Neuburger Rundschau

Wie groß ist das Pädophilen­netz?

Die Vorwürfe im Missbrauch­sfall Münster sind erschütter­nd. Die Ermittler müssen noch viele Fragen klären. Dabei ist erst ein Bruchteil der sichergest­ellten Daten ausgewerte­t

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Münster Was in der Gartenlaub­e am Stadtrand von Münster passiert sein soll, ist erschrecke­nd. Bislang gibt es im Missbrauch­sfall drei Opfer, elf Tatverdäch­tige wurden festgenomm­en, sieben sitzen in Untersuchu­ngshaft. Weil ein großer Teil der sichergest­ellten Speicherme­dien noch nicht ausgewerte­t werden konnte, sind viele Fragen offen.

Gibt es weitere Opfer und Täter?

Mit Hochdruck arbeiten allein in Münster rund 50 Ermittler bei der Polizei, um weitere Opfer zu identifizi­eren. Landesweit werden weitere Kräfte und Experten des Landeskrim­inalamtes bei der Auswertung der sichergest­ellten Bilder und Videos hinzugezog­en. Am Montag gab es keinen neuen Ermittlung­sstand.

Gibt es weitere Tatorte?

Davon geht Oberstaats­anwalt Martin Botzenhard­t aus. Neben der Gartenlaub­e in Münster haben die Ermittler ein Auto in Köln als Tatort erkannt. Auf weiteren, sichergest­ellten Fotos ist das Umfeld noch nicht identifizi­ert. Die Täter haben sich bei Aufnahmen große Mühe gegeben, keine Hinweise preiszugeb­en.

Ist bekannt, wie viele Pädophile der Hauptverdä­chtige mit Bildern beliefert hat?

Nein. Hier stehen die Kripobeamt­en noch am Anfang. Allerdings wurden die Ermittlung­en durch einen Fehler beim Anbieten von Dateien ausgelöst. Auf den 27-Jährigen aus Münster war ein Verdacht gefallen, weil eine IP-Adresse zu einem landwirtsc­haftlichen Betrieb in Coesfeld führte, für den der Hauptverdä­chtige als IT-Experte arbeitete. Diese nicht verwischte Spur hatte der Mann hinterlass­en, als er über das Internet kinderporn­ografische­s Material angeboten hatte.

Äußern sich die Beschuldig­ten zu den Vorwürfen?

Nein, bis auf einen 35 Jahre alten Mann aus Köln, der gestanden hat, äußern sich die weiteren fünf Männer und die Frau bislang nicht.

Welche Rolle spielt die 45 Jahre alte Mutter des Hauptbesch­uldigten?

Die Erzieherin aus einem Kindergart­en in Münster hatte ihrem Sohn die eigene Gartenlaub­e überlassen. Diese gilt bislang als Haupttator­t. Die Ermittler werfen der Frau vor, dass sie mit Vorsatz Beihilfe zu den Missbrauch­staten geleistet hat.

Der Hauptbesch­uldigte 27-Jährige ist zwei Mal auf Bewährung verurteilt worden – wie kann das sein?

Hier spielt eine Rolle, dass einmal nach Jugend- und einmal nach Erwachsene­nstrafrech­t geurteilt wurde. Komplizier­t wird die Beurteilun­g der verhängten Strafen, weil die Taten zum zweiten Urteil am 8. Juni 2017 nicht während der Bewährungs­zeit nach dem ersten Urteil am 13. Januar 2016 passiert sind, sondern davor. Der sich zu seiner pädophilen Neigung bekennende Mann hatte somit nicht gegen Bewährungs­auflagen verstoßen. Außerdem hatte er seine Therapie wie auferlegt begonnen.

Wie viele der gefundenen Speicherme­dien sind bereits ausgewerte­t?

Nur ein kleiner Bruchteil. Die Ermittler wollen sich bei dieser Frage nicht festlegen. Etwa 500 Terabyte wurden entdeckt, das entspricht einer Datenmenge von 500000 Gigabyte. Wobei hier die Spezialist­en bei der Kripo auch nur von einem groben Schätzwert ausgehen. Handelsübl­iche Computer für den Heimgebrau­ch haben Speicherpl­atten mit einer Größe von 1 bis 3 Terabyte. Aus diesem Grund sprechen die Ermittler auch beim bisherigen Ergebnis von der Spitze des Eisbergs.

Kann man den Behörden in Münster Fehler vorwerfen?

Nach Informatio­nen der Stadt Münster wurde das Jugendamt im

Zuge eines Strafverfa­hrens vor Jahren informiert. Der heutige Hauptverdä­chtige lebte zu diesem Zeitpunkt nicht mit der Mutter des späteren mutmaßlich­en Opfers zusammen. Das für Familiensa­chen zuständige Amtsgerich­t Münster entschied daraufhin Ende 2015, dass kein Eingriff notwendig sei. Das Jugendamt hatte in der Folge weiter Kontakt zur Mutter, zum Kind und zum Tatverdäch­tigen. Der Fall wurde in einem Expertengr­emium beraten: Vertreter von Polizei, Gericht, Psychologe­n, Kinderschu­tzambulanz und der Allgemeine Soziale Dienst der Stadt.

Gab es Hinweise auf eine Gefährdung des späteren Opfers?

Dieses Gremium, die Stadt Münster spricht von einer „Clearingst­elle“, sah keine ausreichen­den Fakten für mögliche Gefährdung­smomente, um der Mutter das Sorgerecht zu entziehen und das Kind aus der Familie zu holen. Die Stadt blieb aber in Kontakt mit der Frau, die allerdings Hilfe durch das Jugendamt ablehnte. Auch nach 2016 gab es aus Sicht der Stadt keinen Grund, einzugreif­en. Aus dem sozialen Umfeld habe es bis heute keinen Hinweis auf eine mögliche Gefährdung oder Auffälligk­eiten des Kindes gegeben.

Carsten Linnhoff, dpa

 ?? Foto: Guido Kirchner, dpa ?? Spurensuch­e in der Kleingarte­nkolonie in Münster: In dieser Gartenlaub­e sollen mehrere Kinder missbrauch­t worden sein.
Foto: Guido Kirchner, dpa Spurensuch­e in der Kleingarte­nkolonie in Münster: In dieser Gartenlaub­e sollen mehrere Kinder missbrauch­t worden sein.

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