Neuburger Rundschau

„Die Heiligspre­chung Söders ist ärgerlich“

Musikkabar­ettist Hans Well über das „Vorsichhin­sinnlosen“, Superbayer­n und gefährlich­en Schwachsin­n

- Interview: Josef Karg

Servus Herr Well. Was macht der Kabarettis­t, wenn er seine Pointen nicht öffentlich machen kann?

Hans Well: Er sucht nach Möglichkei­ten, wie er trotz Bühnenverb­ot die Öffentlich­keit erreichen kann. Wir haben als „Wellbappn“beispielsw­eise ein Video aufgenomme­n, das im Internet ganz gut geklickt wird. Ich selbst bin ja sozusagen das Gegenteil eines Nerds, also vollkommen ahnungslos, aber die Kinder kennen sich da gut aus. Wir haben ein altes Volkslied von Carl Orff auf die aktuelle Situation hingetexte­t, und das ist ganz beliebt geworden.

Wie viel Klicks erreichen Sie damit? Well: Das sind schon an die 10000, mehr sogar als das Klagelied des Uli Hoeneß, das bisher unser interner Spitzenrei­ter war.

Sie sagten, Sie würden gerade daheim so „vorsichhin­sinnlosen“. Wie darf man das verstehen?

Well: Na ja, das heißt, dass der Sinn abhanden gekommen ist. Und für uns Künstler ist der Sinn, auf der Bühne zu stehen. Wir wollen die Leute gut unterhalte­n und das können wir derzeit nicht. Das fehlt mir sehr. Um die fehlenden Auftritte wenigstens irgendwie zu kompensier­en, proben wir an den ausgefalle­nen Terminen.

Verliert man tatsächlic­h den Sinn im Leben, wenn man mal ein paar Wochen ein bisserl weniger spielt und konsumiere­n kann?

Well: Nein, natürlich verliert man den nicht. Diese Sinnlosigk­eit habe ich nur auf die einjährige Berufspaus­e bezogen. Das ist bei mir und den Wellbappn halt nicht nur ein Job, sondern schon eine Art Berufung. Aber was wunderbar ist: Unsere drei Kinder wohnen schon seit Wochen bei uns, die Familie hat von Corona profitiert. Wir leben in einem alten, denkmalges­chützten Haus mit großem Garten. Da lässt sich’s gut aushalten.

Wenn Bayern, wie Seehofer mal gesagt hat, der Vorhof zum Paradies ist – wer hat dann die Erbsünde begangen, dass die Seuche Covid-19 hier doch recht massiv auftritt?

Well: In den USA heißt es: Amerika first, in Bayern hat die CSU immer geworben, dass Bayern spitze ist. Ich will das Problem nicht auf die leichte Schulter nehmen und auch niemandem die Schuld zuschieben. Man kann aber feststelle­n, dass das Auftreten von Söder, der sich als Retter geriert, manchmal schon in eklatantem Widerspruc­h zum real Geleistete­n steht. Bayern wäre nicht Corona-Spitzenrei­ter, wenn man die Starkbierf­este und den Fasching rechtzeiti­g abgesagt hätte. Und so schlimm Corona auch sein mag – es ist ein Klacks zu dem, was uns mit dem Klimawande­l und der Erderhitzu­ng bevorsteht. Da würde ich mir wünschen, dass die Politik mehr auf Wissenscha­ftler hören würde. Denn irgendwann gibt es einen Impfstoff gegen Corona, aber der Klimawande­l wird irreversib­el. Ich habe heuer im Frühjahr 500 Bäumchen gepflanzt, die sind mir unterm Gießen verdorrt.

Weil es zu trocken war?

Well: Ja, es ist das zwölfte Jahr hintereina­nder, wo es im April so gut wie nicht mehr geregnet hat. Früher hieß es: Der April, der weiß nicht, was er will. Inzwischen stimmt das nicht mehr. Und von wegen verantwort­ungsvolle Politik: Ich finde die Abstandsre­gelungen wegen Corona super. Gesünder wäre es, wenn sie bei Schweinema­st und in Hühnerfarm­en auch gelten würden.

Was halten Sie grundsätzl­ich vom Vorgehen der Bayerische­n Staatsregi­erung in der Corona-Krise?

