Neuburger Rundschau

Und plötzlich bangen Menschen wieder um den Job

Über Jahre mussten sich die meisten Deutschen keine Sorgen um ihre Stelle machen. Der Aufschwung hielt, der Wohlstand wuchs und an die Zeit, als die Bundesrepu­blik der kranke Mann Europas war, erinnerten sich immer weniger. Dann kam Corona. Und die Folgen

- VON STEFAN KÜPPER, STEFAN STAHL UND MICHAEL KERLER

Augsburg/München/Ingolstadt/Allmanshof­en Es war an einem Freitag, dem 13., als sie ein ungutes Gefühl bekamen. Eigentlich hätte es in Kloster Holzen eine Tagung geben sollen. Aber dann, eine Stunde vor Beginn, kam ein Anruf. Die erwarteten Gäste sagten, es tue ihnen leid, aber sie könnten nicht kommen. Ansage vom Chef. Der habe alles abgesagt. Wegen des Virus. Diese Stornierun­g, sagt Beatrice Mati´c, „war der Moment, an dem sich die Stimmung bei uns gedreht hat. Da war klar: Es läuft in die falsche Richtung.“

Beatrice Mati´c arbeitet in dem vormaligen Benediktin­erkloster in Allmannsho­fen an der Rezeption. Sie steht für Tausende, die in der Hotellerie und Gastronomi­e beschäftig­t sind. Beziehungs­weise waren. Kaum eine Branche hat unter der Pandemie und dem Lockdown derart gelitten. Tag für Tag, Freitag, der 13. Keine Gäste, kein Umsatz. Und das heißt in der Konsequenz: Kurzarbeit, Kündigunge­n. Die Arbeitslos­igkeit im deutschen Gastgewerb­e im April stieg um 208 Prozent im Vergleich zum Vorjahresm­onat. Laut Bayerische­m Hotel- und Gaststätte­nverband war das die „höchste Steigerung aller Branchen der deutschen Wirtschaft“. Auch bei der Kurzarbeit sind die Zahlen heftig: Waren im Februar deutschlan­dweit 173 in Kurzarbeit, wurde im März und April für über eine Million Beschäftig­te Kurzarbeit angezeigt. Und das sind nur die Zahlen aus einer Branche. Am Mittwoch hat die Bundesagen­tur für Arbeit ihre Mai-Statistik veröffentl­icht. Völlig untypisch für die Jahreszeit ist die Zahl der Arbeitslos­en im Vergleich zum April noch einmal um 169 000 Menschen auf 2,813 Millionen gestiegen. Immer mehr Deutsche machen sich folglich Sorgen um die Zukunft ihres Jobs.

Jedenfalls läuft es am Arbeitsmar­kt derzeit in die falsche Richtung. Mati´c erzählt, dass sie und ihre Kollegen dann, nach der ziemlich plötzliche­n Absage, das schon fertig hergericht­ete Buffet aufgegesse­n hätten. In dem prächtigen Klosterbau, wo man auch sehr schön Hochzeit feiern kann, hat es schon ausgelasse­nere Mahlzeiten gegeben. An dem auf den Freitag folgenden Montag, es war der 16. März, wurde der 53Jährigen und ihren Kollegen gesagt, dass sie in Kurzarbeit müssten. Auf ihren Chef und ihren Arbeitgebe­r lässt sie dabei nichts Schlechtes kommen. Was hätte er machen sollen? Shutdown ist Shutdown. Kurzarbeit ist ein Instrument, um Menschen ihre Arbeitsste­lle zu erhalten. Nicht, um sie loszuwerde­n. Diesen Montag geht es im Kloster wieder los. Die Mutter zweier Töchter ist darüber sehr froh, denn: „Dass es so lange dauert, hätte ich nicht gedacht.“

Wer hätte das damals schon? Das Virus ist wie unsichtbar­es Pech, das alle wirtschaft­liche Dynamik verkleiste­rt und zum Stillstand zwingt. Niemand kann was dafür, alle müssen sich dazu irgendwie verhalten. Die neue, deutlich unschönere Arbeitswel­t sortiert sich gerade erst. Und sie verlangt vielen sehr vieles ab.

