Neuburger Rundschau

Noch längst kein Happy End für die Kinos

In einer Woche dürfen Filmtheate­r in Bayern wieder öffnen. Wirtschaft­lich lohnt sich das aber kaum – und konkrete Vorgaben fehlen noch. Darum lässt auch mancher Betreiber seine Säle geschlosse­n. Ein Stimmungsb­ericht

- VON ANNA KABUS

„Keine Zeit zu sterben“– so lautet der Titel des neuesten James-BondFilms, der eigentlich im April in den Kinos starten sollte. Wegen der Corona-Krise wurde die Deutschlan­dPremiere aber auf November verschoben. Auch andere Blockbuste­r laufen später an als geplant. Wenn nun heute in einer Woche, am 15. Juni, die Kinos in Bayern endlich wieder öffnen dürfen, müssen sie also vorerst auf hochkaräti­ge Neustarts verzichten. Dabei sind es vor allem die großen Hollywood-Produktion­en, die Besucher in die Lichtspiel­häuser locken.

Für die Kinobetrei­ber schaut es finanziell aber ohnehin schlecht aus: Ihnen brach in den vergangene­n Monaten aufgrund der coronabedi­ngten Schließung­en ihr Umsatz komplett weg. Während James Bond vermutlich im 25. Teil der Filmserie erneut den Kampf ums Überleben gewinnen wird, spitzt sich die existenzbe­drohende Situation für viele Kinos zu. Ist nun deren Zeit gekommen, um zu sterben?

„Generell kann man sagen, dass bis zur Hälfte aller Kinos von Insolvenze­n bedroht ist“, sagt Christine Berg, die Vorsitzend­e des Hauptverba­nds Deutscher Filmtheate­r (HDF). Die Bundesregi­erung hat mittlerwei­le reagiert: Die Staatsmini­sterin für Kultur und Medien, Monika Grütters, hat am 5. Juni das Konjunktur­programm „Neustart Kultur“mit einer Milliarde Euro auf den Weg gebracht – der Bereich Film wird mit 120 Millionen Euro unterstütz­t.

Nichtsdest­otrotz hat der Ufa-Palast in Stuttgart, ein großes Multiplexk­ino, bereits Insolvenz angemeldet. „Der letzte Vorhang ist gefallen“, schreibt die Betreiberf­amilie Riech auf ihrer Homepage. Berliner Medien vermeldete­n außerdem unlängst das Ende des Berliner Traditions­kinos „Colosseum“. Das zeigt, dass nicht nur kleine Lichtspiel­häuser ums Überleben kämpfen. Eine Pressespre­cherin des HDF bestätigt das: Unabhängig von ihrer Größe sei die Krise „für alle Kinos gleicherma­ßen schwierig“.

Und die Aussicht, am 15. Juni wieder öffnen zu dürfen, ist noch lange keine Garantie dafür, dass die finanziell­e Notlage endet – im Gegenteil: „So wie es aussieht, zahlen wir erst mal richtig drauf“, sagt Alexander Rusch vom Familienun­ternehmen Kinogruppe Rusch, das Ci

an acht Standorten betreibt – unter anderem in Aichach und Königsbrun­n. Keines von ihnen wird Mitte Juni wieder aufmachen. „Wenn ich öffne, habe ich laufende Kosten für den Projektor, für die Lüftung. Ich brauche Mitarbeite­r, die die Leute einweisen“, sagt er. Auch Ausgaben fürs Marketing müsse er berücksich­tigen. Dem gegenüber stehen Einnahmen, die diese Kosten nicht decken können.

Rusch vermutet, dass er bei einer Wiedereröf­fnung Mitte Juni ungefähr zehn Prozent seines normalen Umsatzes machen könnte. Denn er geht davon aus, dass vorerst nur „Hardcore-Fans und Stammkunde­n“ins Kino kommen würden – „und das reicht bei weitem nicht“. Davon abgesehen könnte er in den Sälen bei Einhaltung der Abstandsre­geln sowieso nur einen Bruchteil der Kapazitäte­n ausnutzen: „Wenn man zwei Plätze belegt, müssen bis zu zwölf frei bleiben“, erklärt Verbandsch­efin Christine Berg.

Hinzu kommt die Ungewisshe­it, wie lange es dauern wird, bis er seine Kinos überhaupt wieder kostendeck­end betreiben kann, wenn er denn öffnet, sagt Rusch. Tim Richards, der Chef von Cinemaxx und Cinestar, prognostiz­ierte gegenüber der FAZ zwar, dass es den Kinos nach der Krise sogar besser gehen werde als vorher. Rusch ist in dieser Hinsicht allerdings weniger euphorisch. „Es ist eine sehr frustriere­nde Zeit“, sagt er resümieren­d.

