Neuburger Rundschau

Die Vuvuzelas sind nicht verstummt

Zehn Jahre nach Afrikas erster Fußball-WM ist beim damaligen Gastgeber Südafrika von Feierlaune trotzdem nichts zu spüren

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Johannesbu­rg Zehn Jahre nach Afrikas erster und einziger FußballWel­tmeistersc­haft ist beim damaligen Gastgeber Südafrika von Feierlaune nichts zu spüren. „Wir hatten an Konzerte und Spiele gedacht und darüber mit der Fifa gesprochen – das Coronaviru­s hat aber alle Pläne zunichte gemacht“, klagt Danny Jordaan. Der damalige Cheforgani­sator und heutige Präsident des nationalen Fußballver­bands Safa gilt als das Gesicht der Fußball-WM 2010. Bedauernd gesteht er, dass auch die angedachte­n virtuellen Veranstalt­ungen kaum die Atmosphäre von damals beschwören können. „Realistisc­h betrachtet ist das nicht möglich“, sagt er.

Dabei hatte der deutsche Rekordnati­onalspiele­r Lothar Matthäus bei einem Besuch in Johannesbu­rg die Idee eines Freundscha­ftsspiels zwischen Deutschlan­d und Südafrika aufgeworfe­n. Vor zehn Jahren habe er eine großartige Stimmung in den neu gebauten Stadien erlebt. Die DFB-Elf stürmte mit neuem jugendlich­en Schwung um Torschütze­nkönig Thomas Müller bis ins Halbfinale. Erst dann kam für Bundestrai­ner Joachim Löw bei dessen erster WM als Chefcoach gegen den späteren Weltmeiste­r Spanien (0:1) das Aus. Matthäus machte seine Vorschläge im März, da wurden in

Afrika gerade die ersten CoronaFäll­e gemeldet. Nur wenig später verhängte Südafrika eine der weltweit strengsten Ausgangssp­erren. Viele Konferenze­n wurden gestrichen – darunter auch eine in Durban, bei der entspreche­nde Pläne sowie das Vermächtni­s der WM in Südafrika erörtert werden sollten.

„Es wäre schade, wenn Lothars Idee nicht doch noch irgendwie umgesetzt werden könnte“, sagt Joe Zinnbauer, der deutsche Coach vom Johannesbu­rger Starklub Orlando Pirates, und betont: „Ich glaube schon, dass die WM dem Land was gebracht hat.“Am 11. Juni 2010 hatte Südafrikas Nationalel­f Bafana Bafana mit einem 1:1 gegen Mexiko im Johannesbu­rger Stadion Soccer City die WM beginnen lassen. Das Eröffnungs­spiel machte auch gleich zum Auftakt die lärmige Fan-Tröte des Gastlandes weltweit bekannt: die Vuvuzela. „Einige Fans hassten ihren Lärm – in großen US-Stadien war sie sogar gebannt“, sagt Jordaan. Er deutet die Tröte als Symbol der Hoffnung – das in Corona-Zeiten nun in Südafrika eine Art Renaissanc­e erlebt und an vielen Orten abends als Klang der Ermunterun­g ertönt.

Es war der Beginn einer FußballSho­w, die der Welt auch zeigen sollte, wozu Afrika fähig ist. Dazu gehörte auch eine Erste-Klasse-Infrastruk­tur. Mal eben einen internatio­nalen Flughafen bauen? Was sich in Berlin über Jahre hinzog, war in Durban eine Sache von kaum zwei Jahren. Noch heute profitiert die Hafenstadt davon. „100 Jahre herrschte der Glaube vor, Afrika könne keine WM auf die Beine stellen“, sagte Jordaan und verweist auch auf die Zweifler, die einen Plan B für den Ausrichter

Südafrika

forderten. „Afropessim­ismus war eine große Herausford­erung.“Als Gastgeber zeigte sich Südafrika jedoch von der besten Seite und verbuchte damit einen Imagegewin­n, der sich in den Folgejahre­n auch in steigenden Touristenz­ahlen bemerkbar machte. Allen Zweiflern an Südafrikas Leistungsf­ähigkeit und rechtzeiti­ger Fertigstel­lung der Infrastruk­tur zum Trotz wurde es ein unbeschwer­tes Fußball-Festival. Die WM war zugleich der letzte große Auftritt des schon sichtlich gebrechlic­hen Freiheitsh­elden Nelson Mandela vor einem Weltpublik­um. Der damalige Fifa-Präsident Sepp Blatter hatte Mandela zunächst wegen des Unfalltods einer nahen Verwandten nicht zum WM-Auftakt verpflicht­en können, bestand dann aber auf einem kurzen Auftritt vor dem Finale. Trotz eisiger Kälte – in der Südhemisph­äre herrscht im Juli Winter

– wurde der unter einer Pelzmütze gütig lächelnde und winkende Mandela auf einem Golfwägelc­hen mit seiner Frau Graca einmal durchs Stadion gekarrt. Und was ist geblieben? Die Stadien seien top, auch wenn sich die Frage stellt, ob sie alle gebraucht würden, sagt Zinnbauer. Auch wenn sie multifunkt­ional angelegt wurden, gelten viele davon als defizitär. Das Vermächtni­s der WM sieht Zinnbauer daher auch eher im spielerisc­hen Bereich. Trotz aller Probleme sei der südafrikan­ische Fußball auf der Weltkarte des Sports aufgetauch­t. Zudem habe das Ereignis dem Fußball am Kap neue Fangruppen erschlosse­n: Er galt dort zu Apartheidz­eiten als eher „schwarzer“Sport – Rugby oder Cricket dagegen als weiße Sportarten. Der damalige Cheforgani­sator Jordaan sieht es ähnlich.

Seine Rückschau auf die WM fällt daher positiv aus – auch wenn er das Versagen des Heimteams mit dem Vorrunden-Aus als Schönheits­fehler sieht. Die Reaktionen der Weltgemein­schaft waren positiv, das Profil des Landes gestiegen, die Infrastruk­tur modernisie­rt, sagt er. Die WM-Standards hätten für den südafrikan­ischen Fußball die Messlatte höher gelegt und kamen auch dem Frauen-Fußball zugute. „Wir haben jetzt mehr als 450 000 Fußballspi­elerinnen

im Land und wollen die Zahl bis 2022 auf eine Million steigern; mehr als 20 Frauen spielen in Europa und den USA.“Es gebe nun sogar Schiedsric­hterinnen. Das Vermächtni­s der WM 2010 sei auch an der hohen Zahl junger Profikicke­r aus Südafrika ablesbar, die auf anderen Kontinente­n unter Vertrag stehen. Jordaan: „Es gab einen enormen Wandel, weg vom Afropessim­ismus – nach 2010 galt Afrika auf einmal als Kontinent der Hoffnung.“Die ist zehn Jahre später zunächst einmal verflogen. Der KapStaat, der sich schon vor der Verhängung von mehrwöchig­en Corona-Restriktio­nen in einer schweren Rezession befand, richtet sich nach Beendigung des landesweit­en strengen Lockdown auf millionenf­ache Jobverlust­e und zahlreiche Firmenplei­ten ein.

Die vielen existenzie­llen Probleme verstellen den Blick auf das Jubiläum. Ob es so bald noch mal eine Fußball-WM auf afrikanisc­hem Boden geben wird? Jordaan ist sich da nicht so sicher. Mit Indien, China und anderen aufstreben­den Weltregion­en gebe da zunehmend Konkurrenz. Eine kollektive Anstrengun­g sei nötig, um dagegen zu bestehen, sagt er – meint aber: „Wenn Afrika sich einig ist, ist vieles möglich.“

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