Wie viel, das weiß Verena Arnold. Sie arbeitet bei der Agentur für Arbeit in Ingolstadt. Weil bei ihnen derzeit deutlich mehr los ist als sonst, hilft die Berufsbera­terin bei den Kollegen der Corona-Hotline aus. Sie beginnt um 7 Uhr. Ab 8 Uhr sind die Leitungen frei. Feierabend ist derzeit öfter später. Denn wer bei ihr anruft, dem ist es in aller Regel dringend. Arnold bekommt Härtefälle zu sprechen: Da ist zum Beispiel die alleinerzi­ehende Mutter, eine Köchin. Auch sie in Kurzarbeit. Ihr blieben netto 700 Euro für sich und ihr Kind. Nach Abzug der Miete und sonstigen Fixkosten sind es nur noch 40 Euro. Die junge Frau kommt für den sogenannte­n Notfall-KiZ infrage. Im Sozialschu­tzpaket hat die Bundesregi­erung bei den Regelungen für den Kinderzusc­hlag kurzfristi­g etwas geändert. Für wen das Verdienst nicht mehr zum Leben reicht, erhält bis zu 185 Euro pro Kind. Das ist natürlich besser als nichts. Aber gut ist es damit auch nicht.

Das weiß auch Bettina Kohlrausch. Sie ist Wissenscha­ftliche Direktorin des Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­chen Instituts (WSI) der Hans-BöcklerSti­ftung. Kurzarbeit­erzahlen wie jetzt hat es in der Geschichte der Bundesrepu­blik nicht gegeben. Anders als in den USA sei die Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d anfangs nicht stark angestiege­n. „Das Kurzarbeit­ermodell erfüllt erfolgreic­h die Funktion, dass die Menschen in Arbeit bleiben und wir ohne einen explosiven Anstieg der Arbeitslos­igkeit durch die Krise kommen können“, sagt sie. Direkt zu Beginn der Krise habe sich dementspre­chend in Deutschlan­d die Angst vor Arbeitslos­igkeit noch in Grenzen gehalten. „Jetzt sind allerdings die Arbeitslos­enzahlen angestiege­n – und es kann sein, dass sich dies ändert.“

Eine große Rolle habe bereits vor der Krise die Abstiegsan­gst gespielt, die Befürchtun­g, den Lebensstan­dard nicht halten zu können. Das könne durch die Krise verstärkt werden. Denn gerade den Dienstleis­tungsberei­ch hat die Krise massiv getroffen. Und dort sind die Löhne sowieso gering. „Wer an der Nordseeküs­te in einem Gasthaus arbeitet, in einem Kosmetikst­udio oder als Friseur, kommt mit 100 Prozent des Lohnes nur schwer über die Runden, mit Kurzarbeit­ergeld wird die Lage noc scherin. In einer Umfrage Prozent der Befragten, d Kurzarbeit­ergeldes erhiel drei Monate mit dem geri zuhalten.

Kohlrausch übt deshalb Kurzarbeit­ermodell: „Das mere Haushalte nicht exist nachteilig­t würden auch Fr tensplitti­ng nutzen. Die Fo dass die Corona-Krise Fra den großen Verlierern zäh profitiere­n einer Studie ihr seltener von einer Aufstoc des – bei Frauen sind es 28 36 Prozent. Gleichzeit­ig si stärkt auf die Kinder aufp Kindergärt­en geschlosse­n Gefahr, dass sich bestim Muster wieder verfestige­n Krise dauert“, warnt die P dafür vor allem eine: „A schnell wieder eine vernün in Schulen und Kindergärt „Hier sind kreative Lösu schooling gefragt. Es muss rokratisch­e Lösungen für d

Beatrice Mati´c entschied tät und ging aufs Rübenfe nachbarten Ehingen, der d fehlen wegen Corona die H einen ziemlich verzweifel­te Hotel. Der kümmerte sich gestellten“an. Nun arbeite so ihr Kurzarbeit­sgeld au kehrs- und Hotelmanag­em morgens auf dem Feld un gefällt, was sie tut. Klar, e Euro die Stunde, den sie au möchte. Aber: „Mir mac schön, am Abend seinen K Hof seien alle wie eine groß gebe es immer ein schönes ist vergessen, wie lang so kann.

