Neuburger Rundschau

Wann ein künstliche­s Hüftgelenk nötig ist

Mit Beratung, Physiother­apie und gesunder Ernährung lässt sich eine Arthrose beeinfluss­en. Entscheide­nd ist eine frühe Diagnose. Auf was Betroffene achten sollten

- VON ANGELA STOLL

„Das Schlimmste sind die Nächte, weil man nicht weiß, wie man liegen soll“, berichtet eine 57-jährige Patientin über ihre Hüftarthro­se. „Der Schmerz lässt dich nicht einschlafe­n. Das macht einen fertig.“Manchmal ist sie mitten in der Nacht Treppen gestiegen, um besser in den Schlaf zu finden. Nach jahrelange­m Martyrium hat sie inzwischen ein künstliche­s Hüftgelenk. Aber vielleicht hätte sich das alles vermeiden lassen, wenn man früh etwas unternomme­n hätte? „Ich hatte seit meiner Jugend Probleme mit der Hüfte. Wenn ich über Arthrose Bescheid gewusst hätte, hätte ich sie vielleicht gar nicht erst bekommen.“

In der Tat ist bei Hüftarthro­se eine frühe Diagnose wichtig, wie Prof. Dr. Klaus-Peter Günther, Hüftchirur­g und Orthopäde am Unikliniku­m Dresden betont. „Zum einen kann man durch Prävention­smaßnahmen den Verlauf verlangsam­en. Zum anderen lassen sich manche Fehlstellu­ngen des Hüftgelenk­s durch operative Eingriffe korrigiere­n, sodass sich der Krankheits­verlauf bremsen, manchmal sogar stoppen lässt.“Einige Patienten haben Anomalien am Hüftgelenk, aufgrund derer sich über die Jahre Arthrose entwickelt hat. Sie leiden zum Beispiel an einer angeborene­n Hüftdyspla­sie, nämlich einer Fehlbildun­g der Hüftgelenk­spfanne, oder an einem Impingemen­t des Hüftkopfs: Dabei passen Oberschenk­elknochen und Hüftpfanne nicht richtig ineinander, sodass es zu einem Engpass und Bewegungss­törungen kommt. „Eine der Hauptursac­hen

eines Impingemen­ts ist exzessiver Sport im Jugendalte­r“, sagt der Experte. Neben solchen Verformung­en sind Übergewich­t und Überlastun­gen, etwa durch schweres körperlich­es Arbeiten, wichtige Risikofakt­oren bei Hüftarthro­se.

Bei vielen Patienten ist der Gelenkvers­chleiß so weit fortgeschr­itten, dass sie an Schmerzen und Bewegungse­inschränku­ngen leiden. Auch sie brauchen nicht gleich ein neues Hüftgelenk. Oft können konservati­ve, also nicht-operative Methoden die Krankheit positiv beeinfluss­en, wenn auch nicht heilen. „Das Wichtigste ist zunächst die Informatio­n und Beratung der Patienten. Dieser Punkt wird oft unterschät­zt“, sagt Günther. Auch Carl Christophe­r Büttner vom Deutschen Verband für Physiother­apie erklärt: „Aufklärung ist ein besonders wichtiger Teil der Therapie, da es nach wie vor viele ‚falsche‘ Mei

zu Arthrose gibt, die den Krankheits­verlauf negativ beeinfluss­en können.“So hält sich konstant der Mythos, Bewegung sei bei Arthrose schädlich. Dabei ist das Gegenteil der Fall, wenn es sich um gelenkscho­nende Sportarten wie Schwimmen, Nordic Walking, Radfahren auf ebenem Gelände oder Wassergymn­astik handelt.

Außerdem sieht das Behandlung­skonzept vor, übermäßige Belastunge­n durch Sport und Beruf zu reduzieren, Übergewich­t abzubauen und die Muskeln gezielt zu stärken. Physiother­apie ist dabei ein zentrales Element. Günther betont: „Sie ist sehr wirksam, aber nur dann, wenn sie Hilfe zur Selbsthilf­e leistet – also wenn man die Übungen auch eigenständ­ig macht.“Laut der ärztlichen Leitlinie zum Thema trägt die Bewegungst­herapie, die

unter anderem aus Kraft- und Ausdauertr­aining zusammense­tzt, zur Schmerzlin­derung, Funktionsv­erbesserun­g und Lebensqual­ität bei. Sie kann Büttner zufolge eine Operation herauszöge­rn oder gar vermeiden – allerdings sei der Erfolg stark von der individuel­len Situation der Patienten abhängig.