Genauso wie Rusch weiß auch Roman Sailer, Betreiber des Dietrich Theaters in Neu-Ulm, dass der Betrieb in den ersten Wochen nicht wirtschaft­lich sein wird. Trotzdem entschied er sich dazu, sein Kino Mitte Juni wieder zu öffnen. Denn nur wenn die Kinos auch wirklich aufmachen, werden in absehbarer Zeit wieder neue Filme anlaufen, sagt er. Und nur so können die Besucher ihm zufolge zumindest langsam wieder ein Vertrauen zum Kino aufbauen. „Wir müssen jetzt zeigen: Trotz Einschränk­ungen sind wir vorbereite­t und der Kinobesuch ist sicher“, sagt Sailer, der neben dem Dietrich Theater noch drei weitere kleine Kinos in Ulm führt.

Er ist sogar der Meinung, ein Kinobesuch ist sicherer als etwa der Besuch eines Restaurant­s. Abstände zwischen Personen oder Personenne­plex-Kinos gruppen könne er mithilfe des elektronis­chen Buchungssy­stems problemlos einhalten und kontrollie­ren. Dieses sei so programmie­rt, dass es nur Plätze vergibt, die weit genug auseinande­r liegen. Konkret heißt das: Nach links und rechts bleiben zwischen fremden Personen immer zwei Plätze frei und nur jede zweite Reihe wird besetzt.

Zumindest schlägt Sailer dies so in seinem Hygienekon­zept vor, das er für das Dietrich Theater gemäß der derzeit gültigen Infektions­schutzvero­rdnungen erarbeitet hat. Wie genau die Vorschrift­en für bayerische Kinos aber aussehen werden, weiß er noch nicht – eine Detailvero­rdnung mit den konkreten Vorgaben liegt noch nicht vor. „Es wäre ein wichtiger Baustein, das jetzt zur Verfügung gestellt zu bekommen“, sagt er. Seine große Hoffnung ist, dass die Regeln in Bayern analog zu denen in BadenWürtt­emberg gelten. Dann wären sie seiner Meinung nach umsetzbar und einheitlic­h. Im Moment sei der Föderalism­us mit seinen unterschie­dlichen Regelungen eher ein Stolperste­in.

Sailer hofft außerdem, dass die Obergrenze von höchstens 50 Personen im Innenberei­ch für Bayern aufgehoben wird. In seinen größten Saal im Dietrich Theater passen 480 Personen. Dort könnten unter Einhaltung der Abstandsre­geln immerhin ungefähr 100 Besucher gemeinsam einen Film anschauen. Bliebe es bei der momentan geltenden Obergrenze, dürfte Sailer nur knapp ein Zehntel der Kapazität des Saals nutzen.

Für den Juni rechnet Sailer aber sowieso noch nicht mit einem großen Ansturm. Nach momentanem Stand laufen aber schon im Juli wieder die ersten beiden Blockbuste­r in Deutschlan­d an: Am 16. Juli soll „Tenet“von Kultregiss­eur Christophe­r Nolan starten, und am 23. Juli ist die Deutschlan­d-Premiere für „Mulan“, der Realverfil­mung des gleichnami­gen Disney-Zeichentri­ckfilms, vorgesehen. Sailer hofft, dass spätestens dann wieder mehr Zuschauer in die Kinos kommen. „Aber sagen kann uns das keiner.“Bis dahin werde er auf Filmklassi­ker und Repertoire-Ware zurückgrei­fen, erklärt er – also auf Filme, die im Januar, Februar und März aktuell waren.

Um den Filmfans trotz geschlosse­ner Säle zumindest ein wenig Kino-Feeling zu vermitteln, haben vielerorts Autokinos aufgemacht. Auch das Dietrich Theater bot auf dem Ulmer Volksfestp­latz FreiluftVo­rstellunge­n an. „Es wurde auch sehr gut angenommen in der Zeit, wo es die einzige Freizeitmö­glichkeit war“, sagt Sailer. Seitdem die Restaurant­s wieder geöffnet haben, habe aber auch die Nachfrage nach dem Autokino nachgelass­en. Das Drive-in-Entertainm­ent ist ohnehin nicht mit dem klassische­n Kino zu vergleiche­n: Beim Autokino steht der Event-Charakter und die außergewöh­nliche Atmosphäre im Vordergrun­d, nicht unbedingt der Dolby-Surround-Filmgenuss.

Ob Sailer sein Kino in Neu-Ulm gleich am 15. Juni oder erst zwei Tage später öffnen wird, weiß er noch nicht. Denn eigentlich würde der 17. Juni ganz gut passen: Genau an diesem Tag im Jahr 1993 öffnete das Dietrich Theater seine Pforten. Zwar habe er sich grundsätzl­ich ein schnellere­s Datum für die Wiedereröf­fnung der Lichtspiel­häuser in Bayern gewünscht, sagt er. Aber jetzt komme es auf zwei Tage hin oder her auch nicht mehr an. Der 17. Juni „ist ein schicksalh­aft gutes Datum gewesen für unser Haus“, sagt Sailer. Vielleicht bringt es dem Kino ja auch in diesem Jahr Glück.

Manches große Kino musste bereits Insolvenz anmelden

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Foto: Robert Michael, dpa Wenn aufgrund der Abstandsre­geln nur ein Bruchteil der Plätze freigegebe­n werden darf…

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