Blüten-Zauber
In der Landwirtschaft gilt der „Holler“als Sonderkultur. Doch inzwischen ist die Wildfrucht wieder im Trend. Familie Nässl betreibt eine Plantage im Landkreis Aichach-Friedberg und schwört auf die Vielseitigkeit
Augsburg Früher durfte an keinem Bauernhof ein Hollerbusch fehlen. In ihm wohnten gute Geister, gegen Erkältungen und Fieber kochte man Holunderblütentee oder heißen Beerensaft. Wollte ein Paar heiraten oder Nachwuchs, sprach es am Hollerbusch um Segen vor. Starb jemand im Haus, maß der Bestatter die Länge des Sarges mit einer Hollerrute ab. „Der Holler steht für den Kreis des Lebens, wie Yin und Yang“, erzählt Ottilie Nässl, genannt Otti, gerne, wenn sie Kunden im Hofladen oder Kursteilnehmer von der Volkshochschule begrüßt. Und es gibt viel zu erzählen – nicht nur über die Heilkraft der Pflanze und die Bedeutung für die Menschen hier.
Hier – das ist am äußersten Zipfel des Landkreises Aichach-Friedberg. „Hinter Ried durch einen langen Wald, dann links“, hatte die Landwirtin den Weg zur HolunderPlantage beschrieben. Ihr Hof ist der letzte von dreien im Ortsteil Burgstall. Ringsum Felder und dann hinterm Zaun ein Meer aus weißem Blütenschaum, das intensiv lieblich und aromatisch duftet, sobald Wind durch die Bäume streift. In Reih und Glied stehen hier auf zwei Hektar Land etwa 1200 Bäume. Jeder etwa drei Meter hoch mit lang auskragenden Ruten. Sie tragen schwer an den üppigen Dolden.
„Unsere Bäume blühen etwas später als die, die wild am Feld- oder Waldrand wachsen. Dafür ist der Ertrag um einiges höher“, erklärt Otti Nässl. Wie etwa 90 Prozent der Plantagenholunder in Deutschland sind sie von der Sorte Haschberg. Bislang werden hierzulande nur einige hundert Hektar angebaut, seit ein paar Jahren allerdings mit Tendenz nach oben.
Anfang Juni beginnt die erste Ernte. Etwa zwei Wochen lang hält die Blütenpracht. Sobald der Tau getrocknet ist und die Blüten weit geöffnet sind, holt Otti Nässl die Dolden vom Baum und verarbeitet sie so schnell wie möglich: zu aromatischem Sirup, den man mit Sekt, zu Aperitif („Hugo“) oder erfrischender Limo mixen kann. Auch verschiedene Gelees, Essig, Sekt, Hollerblütensalz und -balsam macht die gelernte Hauswirtschaftsmeisterin selbst. Nach ihren Worten eine Wohltat für wunde Haut oder Lippen. Manchmal backt sie die Blüten in Pfannkuchenteig aus: HolderKüchle. Auch in Brot, Kuchen oder zu Torten passen sie.
Noch ein zweites Mal gibt der
Holler aus: Im späten August und im September werden die tiefrotschwarzen Beeren geerntet, sobald sie reif sind, meist in drei oder vier Chargen binnen 14 Tagen. Auch das wieder von Hand mit der Schere. Vorsichtig werden die Dolden in die Transportkisten aus Kunststoff gelegt, damit sie nicht platzen. Bei der Ernte packt mit an, wer Zeit hat. Auch Erntehelfer sind gefragt, denn es muss schnell gehen, die reifen Beeren könnten anfangen zu gären.
Wie hoch der Ertrag ist, ist abhängig von Witterung und Schädlingsbefall. „Dieses Jahr sind es nenschale in ein sorgfältig gesäubertes großes Gefäß schichten. Sirup mit Zitronensaft darübergießen, mit einem passend großen Teller zudecken. Zusätzlich mit Frischhaltefolie luftdicht verschließen. Fünf Tage an einem kühlen Ort ziehen lassen, durch ein feines Sieb oder Mulltuch abseihen und einmal am Herd aufkochen. Heiß in sterilisierte Flaschen füllen und verschließen. Dunkel gelagert sollte der Sirup bis zu ein Jahr haltbar sein.
aber hoffentlich nicht die Kirschessigfliege, die aus Asien eingeschleppt wurde“, so Xaver Nässl. Mit Sonderkulturen wie Holunder kennen sich nicht viele aus. Er hat sich über die Jahre selbst viel Wissen angeeignet. Am schlimmsten war ein Hagelschlag, der die Rinde der Bäume verletzte und damit fast die gesamte erste Plantage vernichtete.
