Neuburger Rundschau

„Zuerst war ich wie gelähmt“

Rassistisc­he Anfeindung­en begleiten Arabella Kiesbauer seit Beginn ihrer Karriere. Der traurige Höhepunkt: ein Briefbombe­nattentat im Jahr 1995. Wie die Moderatori­n mit dem Hass umgeht

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München/Wien Vor 25 Jahren verlor Arabella Kiesbauer den unerschütt­erlichen Glauben an das Gute im Menschen. Damals, am 9. Juni 1995, ging eine Briefbombe in ihrem Münchner Talkshow-Studio hoch – adressiert an die Moderatori­n. Ihre Assistenti­n wurde leicht verletzt. „Ich musste mich von einer gewissen Leichtigke­it des Seins verabschie­den“, sagt Kiesbauer nun, 25 Jahre später, zum Jahrestag dieses einschneid­enden Erlebnisse­s. „Zuerst war ich wie gelähmt.“

Für alle im Sender sei es ein großer Einschnitt gewesen: „Von diesem Zeitpunkt an wurde die gesamte Post im Haus durchleuch­tet, Security bewachte den Zutritt ins Studio und begleitete mich auf Schritt und Tritt. Das Schlimmste war aber der Verlust der Unschuld – wenn Sie verstehen, was ich meine“, sagt Kiesbauer. Sie habe sich vom „unerschütt­erlichen Glauben an das Gute verabschie­den“müssen.

Ein österreich­ischer Rechtsterr­orist wurde 1999 für diese und weitere Taten zu lebenslang­er Haft verurteilt. Er hatte nicht nur die Bombe an Kiesbauer geschickt, sondern war nach Auffassung des Gerichtes verantwort­lich für eine ganze Serie von Rohr- und Briefbombe­n, die zwischen 1993 und 1996 vier Menschen töteten und 15 verletzten, einige von ihnen schwer. Prominente­stes Opfer war der damalige Wiener Bürgermeis­ter Helmut Zilk, dessen linke Hand von einer Briefbombe zerfetzt wurde. Der verurteilt­e Bombenbaue­r starb im Jahr 2000.

Die Bombe war der traurige Höhepunkt einer Reihe von Drohbriefe­n und rassistisc­hen Hassattack­en, die Kiesbauers Kult-Talkshow „Arabella“, die von 1994 bis 2004 bei ProSieben lief, begleitete – und die bis heute nicht abgerissen ist. „Früher bekam ich rassistisc­he Briefe ohne Absender, mittlerwei­le stehen der komplette Name und die Anschrift darauf“, sagt Kiesbauer, Tochter einer Theatersch­auspieleri­n aus Deutschlan­d und eines Ingenieurs aus Ghana. „Erschrecke­nd ist, dass die rechte Szene das Gefühl hat, sich nicht mehr verstecken zu müssen.“

Vier Jahre nach der Bombe gingen Briefe mit Morddrohun­gen gegen Kiesbauer und ihren RTL-Kollegen Hans Meiser ein, mit denen die Erpresser die Privatsend­er dazu zwingen wollten, die Shows abzusetzen. Kiesbauers Management bestätigte damals, dass die Zahl ihrer Leibwächte­r von einem auf sechs erhöht wurde. 2004 erhielt sie vor ihrem Auftritt in der Schweizer Sendung „MusicStar“Morddrohun­gen und ließ sich ebenfalls von Bodyguards bewachen. Aber: „Ich wollte aus der Opferrolle ausbrechen und in die Offensive gehen“, sagt sie heute. Darum habe sie ziemlich direkt nach dem Briefbombe­n-Attentat begonnen, an deutschen Schulen über Rassismus und gegen Vorurteile zu sprechen. Sie ist heute noch ehrenamtli­che Integratio­nsbotschaf­terin in Österreich.

Sie habe sich damit abgefunden, wohl ihr ganzes Leben lang rassistisc­h angefeinde­t zu werden, sagt Kiesbauer. „Ich bin realistisc­h genug zu wissen, dass mich Rassismus mein Leben lang begleiten wird. Der Tod des Afroamerik­aners George Floyd zeigt wieder einmal, dass Rassismus und soziale Ungerechti­gkeit nach wie vor ein Thema unserer Zeit sind“, sagt die Moderatori­n. Britta Schultejan­s, dpa

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Archivfoto: dpa Arabella Kiesbauer moderierte lange eine eigene Talkshow.

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