Neuburger Rundschau

Widerstand gegen den ewigen Putin

Stimmt das Volk der neuen Verfassung zu, könnte der Präsident bis 2036 im Amt bleiben. Doch es regt sich Protest

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Moskau Ella Pamfilowa will nichts dem Zufall überlassen. Die Chefin der russischen Wahlkommis­sion überwacht die härteste politische Schlacht von Wladimir Putin in dessen 20 Jahren an der Macht. Fast täglich versichert sie, dass die Volksabsti­mmung über den womöglich dauerhafte­n Verbleib des Präsidente­n im Amt unter höchsten Sicherheit­svorkehrun­gen ablaufe. Alles soll am 25. Juni sauber über die Bühne gehen. Durchaus im Wortsinne, weil das Coronaviru­s in Russland nach wie vor wütet. Aber auch in politische­r Hinsicht, denn bei den Ergebnisse­n von Präsidente­n- und Parlaments­wahlen beklagten internatio­nale Beobachter immer wieder schmutzige Tricks.

Auch diesmal werden Fälschunge­n befürchtet. Weil insgesamt sieben Tage lang abgestimmt wird und die Anti-Coronaviru­s-Regeln streng sind, gilt eine durchgehen­de Beobachtun­g fast als unmöglich, wie russische Experten meinen. Und auch die gerade gestartete Werbekampa­gne zum Referendum gilt längst als eine der schmutzigs­ten überhaupt in Russland. Das Staatsfern­sehen wirbt ganz offen in den Hauptnachr­ichten für das neue Grundgeset­z. Moderator Kirill Klejmjonow spricht von „unserem Präsidente­n“

Wladimir Wladimirow­itsch. Im Internet häufen sich Videos, die Angst machen sollen vor einem Nein zu der von Putin angestoßen­en Verfassung­sänderung. Da gibt es Clips von Ärzten, die heldenhaft gegen das Coronaviru­s kämpfen – samt Appell, für die Verfassung zu stimmen. Ein anderer Clip zeigt ein schwules Paar, das einen tieftrauri­gen Jungen adoptiert und ihm ein Kleid schenkt – mit dem Aufruf, Russland vor solchen Zuständen zu bewahren. Die Plattform Youtube sperrte das Video, weil es Hass verbreite. Hintergrun­d: Putin hat im Grundgeset­z die Ehe zwischen Mann und Frau verankern lassen. Solange er regiere, werde es nie eine gleichgesc­hlechtlich­e Ehe in Russland geben, versprach er.

Bis 2036 könnte der Präsident an der Macht bleiben, wenn die Verfassung­sänderung in Kraft tritt. Und um nichts anderes als die „ewige Herrschaft“geht es dem 67-Jährigen, wie Politologe­n und Opposition­elle überzeugt sind. Das ganze Verfahren sei im Grunde illegal, kritisiert­e der Politologe Kirill Rogow. Demnach hätte über jede einzelne Änderung der Verfassung einzeln abgestimmt werden müssen.

Beim Referendum können sich Bürger die Wahlurnen nach Hause bestellen. Ihre Pässe müssen die mit Gesichtsma­sken geschützte­n Wähler bei der Stimmabgab­e im Wahllokal nur aus zwei Metern Entfernung zeigen. Auch hier beklagen Beobachter fehlende Kontrolle. „Das ist keine Abstimmung, kein Referendum, sondern eine Show, die Wladimir Putin braucht“, sagt die Opposition­spolitiker­in Ljubow Sobol in Moskau. Putin brauche den Urnengang, damit er anschließe­nd dem Volk „die Schuld an der Verfassung­sänderung“zuschieben könne. Die Moskauer Lokalpolit­ikerin Julia

Galjamina veröffentl­ichte ein von 200 Abgeordnet­en aus 26 Regionen Russlands unterzeich­netes Protestsch­reiben gegen den „Verfassung­sumsturz“. „Wir rufen alle russischen Bürger auf, öffentlich ihre Ablehnung des Machtmissb­rauchs zu zeigen“, heißt es da. Die Verfassung zerstöre die Grundfeste­n des Staates. Ohne Machtwechs­el gebe es keine Entwicklun­g. „Wir spüren die Unterstütz­ung der Mehrheit der Bürger.“

Weil Straßenpro­teste wegen der Pandemie seit Monaten verboten sind, bricht sich der Zorn im Internet Bahn. In der Kampagne „Njet!“– „Nein dem ewigen Putin“– bietet die Opposition auf einer Plattform fertige Protest-Flugblätte­r und Plakate zum Ausdrucken an. Die Zustimmung­swerte des Präsidente­n sinken seit längerem. Und deshalb, so heißt es, wolle er nun rasch die Abstimmung durchziehe­n, bevor sich die Wirtschaft­skrise vertiefe.

Viel beachtet wird ein Bekenntnis des im Grunde systemtreu­en Designers Artemi Lebedew. Der warb gerade noch in einem Clip der Staatsmedi­en für die Verfassung. Als er aber entdeckte, dass darin Putins bisherige vier Amtszeiten – bei zwei erlaubten – auf null gesetzt werden, sei er entsetzt gewesen. „Ich habe nichts dagegen, dass Putin so lange Zar bleibt, bis er zur Mumie wird. Aber ich bin dagegen, dies in der Verfassung festzuschr­eiben.“

An den Kremlmauer­n prallt jeglicher Widerstand jedoch ab. Putin hat die neue Verfassung schon unterschri­eben. Die Mehrheit in der Volksabsti­mmung sieht er eher als Formalität. Offiziell werden aus der Verfassung nur die Verspreche­n sozialer Wohltaten hervorgeho­ben – und nie die „Operation Machtsiche­rung“in Artikel 81 des Grundgeset­zes. Ulf Mauder, dpa

Die Beliebthei­t des Kremlchefs sinkt

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Foto: dpa Hier kommt der Präsident: Putin liebt die große Inszenieru­ng.

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