Neuburger Rundschau

Corona-Krise als Chance, aber auch Gefahr

Während über Vereine und Spieler seit Wochen diskutiert wird, spielen die Unparteiis­chen nur eine untergeord­nete Rolle. Schiedsric­hter-Obmann Jürgen Roth spricht über mögliche Auswirkung­en der Pandemie und appelliert erneut an die Vereine

- VON DIRK SING

Neuburg/Langenmose­n Nicht nur die Fußball-Vereine und deren Kicker, auch die Schiedsric­hter hängen in Sachen Saison-Fortsetzun­g derzeit in der Warteschle­ife. Ob die unterbroch­ene Saison 2019/2020 tatsächlic­h ab dem 1. September wieder angepfiffe­n wird, steht noch in den Sternen. Wir haben uns mit dem Obmann der Schiedsric­htergruppe Neuburg, Jürgen Roth, über diese auch für die Unparteiis­chen außergewöh­nliche Situation unterhalte­n.

Herr Roth, wie haben Sie persönlich die vergangene­n Wochen und Monate während der Corona-Krise überstande­n?

Roth: Nun, die ersten drei Wochen waren ehrlich gesagt schon ziemlich schwer. Wenn man in Sachen Schiedsric­hter-Wesen voll drinsteckt und plötzlich nichts mehr zu tun hat, dann ist das in der Tat nicht einfach. Der nächste Schritt war dann, dass ich mir bereits Gedanken darüber gemacht habe, wie es wohl weitergehe­n wird, wenn der Spielbetri­eb wieder startet, wie man die fußballlos­e Zeit mit seinen Schiedsric­htern am besten überbrückt und in welcher Form man seinen eigenen Akku am besten wieder auflädt. Trotz allem geht es mir momentan sehr gut, da ich mich in den zurücklieg­enden Wochen ausgezeich­net erholen konnte.

Als Schiedsric­hter-Obmann sind Sie – neben Ihrer täglichen Arbeit – speziell am Wochenende viel auf den regionalen Sportplätz­en unterwegs. Auch wenn Sie sich, wie Sie gesagt haben, erstklassi­g erholen konnten: Wie sehr fehlt Ihnen aktuell der Fußball? Roth: Nun, wenn man Woche für Woche auf den Fußball-Plätzen unterwegs war und dann plötzlich aus diesem „Trott“beziehungs­weise normalen Rhythmus herausgeri­ssen wird, dann fehlt das einfach. Aus diesem Grund war ich auch froh, dass im „oberen Bereich“– wenn auch ohne Zuschauer – wieder gespielt wird. So hat man zumindest die Möglichkei­t, Fußball im Fernsehen anzuschaue­n. Von dem her war es für mich schon schwer, die Zeit ohne Fußball zu überstehen. Irgendwann fällt einem einfach die Decke auf den Kopf.

Der Bayerische Fußball-Verband hat sehr früh die Entscheidu­ng getroffen, den Spielbetri­eb mindestens bis zum 31. August komplett aus- beziehungs­weise die derzeit unterbroch­ene Saison 2019/2020 fortzusetz­en. Ist das für Sie nachvollzi­ehbar?

Roth: Ich bin grundsätzl­ich auch jemand, der es befürworte­t, dass Meistersch­aften lieber auf dem Rasen als am grünen Tisch entschiede­n werden. Deshalb ist es für mich schon auch wichtig, dass diese Saison fortgesetz­t wird – allerdings nicht auf Biegen und Brechen! Sprich: Sollte der Punktspiel-Betrieb nicht wie erhofft am 1. September wieder aufgenomme­n werden können und sich das Ganze dementspre­chend nach hinten verschiebe­n, müsste sich der Verband sicherlich erneut Gedanken machen, wie man in diesem Fall weiter vorgehen möchte.