Das Hotel- und Gastgew für die es hart auf hart kam schäft läuft erst wieder sc schäftigte­n der Automo kommt. Wenn auch auf an hat noch selten so viel verd Ein Blick zu Audi nach Ing

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Kritik am deutschen Kurzarbeit­ergeld ist für ärenzsiche­rnd“, sagt sie. Beauen, wenn sie das Ehegatrsch­erin befürchtet zudem, uen doppelt trifft und sie zu len könnten. Zum Beispiel es Instituts zufolge Frauen kung des Kurzarbeit­ergelProze­nt, bei Männern aber nd es die Frauen, die verassen, wenn Schulen oder haben. „Damit besteht die mte geschlecht­sspezifisc­he – vor allem, je länger die rofessorin. Lösung gebe es lles steht und fällt damit, ftige Betreuung der Kinder en sicherzust­ellen“, sagt sie. ngen wie digitales Homeschnel­l flexible und unbüie Eltern geben.“sich auch für die Flexibilil­d. Beim Biobauern im beas Kloster Holzen beliefert, elfer aus Osteuropa. Es gab n Anruf bei ihrem Chef im und fragte bei seinen „Freit sie auf dem Hof und stockt f. Mati´c hat Fremdenver­ent studiert. Jetzt steht sie d jätet Beikraut. Aber: Ihr s ist ein Knochenjob für elf ch nicht für immer machen ht das großen Spaß. Es ist örper zu spüren.“Auf dem e Familie. Nach der Schicht gemeinsame­s Essen. Dann eine Rübenreihe werden

erbe ist eine der Branchen, und kommt. Denn das Gehleppend an. Was den Bebilbranc­he bekannt vorderem Niveau. Ein Kellner ient wie ein Mechatroni­ker. olstadt zeigt jedenfalls, dass auch in Pandemie-Zeiten Mitarbeite­r der Branche gegenüber anderen Wirtschaft­szweigen privilegie­rt sind. Zwar befand sich hier zu Hoch-Krisenzeit­en etwa die Hälfte der rund 61000 inländisch­en Beschäftig­ten in Kurzarbeit, nachdem die Produktion runtergefa­hren worden war. Doch wohl dem, der eine starke Gewerkscha­ft wie die IG Metall im Rücken hat. Der Arbeitnehm­erseite um den Audi-Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzenden Peter Mosch gelang es, den finanziell­en Besitzstan­d der Beschäftig­ten weitgehend zu wahren. So stockt Audi das Kurzarbeit­ergeld auf 95 Prozent des monatliche­n Nettogehal­ts auf, was selbst für Mitarbeite­r der Metall- und Elektroind­ustrie, zu der die Autoherste­ller gehören, eine komfortabl­e Lösung darstellt. Beschäftig­te anderer Branchen, in denen weniger gewerkscha­ftlich organisier­t sind und daher auch die Macht der Arbeitnehm­ervertretu­ngen entspreche­nd geringer ausfällt, schneiden schlechter ab.

Dabei geht die Zahl der Kurzarbeit­er bei Audi mit dem schrittwei­sen und schon weit fortgeschr­ittenen Hochfahren der Produktion immer mehr zurück. Inzwischen hat sich die Zahl der Kurzarbeit­er auf knapp 15000 in etwa halbiert. Am Hauptsitz in Ingolstadt sind noch rund 9200 der insgesamt etwa 44100 Beschäftig­ten von den kürzeren Arbeitszei­ten betroffen. Dabei sei die Tendenz weiter fallend, sagt Mosch.

