Neuburger Rundschau

Blüten-Zauber

In der Landwirtsc­haft gilt der „Holler“als Sonderkult­ur. Doch inzwischen ist die Wildfrucht wieder im Trend. Familie Nässl betreibt eine Plantage im Landkreis Aichach-Friedberg und schwört auf die Vielseitig­keit

- VON ANDREA SCHMIDT-FORTH

Augsburg Früher durfte an keinem Bauernhof ein Hollerbusc­h fehlen. In ihm wohnten gute Geister, gegen Erkältunge­n und Fieber kochte man Holunderbl­ütentee oder heißen Beerensaft. Wollte ein Paar heiraten oder Nachwuchs, sprach es am Hollerbusc­h um Segen vor. Starb jemand im Haus, maß der Bestatter die Länge des Sarges mit einer Hollerrute ab. „Der Holler steht für den Kreis des Lebens, wie Yin und Yang“, erzählt Ottilie Nässl, genannt Otti, gerne, wenn sie Kunden im Hofladen oder Kursteilne­hmer von der Volkshochs­chule begrüßt. Und es gibt viel zu erzählen – nicht nur über die Heilkraft der Pflanze und die Bedeutung für die Menschen hier.

Hier – das ist am äußersten Zipfel des Landkreise­s Aichach-Friedberg. „Hinter Ried durch einen langen Wald, dann links“, hatte die Landwirtin den Weg zur HolunderPl­antage beschriebe­n. Ihr Hof ist der letzte von dreien im Ortsteil Burgstall. Ringsum Felder und dann hinterm Zaun ein Meer aus weißem Blütenscha­um, das intensiv lieblich und aromatisch duftet, sobald Wind durch die Bäume streift. In Reih und Glied stehen hier auf zwei Hektar Land etwa 1200 Bäume. Jeder etwa drei Meter hoch mit lang auskragend­en Ruten. Sie tragen schwer an den üppigen Dolden.

„Unsere Bäume blühen etwas später als die, die wild am Feld- oder Waldrand wachsen. Dafür ist der Ertrag um einiges höher“, erklärt Otti Nässl. Wie etwa 90 Prozent der Plantagenh­olunder in Deutschlan­d sind sie von der Sorte Haschberg. Bislang werden hierzuland­e nur einige hundert Hektar angebaut, seit ein paar Jahren allerdings mit Tendenz nach oben.

Anfang Juni beginnt die erste Ernte. Etwa zwei Wochen lang hält die Blütenprac­ht. Sobald der Tau getrocknet ist und die Blüten weit geöffnet sind, holt Otti Nässl die Dolden vom Baum und verarbeite­t sie so schnell wie möglich: zu aromatisch­em Sirup, den man mit Sekt, zu Aperitif („Hugo“) oder erfrischen­der Limo mixen kann. Auch verschiede­ne Gelees, Essig, Sekt, Hollerblüt­ensalz und -balsam macht die gelernte Hauswirtsc­haftsmeist­erin selbst. Nach ihren Worten eine Wohltat für wunde Haut oder Lippen. Manchmal backt sie die Blüten in Pfannkuche­nteig aus: HolderKüch­le. Auch in Brot, Kuchen oder zu Torten passen sie.

Noch ein zweites Mal gibt der

Holler aus: Im späten August und im September werden die tiefrotsch­warzen Beeren geerntet, sobald sie reif sind, meist in drei oder vier Chargen binnen 14 Tagen. Auch das wieder von Hand mit der Schere. Vorsichtig werden die Dolden in die Transportk­isten aus Kunststoff gelegt, damit sie nicht platzen. Bei der Ernte packt mit an, wer Zeit hat. Auch Erntehelfe­r sind gefragt, denn es muss schnell gehen, die reifen Beeren könnten anfangen zu gären.

Wie hoch der Ertrag ist, ist abhängig von Witterung und Schädlings­befall. „Dieses Jahr sind es nenschale in ein sorgfältig gesäuberte­s großes Gefäß schichten. Sirup mit Zitronensa­ft darübergie­ßen, mit einem passend großen Teller zudecken. Zusätzlich mit Frischhalt­efolie luftdicht verschließ­en. Fünf Tage an einem kühlen Ort ziehen lassen, durch ein feines Sieb oder Mulltuch abseihen und einmal am Herd aufkochen. Heiß in sterilisie­rte Flaschen füllen und verschließ­en. Dunkel gelagert sollte der Sirup bis zu ein Jahr haltbar sein.

aber hoffentlic­h nicht die Kirschessi­gfliege, die aus Asien eingeschle­ppt wurde“, so Xaver Nässl. Mit Sonderkult­uren wie Holunder kennen sich nicht viele aus. Er hat sich über die Jahre selbst viel Wissen angeeignet. Am schlimmste­n war ein Hagelschla­g, der die Rinde der Bäume verletzte und damit fast die gesamte erste Plantage vernichtet­e.

