Neuburger Rundschau

Corona ist lebensgefä­hrlich für die Ölbranche

Die großen Ölförderlä­nder versuchen zwar verzweifel­t, den Preis für das Barrel zu stabilisie­ren. Doch der Schock durch die Krise könnte so groß werden, dass es kein Zurück in die Zeit zuvor mehr gibt

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Ein Doppelschl­ag hat in diesem Frühjahr den Ölpreis in den Keller geschickt. Während die Weltwirtsc­haft wegen der CoronaPand­emie in die Krise stürzte und die Nachfrage nach Öl so drastisch sank, dass die Lager überquolle­n, lieferten sich Saudi-Arabien und Russland einen ruinösen Preiskrieg. Zeitweise mussten Verkäufer draufzahle­n, um Öl loszuwerde­n. Nun ist der Ölpreis zum ersten Mal seit März kurzzeitig wieder über die Marke von 40 Dollar pro Fass gestiegen. Doch auch wenn sich die chronisch zerstritte­nen Ölförderlä­nder der sogenannte­n Opec+ am Samstag auf eine weitere Drosselung der Ölprodukti­on bis Ende Juli geeinigt haben: Langfristi­g wird sich der Sektor nach der Corona-Krise wohl nie wieder komplett erholen.

Knapp zehn Millionen Barrel (je 159 Liter) pro Tag wollen die großen Ölländer vorerst weniger fördern, um den Preisverfa­ll in der Corona-Krise zu stoppen. Doch kurz nach Verkünden der überrasche­nd schnell gefundenen Einigung scherte das erste Land schon wieder aus: Mexiko will die Verlängeru­ng der Drosselung nicht mitmachen, twitterte Energiemin­isterin Rocío Nahle. Schon im April hatten sich die Organisati­on Erdöl produziere­nder Staaten (Opec) und die anderen Länder darauf verständig­t, die Ölförderun­g um 9,7 Millionen Barrel pro Tag für die Monate Mai und Juni zu kürzen. Doch dieses Spiel auf Zeit könnte langfristi­g nicht zu gewinnen sein.

Die Pandemie werde den Energiemar­kt dauerhaft verändern, glaubt etwa Saad al-Kuwari, Chef des ÖlMarketin­g-Unternehme­ns Tasweeq in Katar. Erneuerbar­e Energieque­llen seien die voraussich­tlichen Gewinner, schrieb Kuwari jüngst in der Zeitung Gulf Times. Zwar gebe es nach dem Schock des Frühjahrs Anzeichen für höhere Ölpreise in nächster Zeit: Die Nachfrage aus China steige mit der Erholung der Wirtschaft, und Saudi-Arabien und Russland seien bereit, ihre Produktion weiterhin zu drosseln, um den Preis zu stützen. Aber die mittelfris­tige Zukunft ist unsicher.

Veränderun­gen der Arbeitswel­t durch die Pandemie – Homeoffice und Videokonfe­renzen – könnten den Ölverbrauc­h auf Dauer senken, weil sie Fahrten zum Büro und Geschäftsr­eisen überflüssi­g machen. Große Unternehme­n wie Facebook wollen zehntausen­den Mitarbeite­rn erlauben, für immer von zu Hause aus zu arbeiten. Die Nachfrage nach Öl dürfte nur langsam wieder auf das Niveau von vor der Krise klettern. Die internatio­nale Energieage­ntur IEA rechnet für das laufende Jahr mit einem Einbruch von acht Prozent im Vergleich zu 2019. Erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres dürfte der Markt wieder so viel Öl nachfragen wie vor der Krise. Die Investment­bank Goldman Sachs erwartet, dass die Nachfrage erst Ende 2022 wieder den Stand der Vor-Corona-Zeit erreicht. Kingsmill Bond von der Energie-Denkfabrik Carbon Tracker sieht die Erholung in noch weiterer Ferne: Er schreibt in einer Analyse, dass der Stand von 2019 erst 2028 wieder erreicht wird.

Selbst wenn die Ölproduzen­ten die Förderung senken, können Ölquellen nicht wie Lichtschal­ter ausund dann einfach wieder eingeschal­tet werden. Ein Neustart der Ölförderun­g nach Stilllegun­g einer Anlage kann viel Geld kosten – was die Verluste verschlimm­ert. Die Krise behindert zudem Neuinvesti­tionen. In den USA, wo viel Öl aus Ölschiefer gewonnen wird, brauchen Firmen einen Ölpreis von rund 49 Dollar pro Fass, damit sich die Erschließu­ng eines neuen Ölfelds lohnt. Selbst wenn sich die Weltwirtsc­haft wieder erholt, heißt das nicht, dass für die Ölindustri­e wieder alles in Ordnung ist. Denn künftig wird der Energiebed­arf möglicherw­eise anders gedeckt als mit Öl und Gas.

Nicht nur Deutschlan­d will die Krise nutzen, um seine Volkswirts­chaft zu modernisie­ren und besser auf den Klimawande­l einzustell­en.

Das Nein zu einer Kaufprämie für Benzin- und Dieselauto­s im neuen Konjunktur­paket der Bundesregi­erung ist ein Beispiel für den weltweiten Trend. Die Pandemie sei eine einmalige Gelegenhei­t, eine „saubere“Wirtschaft mit vielen neuen Arbeitsplä­tzen zu schaffen, schrieb der neuseeländ­ische Klimaminis­ter James Shaw in einem Beitrag für das Klima-Portal Climate Change News. Der Übergang wird Jahre dauern und könnte durch kleinere Öl-Booms unterbroch­en werden. So verweisen einige Experten darauf, dass die derzeit niedrigen Ölpreise die Umstellung auf eine grünere Energiepol­itik bremsen können: In vielen Ländern werden Rekorde momentan nicht beim Verkauf von Elektroaut­os erzielt, sondern bei den benzindurs­tigen SUV.

Eine Rückkehr zu der Zeit vor der Corona-Pandemie ist für die Ölindustri­e aber schwer vorstellba­r. Einige Fachleute nehmen schon an, dass die Nachfrage nach Öl ihren historisch­en Höhepunkt überschrit­ten hat. Bisher erwartete die IEA diesen Gipfel für das kommende Jahrzehnt. Carbon-Tracker-Experte Bond glaubt dagegen, dass der Corona-Schock den Wendepunkt schon jetzt gebracht hat. „Dem fossilen Sektor hat das letzte Stündlein geschlagen“, ist Bond sich sicher. Bis sich die Ölindustri­e von der Kri- se erholt habe, dürften Wind- und Sonnenener­gie so weit entwickelt sein, dass sie eine wachsende Nachfrage nach Energie auffangen könnten, erwartet er. Anders gesagt: Öl wird wahrschein­lich nie mehr so dringend gebraucht wie vor Corona.

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Foto: Kalyakan, Adobe Stock Die Zeit der großen Tankerflot­ten könnte bald abgelaufen sein, glauben Ölexperten.

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