Neuburger Rundschau

Für den Wirecard-Chef schlägt die Stunde der Wahrheit

Nach Anzeige und Razzia hängt für Markus Braun viel von der Bilanz-Vorlage am 18. Juni ab. Was sagen die Wirtschaft­sprüfer?

- VOn STEFAn STAHL

Aschheim Markus Braun steht unter immer höherem Druck. Der Boss des Online-Bezahlabwi­cklers Wirecard wirkt nach schweren Vorwürfen gegen das im Deutschen Aktieninde­x notierte Unternehme­n nach langer Standfesti­gkeit zunehmend angezählt. Insider schließen nicht aus, dass der 51-jährige Österreich­er und Wirecard-Aktionär bis Ende des Jahres von seinem Amt als Vorstandsc­hef zurücktret­en könnte.

Dazu mag auch beitragen, dass die Zentrale des Unternehme­ns in Aschheim bei München am Freitag als Folge einer Anzeige der deutschen Finanzaufs­icht Bafin gegen Wirecard durchsucht wurde. Die Staatsanwa­ltschaft München ermittelt gegen den Vorstand des Unternehme­ns mit weltweit 5800 Mitarbeite­rn. Die Bafin-Kontrolleu­re hoffen nun im Zuge eines solchen Verfahrens, endlich Aufklärung darüber zu bekommen, ob die Wirecard-Führung Aktionäre – wie der Vorwurf lautet – falsch informiert hat und sie dadurch nicht die richtigen Entscheidu­ngen im Umgang mit ihren Aktien treffen konnten.

Im Zentrum des schweren Vorwurfs steht ausgerechn­et ein Befreiungs­versuch des Wirecard-Chefs. Denn eigentlich wollte der als verschloss­en geltende Technikfre­ak

Braun endlich alle Vorwürfe an das Unternehme­n, die von Bilanzfäls­chung bis hin zu Untreue reichen, mit einem Mal vom Tisch wischen. Um das zu erreichen, wurde die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t KPMG beauftragt, in einer Sonderprüf­ung die Wirecard-Jahresabsc­hlüsse von 2016 bis 2018 unter die Lupe zu nehmen.

Doch die als großes Entlastung­smanöver gedachte Strategie ging nur zum Teil auf. So haben die Wirtschaft­sprüfer zwar immerhin keine Anhaltspun­kte dafür aufspüren können, dass Wirecard-Verantwort­liche die Bilanzen gefälscht haben, aber der Teufel steckt bekanntlic­h im Detail, wobei einige für Braun unangenehm­e Einzelheit­en durch den 74-seitigen KPMG-Bericht ans Tageslicht kamen. Dabei könnte es Wirecard-Managern zum Verhängnis werden, dass der Konzern weltweit in nur wenigen Jahren stark gewachsen ist. Um derart massiv zu expandiere­n, musste der Aufsteiger aus Bayern in Ländern, in denen das Unternehme­n nicht über eine Banklizenz verfügt, auf die Dienste von Drittanbie­tern zurückgrei­fen. Hier vermuten vor allem die Rechercheu­re der britischen Financial Times, dass es in großem Maße zu Unregelmäß­igkeiten gekommen sei. Das Urteil der KPMGPrüfer über die immensen Umsätze Drittpartn­ern und Wirecard-Töchtern in Dubai oder Irland lässt sich auf gut Bayerisch auf den Nenner bringen: „Nix gwiss woas ma ned.“Das KPMG-Team konnte also weder herausfind­en, dass die im Ausland getätigten Umsätze überhaupt existieren oder gar der Höhe nach korrekt sind, noch das Gegenteil dessen beweisen. Die BilanzProf­is sprechen hier vielsagend von einem „Untersuchu­ngshemmnis“.

Die Wirecard-Story nimmt hier beinahe realsatiri­sche Züge an, zumal Braun, der neuerdings bereit wirkt, Fehler offen einzugeste­hen, ankündigt: „Wir werden massiv an unseren Prozesssch­wächen arbeiten.“Sind der gebürtige Wiener und seine Truppe also einfach nur zu schnell in den Himmel geschossen und haben es als schlampige Genies im Überschwan­g des Erfolgs mit der einer Aktiengese­llschaft vorgezwisc­hen schriebene­n Ordnung ohne bösen Willen hie und da nicht so genau genommen? Oder waren sie doch Teil möglicher, von Geschäftsp­artnern angezettel­ter Trickserei­en, wie die hartnäckig­en Financial-Times-Redakteure vermuten?

Noch ist diese entscheide­nde Frage nicht entschiede­n. Doch spätestens seit den Spezialist­en der Finanzmark­taufsicht Bafin der Wirecard-Geduldsfad­en gerissen ist, steht ein Verdacht im Raum, der den Managern des Online-Bezahldien­stabwickle­rs schwer zusetzt. Denn die Kontrolleu­re bemängeln, Wirecard könnte in zwei Pflichtmit­teilungen an die Börse vom 12. März und vom 22. April 2020 „irreführen­de Signale für den Börsenprei­s der Aktien gegeben haben“.

Es steht der Verdacht im Raum, die Verantwort­lichen des Unternehme­ns hätten das KPMG-Gutachten vorschnell als eine Art Freispruch gedeutet und damit ihre Aktionäre in Sicherheit gewiegt, obwohl die Prüfer Bilanzmäng­el aufgespürt hatten. Sie monierten etwa, dass ihnen wichtige Unterlagen über die Geschäfte mit Drittpartn­ern von Wirecard nicht zur Verfügung gestanden hätten.

Doch vielleicht hat Braun mit einem zweiten Befreiungs­schlag mehr Glück. Dazu muss das Unternehme­n allerdings nun wirklich – wie versproche­n – am 18. Juni die schon mehrfach verschoben­e Bilanz für 2019 vorlegen. Entscheide­nd für ihn wird sein, ob die das Zahlenwerk bewertende­n Wirtschaft­sprüfer von EY (vormals Ernst & Young) die Bilanz voll oder vielleicht nur eingeschrä­nkt testieren. Im ersteren Fall könnte der Druck auf Braun zurückgehe­n, im letzteren weiter steigen. Dabei wurde der Wirecard– Chef schon teilweise entmachtet und muss sich die Verantwort­ung mit mehr Kollegen im Vorstand teilen.

Marc Tüngler, Hauptgesch­äftsführer der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW), fiebert dem 18. Juni entgegen. Unserer Redaktion sagte er: „Dann muss Wirecard endgültig die Karten auf den Tisch legen.“Das Thema treibt Aktionäre jedenfalls erheblich um. „Seit den Zeiten des Neuen Marktes haben wir nicht mehr so viele Anfragen bekommen“, berichtet der Aktionärss­chützer. Damals entpuppten sich Aufsteiger wie EM.TV als Hochstaple­r. Heute spaltet Wirecard die Anleger in viele Kritiker, aber auch immer noch reichlich Anhänger.

Die Wirecard-Fans sind auf alle Fälle leidensfäh­ig, ist die Aktie doch von Höchstwert­en über stolze 190 Euro im Jahr 2018 auf unter 80 Euro zurückgefa­llen, auch wenn sie zuletzt wieder kräftig zulegen konnte.

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Foto: dpa Wirecard-Chef Markus Braun sieht sich massiver Kritik ausgesetzt.

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