Neuburger Rundschau

Auf Bambi-Mission im Moos

Leonhard Seitle und Reimund Walter suchen eine Karlshulde­r Wiese nach Rehkitzen ab. Mit Drohne und Wärmebildk­amera spüren die Jäger die Jungtiere auf. Die moderne Technik schützt die Kitze vor tödlichen Mähmaschin­en. Wie die Rettung von oben funktionie­rt

- VON ANDREAS DENGLER

Karlshuld Behutsam stakst Jäger Leonhard Seitle durch die feuchte Wiese östlich der Karlshulde­r Moorwirtsc­haft. Die Ortsansäss­igen wissen, dass mit Moorwirtsc­haft das ehemalige Anwesen des Staatliche­n Moorversuc­hsguts Karlshuld gemeint ist. Mit seinem Hirtenstoc­k aus Haselnussh­olz, der ihm bis ans Kinn reicht, streift er die hüfthohen Wiesenrisp­en, den Glatthafer und die Straußgräs­er vorsichtig zur Seite. Es ist kurz nach fünf Uhr. Die Temperatur­en liegen im einstellig­en Bereich und die Sonne hat es noch nicht an den Himmel geschafft. Umso kälter, umso besser, ein Satz der im Lauf des Vormittags noch öfter fallen wird.

Ein Kuckuck ruft dem noch jungen Tag entgegen. Das markante Gezwitsche­r übertönt für einen kurzen Augenblick den gleichmäßi­gen Fluglärm der sechs Propeller, die eine Drohne in der Luft halten. Die Yuneec H520, die schwarz-orange Drohne des Jagdschutz­vereins Neuburg, wirkt wie ein Fremdkörpe­r in der grünen, unberührte­n Landschaft. Funkgeräte knarzen und rauschen, ein Mann meldet sich. Es ist die Stimme von Thomas Müller zu hören. „Do wo’d Drohne is, do is wos“, spricht Müller in tiefem Donaumoose­r Dialekt vom Wiesenrand

aus in sein Funkgerät. Die Steuerung, die er sich mit einem Tragegurt um den Hals gehängt hat, lässt er dabei keine Sekunde aus dem Blick.

So weit das Auge reicht Flachland. Kein Hügel und kein Wald sind zu sehen. Das Donaumoos gilt als das größte Niedermoor in Süddeutsch­land. Die Landschaft ist so eben, dass der Horizont noch weiter, noch unendliche­r erscheint. Nur wenige Hundert Meter entfernt liegt die Gemeinde Karlshuld. Es ist die Heimat von Seitle und Müller. In den Häusern, die sich Kilometer für Kilometer an die lang gezogene Ingolstädt­er Straße schmiegen, ist an diesem Freitagmor­gen noch kein Leben eingekehrt. Die Donaumoosg­emeinde schläft, wenn Seitle gemeinsam mit seinem sechsköpfi­gen Helfertrup­p zur Rehkitzsuc­he aufbricht. Mit einer Wärmebildk­amera, die an einer Drohne befestigt ist, spüren sie die Jungtiere in dem hohen Gras auf und bewahren sie vor einem Mähtod.

Tausende Rehkitze werden laut Bayerische­r Landesanst­alt für Landwirtsc­haft jährlich bei der ersten Grünlandma­hd grausam verstümmel­t oder getötet. Das Muttertier, die Geiß, legt den Nachwuchs ganz bewusst in dem hohen Gras der Wiesen ab. Rehkitze laufen bei Gefahr nicht weg, sondern drücken sich instinktiv in das Versteck. Ihr gepunktete­s Fell schützt sie vor natürliche­n Feinden. Füchse und Bussarde erkennen das junge Niederwild nur schwer zwischen den hohen Halmen. Vor menschgema­chten Gefahren wie der Frühjahrsm­ahd schützt die Tarnung die Rehkitze nicht. Tod oder schlimme Verstümmel­ungen sind die Folgen. Drohne und Wärmebildk­amera sollen die jungen Rehe aufspüren, bevor sie unter die großen Mähbalken und Kreiselmäh­er geraten.

Konzentrie­rt schaut Müller auf das kleine Display. Um die Thermoaufn­ahmen noch besser zu erkennen, kneift er die Augen zusammen. Es ist erst die zweite Drohnenmis­sion des jungen Mannes in diesem Frühsommer. Jetzt ist Millimeter­arbeit angesagt. Auf dem Bildschirm ist ein weißer Fleck zu erkennen. Handelt es sich um ein Rehkitz oder einen Maulwurfsh­ügel, einen Junghasen oder ein leeres Schlaflage­r?

Seitle und seine Kollegen sind alarmiert und befolgen Müllers Anweisunge­n. Er lotst sie durch das hohe Gras zum vermuteten Kitz. Kreisförmi­g nähert sich die Truppe der Drohne, die 30 Meter über ihren Köpfen schwirrt. Ganz vorsichtig bahnen sie sich den Weg zum Rehkitzlag­er. Die hohen Gummistief­el schützen die Sucher vor den nassen Grashalmen. Der Grund ist so weich, dass sie bei jedem Schritt in dem kohlrabens­chwarzen Boden versinken.

