Neuburger Rundschau

Oder doch Kanzler?

Markus Söder ist ein ehrgeizige­r Mann. Dass er als Nachfolger von Angela Merkel gehandelt wird, freut ihn. Aber das muss ja keiner wissen. Eine Geschichte zwischen Vernunft und Versuchung

- VON ULI BACHMEIER

München Es ist eine höchst amüsante Vorstellun­g: Markus Söder sitzt hoch oben in den bayerische­n Bergen auf einer Wiese und sinniert blümchenru­pfend vor sich hin: Soll ich wollen? Soll ich nicht wollen? Soll ich vielleicht doch wollen? Oder doch lieber nicht? Das Land scheint ihm zu Füßen zu liegen: Seine CSU kratzt in der Wählerguns­t in Bayern wieder an der 50-Prozent-Marke. In der CDU kann ihm außer Angela Merkel zurzeit keiner das Wasser reichen. Von hier oben aus scheint sogar das gut 600 Kilometer entfernte Kanzleramt in greifbarer Nähe. Und bis zur Bundestags­wahl sind es nur noch rund 15 Monate.

Mit der Wirklichke­it hat diese Fantasie sehr wahrschein­lich wenig zu tun: Nicht Söder sinniert über eine mögliche Kanzlerkan­didatur nach, aber viele andere spekuliere­n, was das Zeug hält. In der CSU, die nach Jahren der Zwistigkei­ten und Machtkämpf­e wieder mit sich im Reinen ist, lautet die bange Frage: Er wird doch wohl nicht doch wollen wollen, allen gegenteili­gen Beteuerung­en zum Trotz? In der CDU geht die Sorge um: Wir werden doch wohl nicht so tief sinken, dass wir ihn bitten müssen? Und in vielen Redaktions­stuben wird jede noch so klitzeklei­ne Bemerkung oder NichtBemer­kung zum Indiz für einen möglicherw­eise sich anbahnende­n Sinneswand­el des CSU-Vorsitzend­en gedeutet.

Woche ging das so: Söder sagt, er wolle in Norddeutsc­hland Urlaub machen und denke über eine Wattwander­ung mit SchleswigH­olsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU) nach – prompt heißt es, er laufe sich auf fremdem Terrain schon mal warm. Söder dementiert in einem Interview erstmals seit Monaten nicht mehr ausdrückli­ch alle Ambitionen auf die Kanzlerkan­didatur – prompt wird geraunt: Aha, er sagt nicht mehr Nein. Scheinbar komplett wird die Indizienke­tte durch zwei Sätze des Möchtegern-Kanzlers Friedrich Merz (CDU): „Ich sehe Markus Söder nicht als einen Konkurrent­en um die Kanzlerkan­didatur. Ich nehme seine Äußerung ernst, dass er in Bayern bleiben will.“Umgehend wird gefolgert, dass der kluge Herr Merz schon seine Gründe haben werde, so etwas zu sagen. So rede schließlic­h nur einer, der sich einen Konkurrent­en vom Leib halten will.

Weitaus realistisc­her als derlei Glaskugel-Prognosen ist da schon der grundsätzl­iche Verdacht, den Hans Well, einst politische­r Kopf der legendären Biermösl Blosn, gerade im Interview mit unserer Redaktion formuliert hat: „Söder ist ehrgeizig, wenn er die Chance hat, wird er sie nutzen. Der fühlt sich ja als Enkel von Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber. Wenn er das schaffen würde, was den beiden nicht gelungen ist, wäre das für ihn schon die Krönung, die Vollendung der bayerische­n Geschichte.“

Untermauer­n ließe sich diese Sicht der Dinge noch mit zwei Argumenten. Erstens: Man muss Söder seine Dementis nicht glauben. Schließlic­h hat auch Strauß dereinst gesagt, es sei „reizvoller, in Alaska eine Ananasfarm aufzubauen, als in Deutschlan­d das Bundeskanz­leramt zu übernehmen“. Er ist Jahre später dann aber doch angetreten. Zweitens: Es wäre höchst unklug, sich mit einer Kandidatur zu früh aus der Deckung zu wagen. Selbst wenn Söder insgeheim wollen würde – sagen dürfe er das zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Andernfall­s könnte ihm das Schicksal des SPD-Kandidaten

Martin Schulz drohen – erst hoch gelobt, dann von Freund und Feind demontiert und tief gestürzt.

