Kaufen Chinesen deutsche Firmen auf?
In der Krise steigt die Gefahr, dass ausländische Investoren schwächelnde Firmen günstig übernehmen. Das ist ein Risiko – nicht nur für die Arbeitsplätze. Warum sich der Staat schwertut, die Schnäppchenjäger zu stoppen
Augsburg Das Blatt hat sich gewendet. Noch im Februar prognostizierte Yi Sun, dass das Coronavirus China einbremsen könnte. Die Beratergesellschaft Ernst & Young, bei der sie für Geschäfte in Fernost verantwortlich ist, hatte in einer Studie untersucht, wie chinesische Unternehmen Firmen in Deutschland und Europa aufkaufen. Es könne „zu einem Rückgang im ersten Vierteljahr kommen“, wird Yi Sun dort zitiert. Der Grund: Im Februar war China noch damit beschäftigt, Corona zu bekämpfen. Inzwischen ist das Problem ein weltweites. Während China die Epidemie hinter sich haben könnte, müssen andere Länder sie und ihre Folgen noch bekämpfen – zum Beispiel Deutschland. Ihre Unternehmen sind gerade schwach und ein leichtes Ziel für Investoren. Die Bundesregierung rüstet sich deshalb jetzt gegen Offerten aus dem Ausland. In Gefahr sind Arbeitsplätze, Technologie – und die Sicherheit. Doch sie zu schützen ist ein Drahtseilakt.
Um zu erkennen, wo das Problem liegt, muss man nicht in die Ferne schauen: 2016 kaufte das chinesische Elektrogeräte-Unternehmen Midea den Augsburger Roboterhersteller Kuka. Zuvor hatte sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür eingesetzt, dass das Unternehmen in deutschen Händen oder zumindest unter Kontrolle eines westlichen Landes bleibt – ohne Erfolg. Immerhin gelang es, die Technologien und Arbeitsplätze zumindest vorerst zu schützen.
Bis 2023 gilt eine Investorenvereinbarung, die den Zugriff Mideas auf das Wissen des Unternehmens begrenzt und Stellen sichert. Doch wie es in den Jahren danach weitergeht, ist offen. Und Kuka ist nur ein Fall von vielen: Wie aus der Studie von Ernst & Young hervorgeht, kauften 2019 chinesische Firmen Anteile an 39 deutschen Unternehmen für vier Milliarden Euro, gaben in ganz Europa über 15 Milliarden dafür aus. 2018 waren es gar 27,7 Milliarden Euro. Infolge der Corona-Krise könnten chinesische Investoren hierzulande auf die Jagd nach Schnäppchen gehen. Dabei ist China bei weitem nicht das einzige Land, das investiert: In Bayern ist fast jedes zweite Großunternehmen in ausländischer Hand, berichtet der Bayerische Rundfunk. So halten zum Beispiel US-amerikanische Unternehmen 22 Prozent der Siemens-Aktien oder 16,5 Prozent der Allianz.
Aber: Deutsche Unternehmen geben für chinesische Firmen ein Vielfaches von dem aus, wie es umgekehrt der Fall ist. Deshalb will Deutschland den chinesischen Einfluss zwar überschaubar halten – aber ohne sich mit der Weltmacht anzulegen. Denn aus Sicht der Unternehmen würde es schaden, China vor den Kopf zu stoßen, sagt Klaus Ernst. Der bayerische Linken-Politiker ist Vorsitzender des WirtKürzlich schaftsausschusses im Bundestag. „Die Unternehmen wollen gar keine nationalen Regeln“, sagt er. Geschäfte in Europa und der Welt sind für sie äußerst lukrativ.
Manche von ihnen sind auf der Suche nach einer Finanzspritze, wenn sie Anteile verkaufen, andere lassen sich kaufen, um überleben zu können. Dem allgemeinen Interesse kann das schaden. „Auch gegen Hedgefonds und Kapitalgesellschaften müssen wir uns schützen“, warnt Ernst deshalb. Manche von ihnen verfolgen ein unsoziales Geschäftsmodell: Sie kaufen ein Unternehmen in Schieflage billig ein, polieren die Bilanz etwa mithilfe von Entlassungen auf und stoßen es mit Gewinn wieder ab. Doch wird eine Firma nach China verkauft, stehen nicht nur Arbeitsplätze auf dem Spiel.
„China hat den Anspruch, weltweit eine Führungsmacht zu sein“, sagt Ernst. Immer wieder ist davon die Rede, dass bei chinesischen Übernahmen Staatsgeld involviert sei.
ergab eine Studie des Wirtschaftsinstitutes Ifo, dass chinesische Unternehmen vor allem schwächelnde Firmen zu niedrigen Preisen kaufen – von diesen dürfte es in den nächsten Monaten viele geben. Deshalb befürwortet Ernst zum einen staatliche Beteiligungen, wenn man damit Verkäufe verhindern kann. Zum anderen fordert er dazu eine Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung, um sicherheits- und systemrelevante Branchen nicht zu gefährden. „Es ist im Interesse der Bundesrepublik, kritische Technologie und Arbeitsplätze im Land zu behalten.“Auch eine Lösung auf europäischer Ebene kann er sich vorstellen.
Aktuell kann das Bundeswirtschaftsministerium bereits Verkäufe von Unternehmen untersagen oder unter Auflagen stellen, wenn diese wichtige Infrastrukturen betreiben. Dazu zählen inzwischen verstärkt
„Es ist im Interesse der Bundesrepublik, kritische Technologie und Arbeitsplätze im Land zu behalten.“
Klaus Ernst, Die Linke
Pharmaunternehmen. Zudem liegt dem Bundestag gerade ein Gesetzesvorschlag der Regierung vor, mit dem Übernahmen geprüft werden sollen, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit betreffen – darunter könnten etwa die Wasserversorgung oder der Mobilfunk fallen. Ein deutscher Unternehmer müsse das Recht haben, seine Firma meistbietend zu veräußern, sagte Minister Peter Altmaier im April im Gespräch mit unserer Zeitung. Ausländische Investoren seien herzlich willkommen. Doch: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Deutschland zurückfällt, weil entsprechende Unternehmen aufgekauft werden“, schränkte Altmaier mit Blick auf die Corona-Krise ein.
Der bayerische Landesbeauftragte des Mittelstandsverbands, Achim von Michel, befürwortet, das Problem auf europäischer Ebene anzugehen. Sein Bundesverband hatte kürzlich gar ein vorübergehendes Verbot von Übernahmen von Unternehmen aus der EU durch chinesische Firmen gefordert. „Ein Gremium könnte wie das Kartellamt prüfen, ob systemkritisches Knowhow abwandert“, sagt von Michel. Das Geld müsse weiter seinen Weg finden. Doch dabei dürfe kein Wissen aus Deutschland abwandern.