Bei all diesen Diskussion­en geht es in erster Linie um die jeweiligen Ligen, Vereine und Spieler. Die Schiedsric­hter sind dabei kaum einmal ein Thema. Konkret gefragt: Kommen Ihnen die Unparteiis­chen diesbezügl­ich zu kurz? Roth: Nun, ich habe erst kürzlich in unserem Ausschuss gesagt: In all den Webinaren, die momentan stattfinde­n, wird über alle möglichen Themen ausführlic­h gesprochen, während sich die Schiedsric­hter lediglich auf der unteren Ebene befinden. Mir geht es dabei nicht um die Bundesliga-, sondern ausschließ­lich Amateur-Schiedsric­hter. Diese Thematik wurde bislang noch kein einziges Mal berührt. Man muss ganz klar sagen: In den jeweiligen Gruppen gibt es zahlreiche ältere Kollegen, die zur Risiko-Gruppe in Sachen Corona zählen und daher das Ganze etwas ernster nehmen müssen als beispielsw­eise die jüngeren Unparteiis­chen. Hier hätte ich mir schon eine Diskussion oder auch Umfrage, ob beispielsw­eise alle Schiedsric­hter im Falle einer Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebes überhaupt dabei wären, gewünscht. Wir können schließlic­h niemanden zwingen, in dieser außergewöh­nlichen Situation auf den Platz zurückzuke­hren.

Machen Sie sich jetzt schon konkrete Gedanken darüber, was das konkret für die Schiedsric­htergruppe Neuburg bedeuten könnte?

Roth: Ja, definitiv! Da ich möglichst frühzeitig einen Lösungsans­atz finden möchte, habe ich bei unserer zurücklieg­enden Online-Monatsvers­ammlung am Freitag eine Umfrage gestartet, welche Schiedsric­hter zu diesem beschriebe­nen Kreis zählen und keine Partien pfeifen wollen. Diese Kollegen gilt es dann anderweiti­g zu ersetzen – wobei ich heute noch nicht weiß, welche Begegnunge­n und Ligen dann schlichtwe­g nicht mehr besetzt werden können.

Es ist ja kein Geheimnis, dass sich die Schiedsric­hter-Zunft bereits seit Jahren sehr schwertut, ausreichen­d Nachwuchs zu generieren. Dementspre­chend bereitet vielen Gruppen die Altersstru­ktur enormes Kopfzerbre­chen. Kann man sagen, dass die Corona

Krise letztlich genau diese Problemati­k schonungsl­os offenlegt?

Roth: Ich kann jetzt natürlich nur für unsere Gruppe sprechen. Aber ja, diese Pandemie verstärkt dieses Problem selbstvers­tändlich nochmals deutlich. Fakt ist, dass wir in Sachen Schiedsric­hter ohnehin schon auf Kante genäht sind. Und es wird definitiv einige Kollegen geben, die momentan nicht pfeifen werden. Für mich kommt es auch überhaupt nicht infrage, diese zu einem Einsatz zu überreden. Schließlic­h trage ich als Obmann am Ende immer die Verantwort­ung. Sollte sich einer dieser Unparteiis­chen beispielsw­eise infizieren, könnte er sagen, dass ich ihn ja eingeteilt hätte. Und diesen Schuh ziehe ich mir nicht an. Deshalb muss ich diese Leute außen vor lassen. Nachdem wir jedoch, wie bereits gesagt, personell ohnehin schon

einem schmalen Grat wandeln, wird es auch nicht möglich sein, diese Kollegen zu ersetzen.

Sehen Sie in dieser Ausnahme-Situation möglicherw­eise auch eine Chance in der Krise, sprich: Dass die Vereine endlich aufwachen und sich dieser Problemati­k bewusst werden?

Roth: Eine Chance ist es sicherlich, ja! Allerdings – und das ist ja auch bekannt – gab es in den zurücklieg­enden Jahren immer wieder Situatione­n, in denen wir auf unsere Personalpr­obleme hingewiese­n haben. Nur irgendwann wird man einfach nicht mehr für ernst genommen und die Vereine sagen: Lass den Roth mal reden! Nur jetzt haben wir eben in der Tat eine Situation, in der ich der Meinung bin: Wenn die Klubs selbst zum jetzigen Zeitpunkt nicht aufwachen und etwas tun, dann wird es nicht dabei bleiben, nur die Partien der B-Klasse nicht mehr zu besetzen. Dann wird das weiter durchgerei­cht werden, auch in Richtung A-Klasse. Das muss man ganz deutlich so sagen. Momentan gehe ich davon aus, dass mir wohl rund 20 Schiedsric­hter aufgrund der Corona-Geschichte wegbrechen werden – was im Umkehrschl­uss hieße, dass die komplette A-Klasse künftig ohne Unparteiis­che spielen müsste.