Geht aber alles gut, lassen sich nach einer Veröffentlichung aus der Steiermark, dem Holler-Hotspot in Österreich, mit Holunder zehn bis elf Tonnen Beeren pro Hektar Land und Jahr erwirtschaften. Wie immer mehr Verbraucher sind inzwischen auch einige andere Bauern in Bayern auf den Geschmack gekommen. Im Unterschied zu ihnen verarbeitet Familie Nässl ihre Beeren jedoch selbst. „Ich möchte auf keinen Fall von einem einzigen Abnehmer abhängig sein“, erklärt Xaver Nässl.
Außerdem zählt für die Familie die Qualität und eine lückenlose Produktion: „Unser Holler-Direktsaft wird besonders schonend gewonnen und nicht verdünnt“, erklärt Otti Nässl ihr „USP“, zu Deutsch Alleinstellungsmerkmal. Erst wird der Holler am Hof kalt geLäuse, presst, dann kurz erhitzt, in Flaschen und 3-Liter-Bag-and-Boxes abgefüllt und zum Teil zu Hollerwein, Konfitüre und Punsch weiterverarbeitet. Das alkoholhaltige Hollerfeuer kennen die Augsburger vom Weihnachtsmarkt auf Gut Mergenthau, wo die Nässls auch in diesem Jahr wieder vertreten sein werden – falls es die Corona-Pandemie zulässt. Die Saftpresse, die sie angeschafft haben, wird inzwischen auch von etlichen Kunden aus dem Umkreis genutzt, die vor allem Äpfel zum Saften bringen.
Auf den Holunder kamen die Landwirte, die immer schon Kälber mästen, übrigens durch die BSEKrise. Auf der Suche nach einem neuen Betriebszweig pflanzte Xaver Nässl vor 23 Jahren die ersten 60 Bäume an. Eine Idee seiner Frau, die damals ihr viertes Kind erwartete. Eine Freundin hatte ihr immer wieder gesagt: „Nirgends gibt es guten Hollersaft, also warum es nicht mal damit probieren?!“Sohn Max, heute 22, will die Landwirtschaft einmal übernehmen – samt Holunder, dem er ganz besonders verbunden ist. Als Zweijähriger war er sehr krank. Seine Mutter gab ihm damals jeden Tag ein Gläschen vom eigenen Hollersaft. Sie ist fest davon überzeugt, dass es sein Immunsystem wieder aufgerichtet hat. Max Nässl lässt auf den Holunder nichts kommen. Er hat sich schon mit dem Vater in die Materie eingearbeitet, Mittel und Wege gegen Wühlmäuse und andere Fressfeinde gefunden und schneidet im Winter das alte Holz aus den Bäumen.
Dass Holunder förderlich für die Gesundheit ist, ist durch Studien belegt. Die Inhaltsstoffe der Blüten sind unter anderem schweiß- und harntreibend sowie entzündungshemmend. Die Beeren enthalten viel Folsäure und Vitamin C, sorgen mit ihrem hohen Flavonoidgehalt für starke Widerstandskräfte gegen Infekte, Grippeviren, Allergien und krebserregende Stoffe, schreibt Dr. Markus Strauß in seinem Buch „Köstliches von Hecken und Sträuchern“(Hädecke Verlag).
Wer die Blüten von wildem Holunder pflücken möchte, sollte sich vorher schlaumachen. Genießbar ist nur der Schwarze Holunder. Er sollte nicht verwechselt werden mit dem Roten Holunder oder dem Zwergholunder, die ebenfalls am Feldrain wachsen. Sie sind giftig! Für den Schwarzen Holunder sind unter anderem die wohlriechenden Blüten typisch. Und auch hier gilt: Seine Beeren müssen erhitzt werden, bevor man sie verzehrt.