Well: Ein früheres Reagieren und Verbot der Massenvera­nstaltunge­n wäre noch besser gewesen. Ansonsten machten sie das, was zu tun war. Was jetzt allerdings sichtbar wird, sind langfristi­ge Fehler der Politik. Der Pflegenots­tand trifft uns zum Beispiel mit voller Wucht. Und es zeigt sich auch, dass der Abbau vieler Krankenhäu­ser glückliche­rweise noch nicht so weit fortgeschr­itten ist wie in Amerika oder England, wo das Gesundheit­ssystem durch den neoliberal­en Profitgeda­nken kaputtgesp­art wurde. Hoffentlic­h ist Corona ein Weckruf für unsere Gesundheit­spolitik. Auch dafür, dass wichtige Arzneimitt­el wieder in Europa produziert werden müssen.

Was hat Sie am meisten an den aktuellen Corona-Einschränk­ungen gestört?

Well: Das Daheimsitz­en ist immer eine Reduzierun­g auf den privaten Bereich. Man will sich aber als gesellscha­ftlicher Mensch mit anderen austausche­n. Und die Heiligspre­chung Söders als quasi alleinigen Corona-Bezwinger und Superbayer­n ist ärgerlich.

Wird Söder jetzt Kanzler? Er scheint sich ja sogar mit Angela Merkel zu verstehen ...

Well: Besser jedenfalls als vor einem Jahr. Söder ist ehrgeizig, wenn er die Chance hat, wird er sie nutzen. Der fühlt sich ja als Enkel von Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber. Wenn er das schaffen würde, was den beiden nicht gelungen ist, wäre das für ihn schon die Krönung, die Vollendung der bayerische­n Geschichte.

Na ja, da haben wir noch ein wenig hin. Irgendwie hat man eher den Eindruck, die Gesellscha­ft ist ein bisserl verrückt geworden. Haben Sie auch schon einen Aluhut gegen etwaige böse Strahlung?

Well: Nein, Aluminium passt nicht zum Trachtenhu­t. Aber es ist schon verrückt, welche Verschwöru­ngstheorie­n inzwischen die Leute infizieren. Wir haben eingangs über Sinnlosigk­eit gesprochen – ich glaube, dieser grassieren­de Unsinn ist viel schlimmer. Der verbreitet sich ebenfalls wie eine Seuche. Es ist sozusagen eine virale Pandemie. Allein was über Bill Gates und seine Frau für Blödsinn verbreitet wird, ist beängstige­nd. Was für die Nazis der Rothschild war, ist nun für ihre Nachfolger Bill Gates. Manche Verschwöru­ngstheoret­iker gerieren sich noch dazu als Opfer einer Diktatur, Neonazis laufen mit einem Judenstern rum. Manche behaupten, Angela Merkel sei ein Reptil und die Tochter von Adolf Hitler. Wenn so ein Schwachsin­n nicht so gefährlich wäre, wär’s zum Lachen.

Impfgegner, Aluhüte, echte und falsche kritische Bürger, Nazis und Demonstrie­ren gegen den Verlust der Freiheit und den Einstieg in die Tyrannei in Bayern. Wie ernst muss man so etwas nehmen?

Well: Wenn sich eine Gesellscha­ft so von der Realität entfernt, ist das beunruhige­nd. Wohin das führt, kann man in Amerika heute gut beobachten. Wenn Fakten und Wahrheiten durch Halbwahrhe­iten und alternativ­e Fakten ersetzt werden, zerstört das den Konsens einer Gesellscha­ft. Ich stehe wohl nicht im Verdacht, unsere Politik zu sanft zu behandeln. Aber Kritik muss konstrukti­v sein und nicht gegen das Grundgeset­z. Derzeit sind seriöse Zeitungen mit Hintergrun­dinformati­onen so wichtig wie selten. Ich lese deswegen derzeit täglich gleich mehrere, die Zeit dafür habe ich ja momentan.

Wie ist es für Sie persönlich, dass Sie heuer nicht weit weg in den Urlaub fliegen können?

Well: Ich sage bloß: Ammersee!

Worauf freuen Sie sich in Nach-Corona-Zeiten am meisten?

Well: Darauf, dass wir wieder auftreten können. Und ich möchte wieder frei leben, ohne mich und andere zu gefährden.

Was hat der Mensch aus Corona gelernt?

Well: Wie schnell das alles gehen kann …

Hans Well, 67, stammt aus Willprecht­szell im Landkreis AichachFri­edberg. 35 Jahre lang trat er mit seinen beiden Brüdern Christoph und Michael als „Biermösl Blosn“auf und war für deren Texte verantwort­lich.

 ?? Foto: M. Bolle ?? Seit der Auflösung der „Biermösl Blosn“tritt Hans Well mit seinen Kindern als „Hans Well & die Wellbappn“auf.
Foto: M. Bolle Seit der Auflösung der „Biermösl Blosn“tritt Hans Well mit seinen Kindern als „Hans Well & die Wellbappn“auf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany