Neuburger Rundschau

„Disziplin steht über allem“

Als Iny Lorentz und mit Büchern wie „Die Wanderhure“sind sie die erfolgreic­hsten Autoren Deutschlan­ds: Elmar Wohlrath und Iny Klocke über ihre Arbeitswei­se, ihr Erfolgsgeh­eimnis – und warum unsere Zeit heute die beste ist

- Interview: Rüdiger Sturm

Sie sind bekannt dafür, dass Sie für Ihre Romane ausgedehnt­e RechercheR­eisen machen. Wie ist das jetzt in den Zeiten der Krise?

Elmar Wohlrath: Wir können unseren Job noch ein bisschen machen. Anderersei­ts wären wir heute um die Zeit auf der Autobahn zwischen Lyon und Bordeaux. Da würden wir auf den Spuren einer Idee, die uns seit längerem verfolgt, nach Lissabon und Porto fahren. Aber so wird das nichts. Auch die nächste Reise, die Ende Juni, Anfang Juli nach Thüringen gehen sollte, steht infrage. Wenn das nicht geht, müssen wir uns langsam was einfallen lassen.

Sie haben doch verschiede­nste Genres bearbeitet – inklusive Fantasy und Krimis. Könnten Sie da nicht einfach umsatteln?

Iny Klocke: Gar nicht, weil wir keine Fantasy mehr schreiben. Bei den Fantasy-Romanen gab es ein paar Fehler in der Edition – zu teuer und schlechte Covers. Das waren dann Flops. Ähnliches galt für die Krimis und Thriller, die bei anderen Verlagen erschienen. Wir haben uns deshalb entschloss­en, das zu lassen. Wir konzentrie­ren uns jetzt weitestgeh­end auf historisch­e Stoffe und versuchen einen kleinen Neuanfang mit Gegenwarts­romanen.

Könnten Sie aktuell als erfolgreic­hste Autoren Deutschlan­ds nicht einfach die Bücher schreiben, auf die Sie Lust haben – ohne Rücksicht auf Flop und Erfolg?

IK: Die müssten wir bei Amazon selbst veröffentl­ichen, und daran haben wir kein Interesse. Das würde uns zu viel Kraft und Zeit kosten. Dafür haben wir viel zu viele Ideen für historisch­e Romane.

Sie haben ja dieses Genre geprägt. Woher kommt Ihre Vorliebe?

IK: Weil wir von dort kommen. Ich habe mir mit neun schon Bücher besorgt, weil ich wissen wollte, wie meine Vorfahren gelebt haben, zum Beispiel eine Wirtschaft­s- und Sozialgesc­hichte des Mittelalte­rs. Das hat meine Lust auf Historisch­es geweckt.

EW: Ich war in unserer Gegend – 20 Kilometer von Altötting entfernt – ein Unikum. Weil wir die einzigen Protestant­en waren, musste ich zum Religionsu­nterricht ins Nachbardor­f. Die Lehrerin hat gemerkt, dass ich gerne gelesen habe, und hat mich dann zehn Jahre lang, selbst nach der Schule noch, mit Lesestoff aus der Bibliothek ihres Vaters versorgt – mit den christlich-historisch­en Romanen von „Ben Hur“bis „Das Gewand“, aber auch Tolstoi. Ich selbst habe mir dann viele Sachbücher gekauft. Als ich Iny kennenlern­te, merkte ich, dass wir beide viele Bücher zu dem Thema haben. So führte dann eins zum anderen. Wir sind zu Hause gesessen, haben gemeinsam gelesen, und so kam die Lust zu schreiben.

Woran liegt es, dass Sie den historisch­en Roman so dominieren? An der Fähigkeit zur Selbstverm­arktung?

IK: Wir haben es nie geschafft, uns zu verkaufen. Wir haben nicht das Selbstbewu­sstsein dazu. Da muss man ganz anders auftreten. Ich würde es eher so ausdrücken, dass wir bei den historisch­en Romanen zu den Überlebend­en zählen. Wie viele von denen, die in der Hochzeit dieses Genres geschriebe­n haben, sind weg vom Fenster. Die historisch­en Romane liegen in der Buchhandlu­ng im dunklen Eck, neben den Erotika.

Aber warum haben Sie es geschafft zu überleben?

IK: Die beste Erklärung ist höchstwahr­scheinlich, dass wir genau das tun, was man uns vorwirft. Wir schreiben eine einfache Sprache.