Geht aber alles gut, lassen sich nach einer Veröffentl­ichung aus der Steiermark, dem Holler-Hotspot in Österreich, mit Holunder zehn bis elf Tonnen Beeren pro Hektar Land und Jahr erwirtscha­ften. Wie immer mehr Verbrauche­r sind inzwischen auch einige andere Bauern in Bayern auf den Geschmack gekommen. Im Unterschie­d zu ihnen verarbeite­t Familie Nässl ihre Beeren jedoch selbst. „Ich möchte auf keinen Fall von einem einzigen Abnehmer abhängig sein“, erklärt Xaver Nässl.

Außerdem zählt für die Familie die Qualität und eine lückenlose Produktion: „Unser Holler-Direktsaft wird besonders schonend gewonnen und nicht verdünnt“, erklärt Otti Nässl ihr „USP“, zu Deutsch Alleinstel­lungsmerkm­al. Erst wird der Holler am Hof kalt geLäuse, presst, dann kurz erhitzt, in Flaschen und 3-Liter-Bag-and-Boxes abgefüllt und zum Teil zu Hollerwein, Konfitüre und Punsch weitervera­rbeitet. Das alkoholhal­tige Hollerfeue­r kennen die Augsburger vom Weihnachts­markt auf Gut Mergenthau, wo die Nässls auch in diesem Jahr wieder vertreten sein werden – falls es die Corona-Pandemie zulässt. Die Saftpresse, die sie angeschaff­t haben, wird inzwischen auch von etlichen Kunden aus dem Umkreis genutzt, die vor allem Äpfel zum Saften bringen.

Auf den Holunder kamen die Landwirte, die immer schon Kälber mästen, übrigens durch die BSEKrise. Auf der Suche nach einem neuen Betriebszw­eig pflanzte Xaver Nässl vor 23 Jahren die ersten 60 Bäume an. Eine Idee seiner Frau, die damals ihr viertes Kind erwartete. Eine Freundin hatte ihr immer wieder gesagt: „Nirgends gibt es guten Hollersaft, also warum es nicht mal damit probieren?!“Sohn Max, heute 22, will die Landwirtsc­haft einmal übernehmen – samt Holunder, dem er ganz besonders verbunden ist. Als Zweijährig­er war er sehr krank. Seine Mutter gab ihm damals jeden Tag ein Gläschen vom eigenen Hollersaft. Sie ist fest davon überzeugt, dass es sein Immunsyste­m wieder aufgericht­et hat. Max Nässl lässt auf den Holunder nichts kommen. Er hat sich schon mit dem Vater in die Materie eingearbei­tet, Mittel und Wege gegen Wühlmäuse und andere Fressfeind­e gefunden und schneidet im Winter das alte Holz aus den Bäumen.

Dass Holunder förderlich für die Gesundheit ist, ist durch Studien belegt. Die Inhaltssto­ffe der Blüten sind unter anderem schweiß- und harntreibe­nd sowie entzündung­shemmend. Die Beeren enthalten viel Folsäure und Vitamin C, sorgen mit ihrem hohen Flavonoidg­ehalt für starke Widerstand­skräfte gegen Infekte, Grippevire­n, Allergien und krebserreg­ende Stoffe, schreibt Dr. Markus Strauß in seinem Buch „Köstliches von Hecken und Sträuchern“(Hädecke Verlag).

Wer die Blüten von wildem Holunder pflücken möchte, sollte sich vorher schlaumach­en. Genießbar ist nur der Schwarze Holunder. Er sollte nicht verwechsel­t werden mit dem Roten Holunder oder dem Zwergholun­der, die ebenfalls am Feldrain wachsen. Sie sind giftig! Für den Schwarzen Holunder sind unter anderem die wohlrieche­nden Blüten typisch. Und auch hier gilt: Seine Beeren müssen erhitzt werden, bevor man sie verzehrt.

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Fotos: Andrea Schmidt-Forth Max Nässl, 22, wird die Landwirtsc­haft in Ried von seinen Eltern übernehmen. Mit dem Holunder kennt er sich schon gut aus: Die Bäume brauchen einige Pflege, tragen dafür aber reichhalti­g.
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In ihrem Hofladen bietet Otti Nässl allerhand Selbstgema­chtes aus Holunderbl­üten und -beeren.

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