Trotz bester Absichten – so kann Protest im Moment nicht aussehen
Es gibt keinen falschen Zeitpunkt, um gegen Rassismus zu demonstrieren. In Corona-Zeiten aber muss man dazu nicht Schulter an Schulter stehen
Die Bilder des Wochenendes waren beeindruckend. Sie kamen aus der ganzen Welt: Menschen, die sich minutenlang auf den Boden legen, die Hände auf dem Rücken, um an das Schicksal des durch Polizisten getöteten Amerikaners George Floyd zu erinnern. Allein in Deutschland sollen es etwa 100 000 gewesen sein, die in den Innenstädten gegen Rassismus demonstrierten. 25 000 in München auf dem Königsplatz, 14 000 auf dem Rathausplatz in Hamburg, 15 000 am Berliner Alexanderplatz, 3000 in Augsburg …
Die Bilder des Wochenendes waren aber auch in anderer Hinsicht beeindruckend: Hätten die allermeisten Demonstranten nicht Masken getragen, man hätte bei manchen Aufnahmen auch durchaus vergessen können, in welchen Zeiten wir leben. Coronavirus,
Abstandsregeln, Kontaktbeschränkungen – war da nicht etwas? Und nun – Schulter an Schulter, weil es halt auch gar nicht anders geht, wenn sich beispielsweise auf dem Königsplatz mehr Menschen versammeln als bei den dort stattfindenden Open-Air-Konzerten (die aber natürlich abgesagt sind).
Aber wer will da etwas sagen? Wer in den vergangenen Tagen die Beiträge im Fernsehen, in Zeitungen, auf Twitter von schwarzen Deutschen gehört hat, der kann gar nicht anders als beschämt sein über den alltäglichen Rassismus in Deutschland. Es kann niemals einen falschen Zeitpunkt geben, um dagegen zu demonstrieren. Wobei man sich schon auch fragen kann, warum sich eigentlich nicht zehntausende Menschen in Deutschland versammelt haben, als es um die NSU-Morde ging, um den Anschlag auf die Synagoge in Halle, um rechte Gewalt gegen Muslime und Juden. Was das eigentlich über den latenten Rassismus in Deutschland aussagt…
Aber wie gesagt, nun also ist da der Moment, in dem es die Menschen
mit besten Absichten auf die Straße drängt. Weil das Video vom Sterben des George Floyd so eindeutig, brutal und erschreckend ist. Und vielleicht auch deswegen, weil sich da nach Wochen, in denen das Coronavirus das Leben so dominierte und die Menschen auf Abstand hielt, endlich auch einmal die Möglichkeit ergibt, so etwas wie Gemeinschaft zu fühlen, Solidarität
zu spüren. Sich da endlich ein anderes wichtiges Thema in den Vordergrund drängt.
Wer will da etwas sagen…und wie? Gesundheitsminister Jens Spahn klang in seiner Mahnung jedenfalls ähnlich gehemmt wie Eltern, wenn sie ihr Kind zum ersten Mal mit dem Fahrrad losschicken: „Komm, trau dich, aber sei schön vorsichtig.“Ja, der Kampf gegen Rassismus sei wichtig, sagte Spahn, und zwar jeden Tag. Aber wichtig bleibe dennoch: „Abstand halten, Alltagsmaske tragen, aufeinander achtgeben.“Es machte ihm jedenfalls Sorge, so viele Menschen auf einem Fleck zu sehen. Und dann auch noch so nah beieinander, dass die Deutsche Polizeigewerkschaft ebenfalls mit etwas hilflosem Unterton erklärte, die Bereitschaft der Demonstranten, sich an Abstandsregeln zu halten, sei „sei so gut wie nicht erkennbar“gewesen.
Deswegen muss man etwas sagen. So sehr man sich wünscht, dass der Protest gegen Rassismus nicht einfach wieder abebbt, so klar muss man leider auch sagen: Trotz hehrer Ziele, auf diese Weise kann er nicht weiterlaufen. Dafür ist die Situation nach wie vor zu ernst. Die Zivilgesellschaft muss in Corona-Zeiten zu einer verantwortungsvollen Art des Protestes finden – als Beispiel wurden schon Lichterketten vorgeschlagen, die sich quer durch Straßenzüge ziehen, wo sich die Menschen nicht an einem Platz wohl oder übel drängen. Man muss nicht Schulter an Schulter stehen, um zu zeigen, dass man Seite an Seite steht.
Ein neues Gefühl von Gemeinschaft