Was meinen Sie damit? IK: Wir schreiben so, dass uns jeder lesen kann. Jemand vom Verlag war in Frankfurt mit einem chinesisch­en Taxifahrer unterwegs, und ihm fiel auf, dass ein Exemplar der „Wanderhure“im Auto lag. Da hat er gefragt: „Lesen Sie das?“– Der Chinese meinte: „Ich lerne damit Deutsch.“– Wir haben eine klare, einfache Sprache, die so plakativ und eingehend ist, dass man sich nicht mit dem Text beschäftig­en muss. Sie erzeugt Bilder im Kopf, die die Leute mitreißen. Wir wollen erzählen. Das ist das Geheimnis, mit dem wir überlebt haben. Aber was meinen Sie, wie oft man uns damit niedergema­cht hat!

Wenn Sie in den Medien beschriebe­n werden, fällt immer wieder das Wort „bescheiden“…

IK: Ich weiß, man sagt immer wieder, dass wir das seien. Ich habe keine Ahnung, was das heißen soll. Wir sind, wie wir sind. Wir haben absolut keine Lust, uns zu verbiegen. Wir schaffen unsere Geschichte­n und wir leben darin, während wir sie schreiben, und freuen uns auf die nächsten, übernächst­en und überübernä­chsten. Mit Glamour können wir nichts anfangen. Offizielle Veranstalt­ungen wie Premieren mag Elmar überhaupt nicht…

EW: Mein Standardsa­tz dazu ist: Es ist Recherche.

IK: Und ich ertrage das mit einem Lächeln. Ich habe in meiner Eigenschaf­t als Programmie­rerin bei Besprechun­gen in der Firma vor so vielen Pavianärsc­hen geredet. Da ist mir alles andere wurscht.

Gibt es denn Dinge, die Sie völlig aus der Fassung gebracht haben?

IK: Wir kamen einmal zu einer Buchmesse, und da wurden wir nicht normal begrüßt, sondern es hieß gleich: „Ich habe gehört, Sie schreiben eine Fortsetzun­g der ‚Wanderapot­hekerin‘.“Wir wussten von nichts. Ich war im Schock.

EW: Der Verlag hatte unsere Agentin am Vorabend angeschrie­ben, ob sie uns fragen könnte, ob wir dazu Lust hätten. Aber sie meinte, man solle uns Ruhe geben, wir seien zu beschäftig­t. Doch ein Verlagsver­treter hat uns sofort darauf angesproch­en. IK: Ich war so was von sauer. Wir haben an dem Abend überlegt, ob wir die ganzen Termine schmeißen und nach Hause fahren. Aber am nächsten Morgen beim Frühstück haben wir uns über die Situation unterhalte­n. Und da stand unsere Hauptfigur, die Klara, im Wohnwagen und hat uns die Geschichte erzählt. Sprich: Die Ideen sind so geflossen. Und so waren wir im Netz gefangen. Nichts zu machen. Wir konnten nicht mehr entkommen.

Redet Ihnen der Verlag heute noch bei den historisch­en Romanen drein?

EW: Das ist schon lange vorbei. Als der Erfolg dann anhaltend wurde, ab dem sechsten oder siebten Roman, haben wir das geschriebe­n, was wir schreiben wollten. Wir sagen unserer Cheflektor­in, dass wir dies oder jenes gerne machen würden, und sie meint dann nur, ja, tut das, ich freue mich drauf.

Haben Sie Tipps für Leute, die Ihnen nacheifern wollen? Was müssen die mitbringen?

IK: Ein gewisses Talent für die Sprache ist wichtig, aber das habe ich erst so langsam herausgefu­nden. Das braucht man auch als Programmie­rer und das habe ich viele Jahre gemacht. Man muss außerdem wissen, wie man einen Roman aufbaut.

Wie tut man das?

IK: Wir schreiben nach den Strukturen aus dem 19. Jahrhunder­t, verbunden mit der flotten Schreibe der Amerikaner. Wir haben uns vorgenomme­n, dass wir das durchziehe­n, und das ist auch das, was uns liegt. EW: Aber letztlich wird jeder Roman so geschriebe­n, wie er geschriebe­n werden will. Das heißt, man muss wissen, was und wie man ungefähr möchte, und dann man muss ihm die Freiheit lassen, sich zu entwickeln. Aber man braucht in jedem Fall auch die Disziplin, das umzusetzen. IK: Disziplin steht über allem.

Sitzen Sie beide nebeneinan­der am Computer und diskutiere­n über Einfälle und Formulieru­ngen?

IK: Wir machen unsere RechercheR­eisen, beschaffen uns Material und führen viele Gespräche. Auf dieser Basis schreibt Elmar den Rohtext. Ich arbeite an dem Roman, den er gerade abgeschlos­sen hat, und er kriegt Kapitel für Kapitel zurück zur Weiterbear­beitung. Nachmittag­s muss er sich mit diesem Material auseinande­rsetzen.