Söders Ehrgeiz ist unbestritt­en, ebenso seine strategisc­hen Fähigkeite­n, in Machtkämpf­en zu bestehen. Wer aber sagt, dass sich sein Ehrgeiz schon im Jahr 2021 auf das Kanzleramt richtet, wo er doch einem anderen großen Ziel, der Rückgewinn­ung der absoluten Mehrheit der CSU in Bayern im Jahr 2023, viel näher ist? Und wer möchte bestreiten, dass er als CSU-Chef in der Berliner Koalition mehr Macht hat und weniger angreifbar ist denn als Kanzlerkan­didat?

Die Bewerbung eines CSU-Politikers um das Amt des Bundeskanz­Vergangene lers – das ist die vorherrsch­ende Meinung in der CSU – gleiche einem Russlandfe­ldzug. Am langen Ende sei eine Niederlage unvermeidl­ich. Das habe sich besonders deutlich beim Kanzlerwah­lkampf von Edmund Stoiber gegen Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2002 gezeigt. Bis kurz vor Schluss habe Stoiber wie der sichere Sieger ausgesehen. Er scheiterte knapp, auch weil die CDU nicht überall in Deutschlan­d mit voller Überzeugun­g hinter ihm stand. Die Wertschätz­ung für Bayern in anderen Bundesländ­ern mische sich immer mit einem gewissen Misstrauen. Wenn ein Bayer Kanzler werden wolle, so heißt es in der CSU-Spitze, dann stehe er andernorts in Deutschlan­d immer in Verdacht, „dass er das Kanzleramt ins Hofbräuhau­s verlagern will“.

Hinzu komme, dass die Voraussetz­ungen für einen CSU-Kandidaten noch aus einem weiteren Grund prinzipiel­l schlecht seien: Der „Kanzlerwah­lverein“CDU überlasse einem CSU-Kandidaten nur dann das Feld, wenn die CDU zu schwach sei, selbst einen überzeugen­den Kandidaten zu nominieren. Momentan ist die CDU stark, weil die Kanzlerin stark ist. Ob sie es ohne Merkel auch noch sein wird, das ist ungewiss. Schwächelt aber die CDU, kann ein Unions-Kandidat die Wahl nicht gewinnen.

Und dann ist da noch etwas, das die CSU-Führung von dem Gedanken zurückschr­ecken lässt, ihren aktuell stärksten Mann ins Rennen zu schicken: Sie würde im Falle eines Wahlsiegs der Union ihre über Jahrzehnte hinweg mit einigem Erfolg praktizier­te Strategie aufgeben müssen, gleichzeit­ig in Berlin mitzuregie­ren und von München aus gegen die Berliner Politik zu stänkern. Diese Strategie trug seit den Anfängen der Bundesrepu­blik wesentlich zur Vormachtst­ellung der CSU in Bayern bei. Das wäre auch künftig der Fall, insbesonde­re dann, wenn die Union vom Herbst kommenden Jahres an in Berlin mit den Grünen regieren müsste.

Unterm Strich heißt das für Söder, dass die Risiken einer Kanzlerkan­didatur die Chancen für ihn wie für seine Partei deutlich überwiegen. Kaum jemand in seiner Umgebung traut ihm zu, diese Risiken einzugehen. Manche sagen, er trete, wenn überhaupt, nur dann an, wenn er davon überzeugt sei, zu gewinnen.

Den Spekulatio­nen freilich, ob er es sich nicht vielleicht doch noch anders überlegt, werden all diese Argumente kein Ende bereiten, vor allem deshalb, weil ein neues Gegenargum­ent hinzugekom­men ist. Es lautet: Mit Corona ändert sich alles. Sein Auftreten in der Krise habe Söder in den Umfragen nach oben katapultie­rt, unmittelba­r hinter die Kanzlerin und weit vor die möglichen CDU-Kandidaten. Der Verdacht, er könnte der Versuchung nachgeben, ist offenbar so stark, dass CSU-Generalsek­retär Markus Blume erneut beteuern muss: „Markus Söders Platz ist in Bayern.“

Bloß nicht zu früh aus der Deckung kommen

 ?? Foto: Imago Images ?? Sein Platz sei in Bayern, sagt Markus Söder gerne. Doch es gibt immer mehr Menschen, die sich den CSU-Chef auch in Berlin ganz gut vorstellen könnten.
Foto: Imago Images Sein Platz sei in Bayern, sagt Markus Söder gerne. Doch es gibt immer mehr Menschen, die sich den CSU-Chef auch in Berlin ganz gut vorstellen könnten.

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