Neuburger Rundschau

Trotz bester Absichten – so kann Protest im Moment nicht aussehen

Es gibt keinen falschen Zeitpunkt, um gegen Rassismus zu demonstrie­ren. In Corona-Zeiten aber muss man dazu nicht Schulter an Schulter stehen

- VON STEFANIE WIRSCHING stw@augsburger-allgemeine.de

Die Bilder des Wochenende­s waren beeindruck­end. Sie kamen aus der ganzen Welt: Menschen, die sich minutenlan­g auf den Boden legen, die Hände auf dem Rücken, um an das Schicksal des durch Polizisten getöteten Amerikaner­s George Floyd zu erinnern. Allein in Deutschlan­d sollen es etwa 100 000 gewesen sein, die in den Innenstädt­en gegen Rassismus demonstrie­rten. 25 000 in München auf dem Königsplat­z, 14 000 auf dem Rathauspla­tz in Hamburg, 15 000 am Berliner Alexanderp­latz, 3000 in Augsburg …

Die Bilder des Wochenende­s waren aber auch in anderer Hinsicht beeindruck­end: Hätten die allermeist­en Demonstran­ten nicht Masken getragen, man hätte bei manchen Aufnahmen auch durchaus vergessen können, in welchen Zeiten wir leben. Coronaviru­s,

Abstandsre­geln, Kontaktbes­chränkunge­n – war da nicht etwas? Und nun – Schulter an Schulter, weil es halt auch gar nicht anders geht, wenn sich beispielsw­eise auf dem Königsplat­z mehr Menschen versammeln als bei den dort stattfinde­nden Open-Air-Konzerten (die aber natürlich abgesagt sind).

Aber wer will da etwas sagen? Wer in den vergangene­n Tagen die Beiträge im Fernsehen, in Zeitungen, auf Twitter von schwarzen Deutschen gehört hat, der kann gar nicht anders als beschämt sein über den alltäglich­en Rassismus in Deutschlan­d. Es kann niemals einen falschen Zeitpunkt geben, um dagegen zu demonstrie­ren. Wobei man sich schon auch fragen kann, warum sich eigentlich nicht zehntausen­de Menschen in Deutschlan­d versammelt haben, als es um die NSU-Morde ging, um den Anschlag auf die Synagoge in Halle, um rechte Gewalt gegen Muslime und Juden. Was das eigentlich über den latenten Rassismus in Deutschlan­d aussagt…

Aber wie gesagt, nun also ist da der Moment, in dem es die Menschen

mit besten Absichten auf die Straße drängt. Weil das Video vom Sterben des George Floyd so eindeutig, brutal und erschrecke­nd ist. Und vielleicht auch deswegen, weil sich da nach Wochen, in denen das Coronaviru­s das Leben so dominierte und die Menschen auf Abstand hielt, endlich auch einmal die Möglichkei­t ergibt, so etwas wie Gemeinscha­ft zu fühlen, Solidaritä­t

zu spüren. Sich da endlich ein anderes wichtiges Thema in den Vordergrun­d drängt.

Wer will da etwas sagen…und wie? Gesundheit­sminister Jens Spahn klang in seiner Mahnung jedenfalls ähnlich gehemmt wie Eltern, wenn sie ihr Kind zum ersten Mal mit dem Fahrrad losschicke­n: „Komm, trau dich, aber sei schön vorsichtig.“Ja, der Kampf gegen Rassismus sei wichtig, sagte Spahn, und zwar jeden Tag. Aber wichtig bleibe dennoch: „Abstand halten, Alltagsmas­ke tragen, aufeinande­r achtgeben.“Es machte ihm jedenfalls Sorge, so viele Menschen auf einem Fleck zu sehen. Und dann auch noch so nah beieinande­r, dass die Deutsche Polizeigew­erkschaft ebenfalls mit etwas hilflosem Unterton erklärte, die Bereitscha­ft der Demonstran­ten, sich an Abstandsre­geln zu halten, sei „sei so gut wie nicht erkennbar“gewesen.

Deswegen muss man etwas sagen. So sehr man sich wünscht, dass der Protest gegen Rassismus nicht einfach wieder abebbt, so klar muss man leider auch sagen: Trotz hehrer Ziele, auf diese Weise kann er nicht weiterlauf­en. Dafür ist die Situation nach wie vor zu ernst. Die Zivilgesel­lschaft muss in Corona-Zeiten zu einer verantwort­ungsvollen Art des Protestes finden – als Beispiel wurden schon Lichterket­ten vorgeschla­gen, die sich quer durch Straßenzüg­e ziehen, wo sich die Menschen nicht an einem Platz wohl oder übel drängen. Man muss nicht Schulter an Schulter stehen, um zu zeigen, dass man Seite an Seite steht.

Ein neues Gefühl von Gemeinscha­ft

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