Neuburger Rundschau

Ohne seine Autoindust­rie stünde Deutschlan­d ganz schlecht da

Es läuft nicht gut für die Schlüsselb­ranche. Davon zeugt auch die Unruhe in den Führungset­agen von VW und Co. Warum Schadenfre­ude trotzdem fehl am Platz ist

- VON TOBIAS SCHAUMANN scht@augsburger-allgemeine.de

In der deutschen Autoindust­rie ist nichts mehr, wie es war. Das lässt sich exemplaris­ch am Volkswagen-Konzern ablesen. Der ehemalige Audi-Chef Stadler muss sich im Herbst einem Strafproze­ss stellen. Noch-Volkswagen-Vorstand Diess muss die Führung der Kernmarke VW abgeben. Auf den ersten Blick wirkt die erste Nachricht spektakulä­rer als die zweite. Ist sie aber nicht. Denn während der Fall Stadler unter dem Aspekt der Aufarbeitu­ng gesehen werden kann, geht der Fall Diess erst richtig los.

Kein zweiter Automanage­r hat in letzter Zeit gleichzeit­ig so viel richtig und so viel falsch gemacht wie Diess. Radikaler als seine deutschen Mitbewerbe­r versucht er, den Dampfer Volkswagen auf einen Zukunftsku­rs zu steuern, bei dem Digitalisi­erung und Elektrifiz­ierung die wichtigste­n Meilenstei­ne

sind. Die Realität sieht anders aus. Ausgerechn­et ein Softwarepr­oblem bremste den Golf 8 aus. Auch dem Stromer ID.3 drohten Verzögerun­gen, sodass er zunächst in abgespeckt­er Form antritt.

Dazu kommen Probleme, die nicht technische­r Natur sind. Mit einem missglückt­en Werbespot zieht Volkswagen – ausgerechn­et in diesen Tagen! – Rassismus-Vorwürfe auf sich. Schon dieser Fauxpas wiegt schwer genug. Als unverzeihl­ich jedoch empfinden Aktionäre und Gewerkscha­fter in seltener Einigkeit, dass Diess und Co. für Verbrenner keine Kaufprämie herausschl­agen konnten. So etwas wäre den mächtigen Autobossen früher nicht passiert, heißt es.

Da ist was dran. Noch nie hat die Politik den Wirtschaft­szweig so abblitzen lassen wie im Falle der verwehrten Corona-Extrahilfe­n. Denn selbst die aufgestock­te Elektro-Prämie hilft den deutschen Platzhirsc­hen kaum, haben sie doch wenige förderfähi­ge Autos im Programm. Ist dies also das Ende einer großen Liebe? Lässt die Politik „ihre“Autoindust­rie fallen?

Der Liebesentz­ug träfe jedenfalls auf ein gesellscha­ftspolitis­ch günstiges Klima. Immer mehr Menschen haben das Machogehab­e in der PSBranche satt. Sie rufen stattdesse­n nach Nachhaltig­keit, Klimaschut­z, Tempolimit; um es mit einem Wort zu sagen: Demut. So steckt eine einstige Siegerbran­che plötzlich argumentat­iv in der Sackgasse.

Wie konnte es so weit kommen?

Vor allem die Kritiker sind um Erklärunge­n nicht verlegen. Fast alle laufen allerdings auf das Schema „selber schuld“hinaus. Die Deutschen hätten den technologi­schen Wandel verschlafe­n, sich unter kräftigem Zutun der Politik auf ihren Lorbeeren ausgeruht. Doch so einfach ist es nicht. BMW brachte mit dem i3 ein frühes, bis heute konkurrenz­fähiges Elektroaut­o auf die Straße. Eine erste autonome Langstreck­enfahrt gelang Mercedes mit dem Forschungs­fahrzeug „Bertha Benz“. Audi gilt als Pionier des Hybridantr­iebs. Hätte all die Innovation­en nur jemand gekauft!

Und das Verhältnis zur Politik? Dürfte zum Beispiel zwischen einem Konzern wie der PeugeotMut­ter PSA und der französisc­hen Regierung nicht weniger innig sein. Durch Aufklärung­seifer im Diesel-Skandal fielen andere Länder kaum auf. Sie schützen ihre Hersteller lieber, als sie zu gängeln.

Die hiesige Autoindust­rie dagegen wird für ihre Verfehlung­en hart in die Verantwort­ung genommen. Das ist schon okay so. Für Schadenfre­ude oder gar Bestrafung­sfantasien gibt es indes keinen Grund. Ohne die Schlüsselb­ranche Nummer eins stünde das Land ganz schlecht da. Mehr als 800 000 Menschen sind direkt in den Betrieben beschäftig­t; dazu addieren sich zig Arbeitsplä­tze in der Peripherie und bei den Zulieferer­n. Diese Leistung verdient auch gesellscha­ftliche Loyalität. Deutsche Autos finanziere­n zu einem erhebliche­n Teil deutschen Wohlstand. Das bitte nicht vergessen.

Selber schuld? So einfach ist es nicht

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