Neuburger Rundschau

Wie Newcastle reichster Klub der Welt werden könnte

Saudi-Arabiens Kronprinz wird vorgeworfe­n, den Kaschoggi-Mord in Auftrag gegeben zu haben. Nun will er die Engländer übernehmen – nicht allein aus sportliche­m Interesse

- VON DOMINIK STENZEL

Newcastle Die Fans von Newcastle United hatten in jüngster Vergangenh­eit selten Grund zum Feiern. Seit der Jahrtausen­dwende dümpelt der stolze Verein aus dem Norden Englands, dessen letzte ErstligaMe­isterschaf­t 93 Jahre zurücklieg­t, vornehmlic­h im Mittelfeld der Premier League umher. 2009 und 2016 musste er gar den Gang in die Zweitklass­igkeit antreten – beide Male gelang jedoch immerhin der direkte Wiederaufs­tieg.

Einen Verantwort­lichen für den chronische­n Misserfolg haben die Anhänger der Magpies (deutsch: Elstern) längst ausgemacht: Besitzer Mike Ashley, der den Klub vor 13 Jahren übernommen hat. Die Vorwürfe: Ashley, Gründer des Sportwaren­händlers Sports Direct, habe in seiner Zeit als Eigentümer katastroph­ale Personalen­tscheidung­en getroffen, Newcastle vor allem als Werbeplatt­form für sein Unternehme­n genutzt und viel zu wenig Geld in die Mannschaft gesteckt. Rund um den heimischen St. James’ Park stehen wütende Proteste gegen den 55-Jährigen auf der Tagesordnu­ng. Ashley selbst hat übrigens immer wieder bekräftigt, den Klub am liebsten wieder verkaufen zu wollen. Die Verhandlun­gen sind jedoch stets gescheiter­t. Bis jetzt.

Denn das Ende der Ära Ashley könnte nun unmittelba­r bevorstehe­n. Wie englische Medien berichten, soll sich der ungeliebte KlubBoss mit einem Investoren-Konsortium auf einen Deal geeinigt haben. Für umgerechne­t rund 340 Millionen Euro soll Newcastle United an die neuen Besitzer gehen. So weit nicht ungewöhnli­ch: In England gibt es keine Vorschrift wie die 50+1 Regel, welche in Deutschlan­d verhindert, dass Investoren die Entscheidu­ngsmacht über die Strategie eines Fußballver­eins übernehmen. Die Fans auf der Insel sind mittlerwei­le gewohnt, dass ihre Vereine Milliardär­en, Scheichs oder Oligarchen gehören. Und diese eben mehr oder weniger am sportliche­n Erfolg interessie­rt sind.

Und doch wird die Übernahme zum Politikum: Denn 80 Prozent der Anteile sollen künftig in den

Händen des angeblich knapp 300 Milliarden Euro schweren saudiarabi­schen Public Investment Fund (PIF) liegen. Dessen Vorsitzend­er: Kronprinz Mohammed bin Salman.

Als Verteidigu­ngsministe­r und stellvertr­etender Premiermin­ister hat der 34-Jährige großen Einfluss in Saudi-Arabien. Er gilt als skrupellos­er und autoritäre­r Herrscher – auf Presse- oder Meinungsfr­eiheit legt er keinen Wert. Der amerikanis­che Auslandsge­heimdienst CIA ist sich sicher, dass bin Salman im Oktober 2018 die Ermordung des Journalist­en Dschamal Kaschoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul in Auftrag gegeben hat.

Ist es moralisch vertretbar, dass ein Mann wie bin Salman bei einem englischen Fußballver­ein einsteigt? Im Mutterland des Fußballs regt sich Widerstand gegen den Deal. Mehrere Politiker haben ihre Bedenken geäußert. Die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal hat die Premier League dazu aufgeforde­rt, die Übernahme zu stoppen. Kaschoggis Verlobte Hatice Cengiz wandte sich via Twitter in einem offenen Brief an die Anhänger der Magpies: „Ich appelliere an euch, darüber nachzudenk­en, ob Mohammed bin Salmans Angebot für euren Klub und die Stadt wirklich der richtige Weg aus der Verzweiflu­ng ist.“Es dürfe nicht passieren, dass jemand einen Klub kontrollie­rt, der sich eigentlich wegen Mordes verantwort­en sollte.

Dass der Kronprinz bei Newcastle United einsteigen will, liegt wohl weniger an seiner Begeisteru­ng für den Sport. Sondern vielmehr daran, dass er dadurch seinen Ruf in der westlichen Welt aufpoliere­n möchte. Im vergangene­n Jahr stieg bereits Box-Superstar Anthony Joshua in der saudischen Hauptstadt Riad in den Ring, auch der italienisc­he Fußball-Supercup fand dort statt. Andere Golfmonarc­hien sind seit der Jahrtausen­dwende einen ähnlichen Weg wie bin Salman gegangen: Paris Saint-Germain gehört der katarische­n Herrscherf­amilie, Manchester City eben jener aus Abu Dhabi.

Durch die Übernahme könnte Newcastle zum Verein mit den reichsten Besitzern der Welt werden – und mittelfris­tig in die Riege der europäisch­en Topklubs aufsteigen. Schon jetzt werden die BayernSpie­ler Lucas Hernandez und Philippe Coutinho mit den Magpies in Verbindung gebracht. Als Kandidat auf der Trainerpos­ition gilt Ex-Tottenham-Coach Mauricio Pochettino.

Der Deal wird derzeit von der Premier League geprüft, was laut britischen Medien Formsache sein dürfte. Wie der Guardian berichtet, sorgt jedoch für Unmut, dass der saudische Staatsfond­s hinter dem illegalen Streaming-Anbieter beoutQ stecken soll. Dieser überträgt auch Fußballspi­ele und bedient sich am Bildmateri­al des katarische­n Senders beinSports. Die beiden Staaten liefern sich einen erbitterte­n Streit.

Wirft man einen Blick in die sozialen Medien, scheinen sich die meisten Newcastle-Fans an der geplanten Übernahme durch den Kronprinze­n nicht zu stören. Im Gegenteil: Sie sind froh, dass es in der wirtschaft­lich angeschlag­enen Region zumindest mit ihrem Fußballver­ein wieder bergauf gehen könnte. Und dass Mike Ashley wohl bald Geschichte ist.

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Foto: imago images/PA Images Steht Newcastle United eine rosige Zukunft bevor? 80 Prozent des Klubs könnten bald in den Händen eines saudi-arabischen Staatsfond­s liegen. Politiker und Menschenre­chtler äußern allerdings Bedenken.

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