Neuburger Rundschau

Die Kunst zur Krise

Zeitgenöss­ischer geht’s fast nimmer: Das Kunsthaus Bregenz zeigt Bilder und Videos zur aktuellen Pandemie. Die Arbeiten der hochkaräti­gen Künstler sind mal düster, mal vergnüglic­h

- VON KLAUS-PETER MAYR

Bregenz Schneller geht’s kaum. Am 14. März zwang die anschwelle­nde Corona-Pandemie das Kunsthaus Bregenz zur Schließung. Nun öffnet es wieder, und zwar nicht mit x-beliebiger Kunst, sondern mit einer großen, gewichtige­n Reflexion der weltweiten Virus-Krise. Folgericht­ig hat Direktor Thomas D. Trummer die Schau „Unvergessl­iche Zeit“genannt. Einige der Gemälde, Zeichnunge­n und Videos, die sechs internatio­nale Künstlerin­nen und Künstler sowie ein Künstlerko­llektiv beisteuern, sind erst wenige Tage alt und spiegeln die Verwerfung­en einer Zeit, die sich in unsere Gedanken und Gefühle einbrennt – und tatsächlic­h unvergessl­ich wird. Damit erweist sich das Kunsthaus nicht zum ersten Mal als Seismograf der Zeitläufte.

Trummer hat dafür das Jahresprog­ramm gekippt und die Ausstellun­g in Höchstgesc­hwindigkei­t organisier­t. Ein Vorlauf von nur wenigen Wochen – das ist im Kunstbetri­eb eigentlich unmöglich. Aber der Direktor wollte nun mal Werke präsentier­en, die entweder während der Krise entstanden sind oder sich als deren Vorahnung lesen lassen. Zeitgenöss­ischer als das, was nun in Bregenz zu sehen ist, kann Kunst nicht sein. Kein Wunder, dass Trummer stolz verkündet: „Wir zeigen in dieser außergewöh­nlichen Situation eine Ausstellun­g, die diese besondere Gegenwart abbildet.“

Dazu hat er Hochkaräte­r der internatio­nalen Szene gewonnen. Markus Schinwald etwa, der 2011 Österreich bei der Biennale in Venedig vertreten durfte. Oder die Französin Annette Messager, die 2005 den Goldenen Löwen in Venedig gewann. Oder den aus dem Libanon stammenden Rabih Mroué, der schon im MoMa in New York und in der Londoner Tate Modern ausstellte.

Wenn Kunst die aktuelle Politik und Gesellscha­ft kommentier­t, wirkt dies mitunter bemüht. Doch diese Schau im Kunsthaus Bregenz ist alles andere als plakativ oder platt. Sie wird dem Ernst der Lage gerecht, weil sie sich mit Tiefgang und vielen Facetten jenem nähert, was kaum zu fassen ist: dem Verlust von Sicherheit und Freiheit, der fragwürdig gewordenen Verortung des Einzelnen in der Gesellscha­ft, den existenzie­llen Ängsten und Nöten der Menschen. Selbstvers­tändlich ist „Unvergessl­iche Zeit“düster und dunkel. Aber nicht nur. Etliche Arbeiten kommen vergnüglic­h oder zumindest ironisch rüber. Und so gut wie alle spielen mit mehreren Dimensione­n des Menschlich­en – eine Grundvorau­ssetzung von großer, berührende­r Kunst.

Die Spannung zwischen Heiterem und Traurigem empfängt die Besucher schon im Erdgeschos­s. In der Eingangsha­lle sind die durchweg humorvolle­n einminütig­en Filme des Südafrikan­ers William Kentridge zu sehen, die während der Zeit der Quarantäne entstanden sind. Er begegnet sich darin auch mal selbst – sehr zur Überraschu­ng beider Kentridges. An der Wand gegenüber hat Annette Messager in einem raumhohen Venus-Delta 52 Aquarelle platziert, die sie ebenfalls in der Corona-Krise schuf. Doch keine Spur von Lust. Hier herrscht das Leid. Auf den Bildern ist immer nur Messagers (Toten-)Schädel mit geisterhaf­ten Augen zu sehen. Eine makabre Reaktion auf eine KopfOperat­ion im vergangene­n Jahr und eine intime, sensible Selbstbesp­iegelung.

Selbstbefr­agungen in unsicherer Zeit nehmen auch die anderen Kunsthaus-Gäste vor. Die Engländeri­n Helen Cammock etwa, die im vergangene­n Jahr den renommiert­en Turner Prize erhielt, widmet sich in einem längeren Video der Entschleun­igung und der Trägheit (englisch: idleness). Das ist ja einer der Haupteffek­te der Covid-19Pandemie: die Vollbremsu­ng des Hamsterrad­s, in dem wir leben und arbeiten. Die einstige Sozialarbe­iterin Cammock macht sich, zu ruhigen Bildern aus dem Alltag, Gedanken über Arbeit, Muße oder Gerechtigk­eit.

Die aus Polen stammende und in Paris lebende Ania Soliman entwickelt seit dem Ausbruch von Corona Instagram-Posts. Ihre schnell hingeworfe­nen Zeichnunge­n werden so zum Online-Tagebuch. Eine Chronik der Höhen und Tiefen angesichts der erzwungene­n Einschränk­ungen.

Ganz oben im Kunsthaus wird es dann nochmals so richtig düster.

Schwarz dominiert in den kleinen und großen Gemälden von Markus Schinwald, der in Wien und in den USA lebt. Hier trifft man mit dem – beim Gehen und Stehen im Kunsthaus vorgeschri­ebenen – Mund-Nasen-Schutz im eigenen Gesicht auf Menschen, die ebenfalls Masken tragen. Oder gleich ganz verhüllt sind. Entstanden sind die Porträts freilich schon in den 1990er Jahren. Was damals als surreale Spielerei erschien, ist nun Wirklichke­it geworden.

Das mutet ziemlich kurios an. Erheblich beeindruck­ender sind freilich die zwei mal zwei Meter großen Gemälde, in denen Schinwald den Menschen nur als Randersche­inung vorkommen lässt. Eine unbedeuten­de Existenz neben mächtigen Felsen, in weiter Landschaft, eingehüllt von Rauchschwa­den, die alle Sicht nehmen. Schöne Sinnbilder für die Ohnmacht, die derzeit viele fühlen.

Wollen Menschen solche Kunst überhaupt sehen? Oder hätten sie lieber leichte Kost, unbeschwer­te Unterhaltu­ng, um sich ablenken zu können von all den Kümmerniss­en? Kunsthaus-Chef Trummer ist sich sicher, dass seine Ausstellun­g den Menschen hilft zu verstehen, was gerade passiert. Da hat er recht. Allerdings müssen Besucher Zeit mitbringen fürs Ansehen der Videos.

 ?? Foto: Filmstill Marianna Simnett ?? Ein schaurige Geschichte über Krieg und Tod erzählt Marianna Simnett in „Tito’s Dog“und thematisie­rt dabei die Frage von Identität. Dazu hat sie sich in dem Video, das zurzeit im Kunsthaus Bregenz in der Schau „Unvergessl­iche Zeit“zu sehen ist, vor laufender Kamera ein Hundegesic­ht geschminkt.
Foto: Filmstill Marianna Simnett Ein schaurige Geschichte über Krieg und Tod erzählt Marianna Simnett in „Tito’s Dog“und thematisie­rt dabei die Frage von Identität. Dazu hat sie sich in dem Video, das zurzeit im Kunsthaus Bregenz in der Schau „Unvergessl­iche Zeit“zu sehen ist, vor laufender Kamera ein Hundegesic­ht geschminkt.

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