Bei vielen Vereinen gibt es die Befürchtun­g, dass aufgrund der langen Spielpause der eine oder andere Nachwuchs-Kicker dem Fußball den Rücken kehren wird. Sehen Sie diese Problemati­k möglicherw­eise auch im Schiedsric­hter-Bereich?

Roth: Ja, diese Befürchtun­g ist nicht von der Hand zu weisen. Wir haben allerdings in den vergangene­n Woauf chen viel unternomme­n, um mit möglichst allen in Verbindung zu bleiben. So standen beispielsw­eise einige Webinare auf dem Programm. Dabei ging es vor allem auch um unsere Neulinge, die erst im März dazugestoß­en sind. Nachdem doch einige sehr gute und talentiert­e Unparteiis­che darunter sind, hatten wir schon etwas Angst, diese eventuell an andere Sportarten, wo das Training bereits wieder möglich ist, zu verlieren. Wir werden jedenfalls alles daran setzen, diese Leute entspreche­nd bei der Stange zu halten, und für den „Tag X“fitzumache­n, wenn es tatsächlic­h weitergeht. Ob uns das wirklich gelingt, weiß ich nicht. Ich bin aber optimistis­ch.

Am vergangene­n Freitag hat die Schiedsric­htergruppe Neuburg zum zweiten Mal ihre Monatsvers­ammlung im Internet abgehalten. Welche Erfahrunge­n haben Sie in den beiden virtuellen Formaten gesammelt?

Roth: Nun, wir haben zum Beispiel beim ersten Mal das Ganze zu viert übernommen. Neben mir haben noch Lehrwart Patrick Krettek, mein Stellvertr­eter Manfred Häckel und Harald Förg entspreche­nde Vorträge gehalten oder auch Fragen beantworte­t. Wir haben dabei festgestel­lt, dass das Interesse mit insgesamt 86 Teilnehmer­n doch sehr groß war. Auch der Zuspruch und die Resonanz waren ausgezeich­net. Allerdings muss man klar und deutlich sagen, dass solche Online-Formate freilich unsere Präsenz-Veranstalt­ungen in der Zukunft nicht ersetzen können. Vorstellen kann ich mir jedoch eine Mischung aus beidem, da wir einige Leute bei uns in den Reihen haben, die oftmals aus berufliche­n Gründen nicht zu den Monatsvers­ammlungen kommen können. In diesem Fall würde sich diese Online-Version durchaus anbieten.

Zum Abschluss noch ein kurzer Ausblick in Richtung Winter. Spielt das traditione­lle Hallenturn­ier der Schiedsric­htergruppe Neuburg um den Jahreswech­sel herum in Ihren Gedanken auch schon eine Rolle?

Roth: Nachdem ich diesbezügl­ich ja nichts ins „Blaue“hinein planen kann, habe ich aktuell noch die Hände davon gelassen. Ich warte jetzt einfach mal den 1. September ab, um zu sehen, inwieweit das Ganze von der bayerische­n Staatsregi­erung geöffnet wird. Sollten derartige Veranstalt­ung wieder zugelassen werden, beschäftig­en wir uns damit. Aber eines steht für mich schon jetzt fest: Ein Hallenturn­ier mit hohen Hygiene-Auflagen beziehungs­weise ohne Zuschauer wird es mit mir definitiv nicht geben. Das können wir uns einfach nicht leisten.

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Foto: Krettek Hält es für nahezu ausgeschlo­ssen, dass in der „Nach-Corona-Zeit“alle Begegnunge­n mit Unparteiis­chen besetzt werden können: Jürgen Roth, Obmann der Schiedsric­htergruppe Neuburg.

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