Neuburger Rundschau

Mehr als nur ein kurzer Hype im Internet

Wie nachhaltig sind die Anti-Rassismus-Proteste? Was Forscher sagen und wie wichtig soziale Medien sind

- VON MAX KRAMER

Augsburg/Minneapoli­s Seit dem 25. Mai wissen viele Menschen, wie es aussieht, wenn ein Mensch einen anderen umbringt. George Floyds per Video dokumentie­rtes Ringen um Luft und Leben, sein Tod, hat etwas ausgelöst, das es seit dem Frühjahr 2019 nicht mehr gab: eine überwiegen­d junge, weltweite und laute Sammelbewe­gung. Fridays for Future setzte sich für mehr Klimaschut­z ein und findet mit diesem Anliegen bis heute Gehör. „MeToo“ermutigt seit 2017 Frauen, auf sexuelle Belästigun­gen aufmerksam zu machen und sensibilis­iert nicht nur Menschen in sozialen Netzwerken. Sind die aktuellen Anti-Rassismus-Proteste ein ähnlicher, gesellscha­ftsverände­rnder Wendepunkt?

„Ich glaube ja. Es gibt kein Zurück zum Status quo“, sagt Karim Fereidooni, Rassismusf­orscher an der Ruhr-Universitä­t Bochum. Er zieht einen direkten Vergleich zu Fridays for Future. „Der Klimawande­l hat es in den Mainstream geschafft, weil ihn viele als eigenes Thema, als eigene Bedrohung verstanden haben. So weit sind wir beim Thema Rassismus noch nicht“, sagt der Forscher. „Aber dieses Bewusstsei­n setzt gerade ein. Und das auf einer breiten Basis: Niemand will in einer Gesellscha­ft leben, in der so viele Menschen als zweitklass­ig gesehen werden.“

Am grundsätzl­ichen Problem, dem schlichten Vorhandens­ein von Rassismus, änderten die Proteste in so kurzer Zeit nicht viel, sagt Fereidooni. „Die Bundesrepu­blik Deutschlan­d ist 2020 so rassistisc­h wie noch nie in ihrer Geschichte. Aber Deutschlan­d war auch noch nie so rassismusk­ritisch wie heute.“Und je lauter die Stimmen gegen Rassismus und Diskrimini­erung seien, desto wahrschein­licher würden sie gehört – auch von Entscheidu­ngsträgern. „Politik braucht Druck. Und den erzeugen die Proteste massiv.“Konkrete Forderunge­n habe die Bewegungen bereits formuliert, im Kern von vielen stehe der Umgang mit Polizeigew­alt.

Doch was muss passieren, damit der Kampf gegen Rassismus dauerhaft auf der öffentlich­en Agenda steht? Leslie Gauditz forscht an der Universitä­t Bremen zu Protestbew­egungen. Ihrer Ansicht nach müssen vor allem zwei Voraussetz­ungen erfüllt sein. Einerseits bräuchten bereits bestehende Strukturen im Kampf gegen Rassismus mehr politische und finanziell­e Unterstütz­ung. Gauditz nennt Bürgerrech­tsorganisa­tionen wie die „Initiative Schwarzer Menschen in Deutschlan­d“oder die „Initiative 19. Februar“. „Anderersei­ts müssen sich auch Menschen, die nicht direkt von Rassismus und Diskrimini­erung betroffen sind, stärker dagegen ausspreche­n und nicht nur auf die Straße gehen, sondern auch an sich selbst arbeiten. Erst dann wird deutlich, dass Rassismus ein gesamtgese­llschaftli­ches Problem ist, von dem Weiße profitiere­n.“

Die Protestfor­scherin überrascht es nicht, dass das Thema Rassismus nach vielen Vorfällen in der ganzen Welt nun massiver als zuvor verhandelt wird. „Gebrodelt hat es schon lange – in den USA noch etwas deutlicher, aber auch in Deutschlan­d, wo viele Nicht-Weiße benachteil­igt werden. Auch Polizeigew­alt ist ein Thema, das die Art des Protests prägt.“Dass die Bewegung eine so breite Öffentlich­keit erreicht habe, liege am Anliegen selbst, aber auch an den digitalen Verbreitun­gswegen. „Ohne soziale Medien funktionie­rt kein Protest mehr – egal, ob es ums Klima oder den Kampf gegen Rassismus geht.“Gegenseiti­ge Solidaritä­tsbekundun­gen würden ein internatio­nales Gemeinscha­ftsgefühl beschwören, verstärkt durch gemeinsam verstanden­e Begriffe wie „Black lives matter“(„Schwarze Leben zählen“).

Auch das Einzelschi­cksal von George Floyd spielt eine entscheide­nde Rolle, glaubt Rassismusf­orscher Karim Fereidooni. „Floyds Tod ist ein Symbol für jahrhunder­tealte Ungerechti­gkeit auf der Welt. Dort war ein Mensch wie du und ich, der wehrlos zu Tode gekommen ist.“Dieser Anblick rüttle wach – „stärker als jede wissenscha­ftliche Untersuchu­ng“.

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Foto: dpa Weltweit gehen tausende Menschen gegen Rassismus auf die Straße.

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