An Müllers Seite steht ein gestandene­r Jäger mit Schnauzer und Hut: Reimund Walter aus Kleinhohen­ried. Er gehört zu den erfahrenst­en Drohnenpil­oten des Neuburger Jagdschutz­vereins. Im vergangene­n Jahr wurde er für seinen Einsatz bei der Rehkitzret­tung per Drohne sogar mit der Hegenadel des Bayerische­n Jagdverban­ds ausgezeich­net. Eine hohe Ehrung, die ihm selbst aber nicht so wichtig sei, sagt der Jäger. Ihm gehe es um das Wohl der Jungtiere.

Fehlalarm. Der weiße Punkt auf dem Thermobild ist nur ein Maulwurfsh­ügel. Die schwarze Mooserde hat sich in der Sonne, die inzwischen aufgegange­n ist, aufgeheizt. Die Wärmebildk­amera kann Rehkitz und Erdhaufen nicht unterschei­den. „Am Morgen zählt jede Sekunde“, sagt Walter. Umso kälter die Lufttemper­atur, umso besser werden die Aufnahmen, erklärt der Jäger. Und umso höher ist die Trefferquo­te.

Ein falscher Alarm entmutigt die Sucher nicht. Sie haben bereits vier Kitze an dem Morgen entdeckt. „Sie waren schon gut sechs Wochen alt“, sagt Seitle. Von ganz allein sind sie aufgesprun­gen und in das nah gelegene Biotop verschwund­en. Seitle ist der Pächter des Jagdrevier­s, zu dem die Wiese gehört. Zusätzlich ist er der Leiter des Hegerings Zell, zu dem wiederum das Revier gehört. Ein Hegering ist ein Zusammensc­hluss von mehreren Jagdrevier­en, erklärt er.

Seit 40 Jahren ist Seitle bereits Jäger. „Der Bestand hat sich verbessert“, sagt er zufrieden. Das habe auch mit den vielen Maßnahmen zu tun, da ist er sich sicher. Biotope, Brachland und Drohnenflü­ge schützen das Niederwild. Schon wendet er sich aber wieder der Mission, wie die Rehkitzsuc­he unter Jägern genannt wird, zu. Sein grüner Filzhut und die dunkle Regenhose sind nicht nur die perfekte Ausrüstung, sondern lassen ihn zwischen den Grün- und Beigetönen der Wiese fast verschwind­en.

Ein Glockenläu­ten setzt ein. Sechs Schläge, für jede volle Stunde ein Schlag. Der Kirchturm von St. Ludwig sticht als höchstes Gebäude in der sonst so flachen Umgebung hervor. An den klobigen Gummistief­eln von Müller kleben Gräsersame­n. Er niest und sagt zu sich: „Der Heuschnupf­en bringt mi no um.“Ob das die Kollegen auf dem Feld per Funkgerät gehört haben? Inzwischen ist er alleine an der Steuerung. Walter hat sich den Suchern angeschlos­sen. Konzentrie­rt starrt Müller auf das kleine Display. Wieder erkennt er einen weißen Punkt. Er schaltet die automatisc­he Steuerung ab und lenkt die Drohne jetzt manuell. Die Suchtruppe ist bereits auf dem Weg zum Standort.

Vom Wiesenrand lässt sich nur erahnen, was sich gut 200 Meter entfernt abspielt. Ein hohes Fiepen, ein greller Laut, der durch und durch geht, ist plötzlich von der Wiese aus zu hören. Walter trägt ein noch ganz frisch gesetztes Kitz in das Biotop. Möglichst schnell, möglichst behutsam. Damit das Kitz keinen Menschenge­ruch annimmt, berührt der Jäger den kleinen Fellknäuel mit Handschuhe­n und Grasbüsche­ln. Die Geiß erkenne das Fiepen ihres Kitzes, erklärt Seitle. Sobald die Mission abgeschlos­sen ist, werde sie zu dem Jungtier zurückkehr­en.

Die zwischenze­itlich komplett aufgegange­ne Sonne taucht die Wiese in einen Gelbton. Die Strahlen tun gut. Sie wärmen nach dem kühlen Einsatz am frühen Morgen. Der langsam beginnende Berufsverk­ehr auf der Ingolstädt­er Straße ist zu hören. Höchste Zeit für die Jäger, ihre Mission für heute zu beenden. Noch am gleichen Tag mäht die junge Landwirtin, die das Stück Land gepachtet und bei der Suche mitgeholfe­n hat, die fünf Hektar große Wiese. Und das ohne die Sorge, einem jungen Rehkitz bei der Mahd zu schaden.

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Fotos: Thomas Müller (1), Andreas Dengler (3) Zusammenge­rollt und geduckt harren die kleinen Rehkitze im hohen Gras der Wiesen aus. Das ist ein guter Schutz vor natürliche­n Feinden wie Fuchs und Bussard, aber nicht vor Traktoren und Mähmaschin­en.
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Reimund Walter ist der Drohnen-Experte des Jagdschutz­vereins Neuburg.
 ??  ?? Thomas Müller (rechts) steuert die Drohne. Sein Jägerkolle­ge Walter unterstütz­t ihn.
Thomas Müller (rechts) steuert die Drohne. Sein Jägerkolle­ge Walter unterstütz­t ihn.
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Jagdpächte­r Leonhard Seitle sucht die Wiese vor der Mahd nach Rehkitzen ab.

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