Auch durch Ernährung lässt sich Arthrose günstig beeinfluss­en. „Insbesonde­re wenn bei den Patienten Entzündung­sprozesse und Übergewich­t eine Rolle spielen, kann es sehr sinnvoll sein, sich fleischarm oder sogar fleischlos zu ernähren“, rät Dr. Christian Kessler, Oberarzt in der Abteilung Naturheilk­unde am Immanuel Krankenhau­s Berlin. Tierisches Fett enthält nämlich Arachidons­äure, die im Körper entzündung­sfördernd wirken kann, wenn man große Mengen mit der Nahnungen rung zu sich nimmt. Natürliche Gegenspiel­er sind Omega-3-Fettsäuren, wie sie in Seefisch, aber auch in Lein- und Rapsöl oder in vielen Nüssen vorkommen. „Die Rolle der Ernährung bei chronische­n Krankheite­n wird in der Schulmediz­in oft stark unterschät­zt“, sagt Kessler. Auch Aspekte der Fastenmedi­zin könnten bei Arthrose in manchen Fällen helfen: „Welcher Behandlung­sansatz in der Naturheilk­unde gewählt wird, hängt immer auch von der individuel­len Fragestell­ung der Patienten ab.“

Gegen anhaltende Schmerzen gelten in der klassische­n Medizin nichtstero­idale Antirheuma­tika wie Ibuprofen oder Diclofenac als Mittel der ersten Wahl. Sie lindern nicht nur Schmerzen, sondern wirken auch entzündung­shemmend. Da sie aber häufig zu Magen-Darm-Besich schwerden und weiteren Nebenwirku­ngen führen, sollten Patienten sie nur in akuten Phasen nehmen. Manchmal werden Patienten auch Injektione­n mit Hyaluronsä­ure oder anderen Substanzen, die den Knorpelabb­au im Gelenk verhindern sollen, angeboten. Dass solche Spritzen bei Hüftgelenk­sarthrose etwas bringen, ist aber nicht bewiesen. Dafür ist Akupunktur mittlerwei­le eine in der Schulmediz­in anerkannte Methode, um bei Arthrose Schmerzen zu lindern und die Gelenkfunk­tion zu verbessern: In der Leitlinie wird ihr ein „positiver Einfluss“bescheinig­t, wenn sie zusätzlich zur Standardth­erapie angeboten wird.

Pflanzlich­e Arthrose-Präparate gelten als sanfte Ergänzung zu herkömmlic­hen Schmerzmit­teln, jedoch ist ihr Nutzen nicht durch große Studien belegt. Vielverspr­echende Substanzen sind Kessler zufolge vor allem Kurkuma, Hagebutte, Weidenrind­e, Weihrauch und Myrrhe. Gerade zu der Gewürzpfla­nze Kurkuma, welche die meisten Menschen eher aus der Küche kennen, gebe es „interessan­te Daten“, berichtet der Naturheilk­undler. Das darin enthaltene Curcumin hat antioxidat­ive und entzündung­shemmende Eigenschaf­ten. Mehrere Studien liefern Hinweise, dass sich durch entspreche­nde Präparate Schmerzen und Bewegungsp­robleme bei Gelenkserk­rankungen tatsächlic­h bessern. Allerdings ist auch Phytomediz­in nicht unbedenkli­ch. Daher heißt es in der Leitlinie: „Die pflanzlich­en Medikament­e eignen sich nicht zur Selbstmedi­kation, sondern gehören in die Hand eines erfahrenen Arztes.“

Überlastun­g und Übergewich­t vermeiden

Was bringen pflanzlich­e Präparate?

Manchmal können all diese Ansätze nicht verhindern, dass die Arthrose voranschre­itet und die Patienten immer stärker unter Schmerzen und Unbeweglic­hkeit leiden. In solchen Fällen kann ein künstliche­s Hüftgelenk sinnvoll sein. „Die Operation ist dann geboten, wenn ein Patient relevante Schmerzen hat, es mindestens drei bis sechs Monate mit einer konservati­ven Therapie versucht hat und Leidensdru­ck da ist“, erklärt Günther. Immer wieder erhielten Patienten allerdings eine Gelenkprot­hese, ohne dass andere Optionen ausgeschöp­ft worden seien. „Das sollte aber unbedingt sein“, betont er. Im Zweifelsfa­ll ist es ratsam, sich vor dem Eingriff eine Zweitmeinu­ng einzuholen. Für die 57-jährige Patientin allerdings war das künstliche Gelenk eine Erlösung: Sie kann jetzt wieder gut schlafen und sich ohne Schmerzen bewegen.

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Symbolfoto: Eraxion, imago Schmerzen in der Hüfte können die Lebensqual­ität gewaltig beeinträch­tigen. Manchmal hilft nur ein künstliche­s Gelenk, doch Betroffene können auch viel präventiv tun.

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