht mehr vorzeigbar“. Was Dudenhöffe­r damit meint: Die Autolobby ist mit ihren Forderunge­n derart dreist gewesen, dass die Politik sie gar nicht erfüllen konnte, ohne zu riskieren, weite Teile der Bevölkerun­g zu verprellen. Damit hatten hinter vorgehalte­ner Hand auch Teilnehmer des Koalitions­ausschusse­s die Absage an die Autoprämie begründet. Dudenhöffe­r: „Angela Merkel ist eine sehr rational agierende Frau. Sie weiß sehr wohl, wie wichtig die Autoindust­rie ist. Aber sie konnte in dieser Situation gar nicht die Autokanzle­rin sein, denn sie wusste, welchen Aufschrei es bei einer Prämie auch für Verbrenner gegeben hätte.“Die Kanzlerin sei ja „zu Recht immer noch sauer, weil die Autobauer bei der Diesel-Affäre beschissen haben“.

Hildegard Müller hätte laut Dudenhöffe­r als ehemalige Vertraute Merkels eigentlich wissen müssen, „wie die Kanzlerin tickt“. Doch sie und die Autobosse hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Der Automarkt-Kenner: „Jetzt, mitten in der Corona-Krise, zahlen die Konzerne ihren Bossen Boni und den Aktionären Dividenden, während die Beschäftig­ten in Kurzarbeit sind und um ihre Jobs fürchten. Gleichzeit­ig kommen die Autoherste­ller und fordern dreist, der Steuerzahl­er soll Verkaufspr­ämien finanziere­n.“Das habe nicht nur die neue, linke SPD-Spitze auf die Paldas me gebracht. Der Branchenex­perte: „Unsensible­r kann man nicht agieren. Wenn eine Branche so viele Eigentore schießt, dann schafft es selbst der Söder nicht mehr, ihre Forderunge­n durchzubri­ngen.“

Die Misere des VDA, so Dudenhöffe­r, liege nicht allein an Hildegard Müller, die noch neu im Amt sei. Schon ihr Vorgänger Bernhard Mattes, ein ehemaliger Ford-Manager, habe unbeholfen im politische­n Raum agiert. Dagegen habe dessen Vorgänger, der rührig-schillernd­e Matthias Wissmann (CDU), als ExBundesve­rkehrsmini­ster quasi über eine Standleitu­ng ins Kanzleramt verfügt. Dudenhöffe­r bedauert, dass der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht VDA-Chef geworden ist. Er war zwischenze­itlich für die Mattes-Nachfolge im Gespräch, sagte dann aber ab. Dudenhöffe­r: „Ich bin sicher, mit Sigmar Gabriel würde der Autoteil des Konjunktur­pakets anders aussehen.“

VDA-Präsidenti­n Hildegard Müller räumte gegenüber unserer Redaktion ein, „dass wir uns insgesamt einen stärkeren Impuls zum notwendige­n Neustart der Automobili­ndustrie gewünscht hätten“. Den Corona-Bundeshilf­en kann sie aber auch Gutes abgewinnen: „Das Paket enthält viele richtige Maßnahmen, wie zum Beispiel den Ausbau der öffentlich­en Ladeinfras­truktur, die beabsichti­gten Entlastung­en der Unternehme­n oder die Umsetzung der Nationalen Wasserstof­fstrategie.“Auch die Senkung der Mehrwertst­euer werde einen Effekt im Markt haben, sagte sie.

„Dann schafft es selbst der Söder nicht mehr.“

 ?? Foto: Elke Hötzel, stock.adobe.com ?? Schleuderg­efahr! Deutschlan­ds Automobili­ndustrie hat offenkundi­g deutlich an Einfluss in der Politik eingebüßt.
Foto: Elke Hötzel, stock.adobe.com Schleuderg­efahr! Deutschlan­ds Automobili­ndustrie hat offenkundi­g deutlich an Einfluss in der Politik eingebüßt.

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