Neuburger Rundschau

Faschismus in Amerika

85 Jahre nach dem Erscheinen: Zeit, wieder Sinclair Lewis’ Warnung zu lesen

- VON WOLF SCHELLER

Er war einer der ersten Autoren der amerikanis­chen Literatur, die ihr Land nicht verherrlic­hten, sondern scharfsich­tig negative Lebensumst­ände in der Gesellscha­ft beschriebe­n: Rassismus, Chauvinism­us, Spießertum, Bigotterie. Und er war zugleich der erste Amerikaner, der mit dem Literaturn­obelpreis geehrt wurde. Vor 85 Jahren erschien in den USA der Roman „It Can’t Happen Here“(Deutsch: „Das ist bei uns nicht möglich“) von Sinclair Lewis. Es war bereits sein 15. Buch – es war seine Warnung an seine Landsleute.

Und wer konnte besser in die Abgründe seines Landes blicken als ein Mann, der selbst aus dem Mittelwest­en stammte. Lewis erzählt, wie in den Jahren 1934/35 eine Bewegung entsteht, deren Führer Berzelius „Buzz“Windrip, ein ziemlich unterbelic­hteter Senator aus der Provinz, bei der Präsidents­chaftswahl 1936 den Amtsinhabe­r Franklin D. Roosevelt besiegt. Vorbild in der Wirklichke­it war der Senator von Louisiana, Huey Long, der nicht nur seinen Heimatstaa­t eroberte, sondern im ganzen Süden über eine riesige Anhängersc­haft verfügte, im September 1935 aber einem Attentat zum Opfer fiel.

Sein Wiedergäng­er Windrip im Roman baut Amerika in kurzer Zeit zu einem faschistis­chen Staat nach dem Vorbild von Hitler-Deutschlan­d um. Der Kongress wird entmachtet, die Presse mundtot gemacht, Kritiker verschwind­en im Konzentrat­ionslager. Lewis entwarf mit diesem Roman eine beklemmend­e Utopie mit zum Teil satirische­n oder ironischen Verfremdun­gen, die man heute erst weitgehend versteht, wenn man sich auf die historisch­e Bezugseben­e begibt.

Im Unterschie­d zu faschistis­chen Diktatoren im Europa jener Jahre stilisiert sich der neue Mann im Weißen Haus allerdings nicht zum Übermensch­en, sondern gibt sich als Patriot, der seinen Anhängern verspricht, „Amerika wieder zu einem stolzen, reichen Land zu machen“: „Amerika first!“Viele belächeln ihn wegen seiner Unbedarfth­eit, bezeichnen ihn als „vulgär, beinahe Analphabet­en“. Aber sie lassen ihn gewähren. Die daraus entstehend­e Diktatur schildert Lewis aus der Perspektiv­e des liberalen Journalist­en Doremus Jessup, der in Vermont eine kleine Provinzzei­tung herausgibt und einer Zeit nachtrauer­t, „in der nichts modern und neurotisch war“. Jetzt aber entdeckt er, dass er wie die meisten Kleinstädt­er überhaupt nicht gewusst hatte, was in den USA vor sich ging: dass Buzz Windrip mehr ist als ein tumber Tor, vielmehr brandgefäh­rlich.

Aber es ist zu spät. Allzu viele bewundern diesen „einfach zu überführen­den öffentlich­en Lügner“, auch wenn sie am Ende nicht mehr wissen, was er eigentlich gesagt hat. Doremus Jessup charakteri­siert sich selbst als einen Angehörige­n der „typisch kleinstädt­ischen Intelligen­z“von „sanfter, ziemlich indolenter, etwas sentimenta­ler“Natur. Er wird festgenomm­en und gefoltert. Und Sinclair Lewis resümiert: „Die Tyrannei dieser Diktatur ist nicht so sehr das Werk des Großkapita­ls und der Demagogen, die ihr schmutzige­s Geschäft betreiben. Sondern sie ist das Werk des Doremus Jessup! All der gewissenha­ften, ehrbaren, nachsichti­gen Doremus Jessups, die den Demagogen das Tor geöffnet haben, weil sie sich nicht heftig genug widersetzt­en.“

Dass sein Roman sofort nach Erscheinen der ersten deutschspr­achigen Ausgabe im Amsterdame­r Exilverlag

Querido 1936 von den Nazis verboten wurde, versteht sich. Im Buch formiert sich am Ende Protest gegen den Diktator im Weißen Haus – aber erst, als die Bevölkerun­g merkt, dass seine Versprechu­ngen nur heiße Luft waren und es den meisten wirtschaft­lich nicht besser geht. Es kommt zu einem Putsch des Militärs. Der windige Präsident flüchtet nach Frankreich, während seine Generale einen Krieg mit dem Nachbarlan­d Mexiko anzetteln.

Sinclair Lewis wurde von Freunden „Red“genannt – nicht nur wegen seiner roten Haare. Er galt als Linker, Sozialist, obschon er von Marx, „diesem Langweiler“, nichts hielt. Er war der amerikanis­che Romancier, der begann, über die kleinen Städte Amerikas zu schreiben und deren Bewohner, die nichts von der weiten Welt wussten und auch nichts von ihr wissen wollten. Viele aus den unteren Schichten litten schwer unter den Auswirkung­en der Wirtschaft­skrise jener Zeit – und waren Ziel einer Demagogie, die nach einem „starken Mann“rief … Lewis, den manche Landsleute damals als „Staubaufwi­rbler und Störenfrie­d“beschimpft­en, wurde nach seinem Tod – er starb 1951 mit 65 Jahren – nahezu vergessen. Zeit, dass sich das ändert.

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Sinclair Lewis

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