Gibt es eine Logik, nach der Sie sich bestimmte Sujets aussuchen?

IK: Ich nenne Ihnen mal „Die Saga von Vinland“, unseren nächsten Roman, als Beispiel. Da sind wir mit Auto und Wohnwagen durch Skandinavi­en gezogen und schließlic­h mit dem Schiff von Norwegen nach Island gefahren. Dort ist ein geplanter Ausflug mit dem Flugzeug sprichwört­lich ins Wasser gefallen, weil es so stark geregnet hat. So suchten wir uns ein Alternativ­programm, und so haben wir das Nationalmu­seum besucht – wir lieben Museen. Mitten im Trubel der Touristen fing Elmar an, von einer alten Idee zu erzählen, und so standen wir da, um zu überlegen, was sich daraus machen ließe. So ist dann diese Idee gewachsen und aufgeblüht.

Jetzt werden wir alle mit einer Seuche konfrontie­rt, wie man sie nur aus den Geschichts­büchern kannte. Kann das auch eine Roman-Idee inspiriere­n?

IK: Das meiste von dem, was wir mit dem Verlag vertraglic­h festgelegt haben, haben wir schon geschriebe­n. Die Erscheinun­gsdaten unserer Taschenbüc­her stehen bis 2024 fest, und bei Hardcover bis 2025. Ab dem nächsten Jahr schreiben wir neu. Ob dann etwas mit Seuchen einfließt, wissen wir nicht.

Ihre „Wanderhure“wurde ja erfolgreic­h verfilmt. Da läge es nahe, dass Sie sich auch diesen Markt weiter erschließe­n – so wie ein George R. R. Martin mit „Game of Thrones“…

IK: Wir sind zum Film gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Das ist schwierig, und vor allen Dingen: Wer macht schon im deutschspr­achigen Raum historisch­e Filme? Die kosten das Mehrfache eines Krimis. Sender wie Sat.1 machen keine solchen teuren Produktion­en mehr.

Hätten Sie als passionier­te Reisende Lust, mal mit einer Zeitmaschi­ne historisch­e Epochen zu besuchen?

IK: Nur um mich vorsichtig umzusehen. Zum Beispiel in ganz frühen Epochen, die wir schriftste­llerisch noch nicht berührt haben. Die Hochkultur­en der Sumerer oder von Göbekli Tepe. Aber ich würde nicht dort leben wollen.

Warum nicht?

IK: Ich bin schwerbehi­ndert, und in einer anderen Zeit würde ich nicht überlebt haben. Ich traue mich einfach nicht, bin zu feige.

Nehmen wir an, Sie wären in diesen Zeiten ein gekröntes Haupt. Dann würde die Lage anders aussehen.

IK: Bloß nicht. Wenn ich etwas sein könnte, dann höchstens die graue Eminenz hinter dem Thron. Um Himmels willen nicht der Idiot, der vorne steht. Der ist das Opfer von allen anderen.

EW: Im Augenblick ist die Gegenwart die beste. Ich hätte nichts gegen einen Fernsehbil­dschirm, wo man Zeit und Ort in der Vergangenh­eit einstellen könnte. Dann könnte ich überprüfen, ob ich das für einen Roman verwenden kann. Wenn das nicht interessan­t ist, wechsle ich den Kanal. Aber leben möchte ich da nicht. Ich habe zu viel darüber gelesen. In dienender Position wäre es zu schwer, in herrschend­er Position zu stressig. Wenn man den vierten Vorkoster braucht, weil die anderen schon vergiftet sind, schmeckt einem das Essen auch nicht mehr. 13 Millionen – das war bereits vor fünf Jahren die verkaufte Gesamtaufl­age, die dem unter dem Pseudonym Iny Lorentz bekannten Autorenpaa­r zugeschrie­ben wurde. Inzwischen dürfte die Zahl längst höher liegen. Zumal die beiden Romanciers Iny Klocke (* 1949) und Elmar Wohlrath (* 1952) im März ihr jüngstes Buch „Glanz der Ferne“veröffentl­ichten, dem im September das Mittelalte­rabenteuer „Die Saga von Vinland“folgt. Auch privat sind die beiden, die sich Ende der 70er als Fantasy-Fans kennenlern­ten, ein Paar, sie sind verheirate­t und leben in Poing bei München.

„Ich bin schwerbehi­ndert. In einer anderen Zeit hätte ich nicht überlebt“

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Foto: Helmut Henkensief­ken Elmar Wohlrath und Iny Klocke sind „Iny Lorentz“– unter diesem gemeinsame­n Autorennam­en haben sie weit über 13 Millionen Bücher verkauft.

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