Ist die Audi-Welt also in einigen Monaten wieder in Ordnung? Wohl kaum. Der Audi-Betriebsra­tsvorsitze­nde meint dazu: „Die Beschäftig­ten sind zwar zufrieden mit dem, was wir für sie in Corona-Zeiten herausgeho­lt haben. Sie schauen jedoch sorgenvoll in die Zukunft.“Der Blick geht dabei auf die weitere konjunktur­elle Entwicklun­g und die Auswirkung­en der staatliche­n Hilfen. Mosch ist aber zunächst einmal enttäuscht: „Das Konjunktur­paket der Bundesregi­erung hat im Bereich der Kaufanreiz­e für Fahrzeuge einen entscheide­nden Schönheits­fehler: Die einseitige Fokussieru­ng auf E-Fahrzeuge geht an den Kaufoption­en der Kunden vorbei und wird auf dem Markt aktuell keinen kräftigen Nachfrage-Impuls für die heimische Automobil- und Zulieferin­dustrie setzen können.“Und der Gewerkscha­fter warnt: „Wenn der Absatz nicht anspringt, werden auch wir Probleme bekommen.“Im Spätsommer dürfte es Anhaltspun­kte geben, ob die Zahl der durch Beschäftig­ungsgarant­ien abgesicher­ten Arbeitsplä­tze nach Auslaufen der Kurzarbeit in etwa gehalten werden kann. Denn die Autoherste­ller, nicht nur Audi, streichen Stellen – unabhängig von der Pandemie. Ob das ausreicht, wenn sich die Folgen der Corona-Krise weit in das nächste Jahr hineinzieh­en, ist offen. Auf alle Fälle steht für die Beschäftig­ten finanziell viel auf dem Spiel. Unternehme­n und Angestellt­e, auch aus dem Maschinenb­au, bilden ein Wohlstands­und Arbeitspla­tzbollwerk gerade in Süddeutsch­land. Wenn es bröckelt, fällt erfahrungs­gemäß der Putz in der Gesamtwirt­schaft ab.

Das Besondere dieser Krise ist, dass sie quer durch die Branchen geht. Sie wirkt in der Breite. Aber auch wenn gerade immer mehr Menschen ihre Arbeit verlieren, erklärt Verena Arnold von der Arbeitsage­ntur in Ingolstadt, warum aber ein differenzi­erter Blick auf den Arbeitsmar­kt notwendig ist. Denn der Fachkräfte­mangel bleibe. Und in der Region Ingolstadt gebe es nach wie vor ein Überangebo­t an Ausbildung­splätzen. Zugleich sorgt sie sich um jene, die in der Probezeit sind oder befristete Verträge haben. Denn für die, die zum ersten Mal bei der Arbeitsage­ntur anriefen, für die sei das „ganz schlimm“. Der erste mit Scham erfüllte Satz ist oft: „Ich war noch nie arbeitslos.“

Mike Gallen ist diese Scham nur zu vertraut. Er ist der Arbeitslos­enseelsorg­er des Bistums München und kennt viele, die diesen Satz schon vor Jahren zum ersten Mal gesagt haben, an denen der Aufschwung des vergangene­n Jahrzehnts vorbeigega­ngen ist. Die Langzeitar­beitslosen, von denen sich mancher morgens noch immer über den Keller aus dem Haus schleicht, um den Fragen und Blicken der Nachbarn auszuweich­en. Dabei, betont Gallen, sei gerade in so einer Situation sich zu verschließ­en der falsche Weg. Er sagt: „Geteiltes Leid ist halbes Leid“und rät denen, die nun ihren Job verlieren, dringend dazu, sich jemandem zu öffnen, dem sie vertrauen. Und schnell mit den Behördengä­ngen zu beginnen. Zeit ist Geld, das gilt auch für Arbeitslos­e. Gallen glaubt mit Blick auf das ganze Land: „Deutschlan­d kann die Krise sicher besser stemmen als andere Länder. Das heißt aber noch nicht, dass es hier gut wird.“

Es macht aber Sinn, optimistis­ch zu bleiben. Beatrice Mati´c jedenfalls macht das Beste aus ihrer Situation. Dabei hat sie doppelt Pech gehabt. Denn ihr Mann Velko arbeitet ebenfalls im Kloster Holzen. Er ist dort der Bar-Chef und auch in Kurzarbeit. Trotzdem haben die beiden es vergleichs­weise noch besser als andere. Ihr Haus ist abbezahlt. „Es ist“, sagt sie, „für eine Weile verkraftba­r.“Und ihr Mann, der vor Jahrzehnte­n aus Kroatien über Österreich nach Deutschlan­d kam, hat in seiner Heimat schon härtere Zeiten mitgemacht. Dennoch freut auch er sich, wenn es am Montag wieder losgeht. Er hofft auf genügend Gäste, denn er weiß: „Zunächst muss ich was für das Hotel verdienen, dann bleibt auch etwas für mich übrig.“

Auch die Audianer schauen sorgenvoll in die Zukunft

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Grafik: Robin Sonntag; rob z/muchmania, stock.adobe.com
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