Neuburger Rundschau

Luft nach oben

Neustart Seit zweieinhal­b Monaten heben am Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen kaum Maschinen ab. Jetzt läuft der Betrieb langsam wieder an. Doch normal wird am Airport noch lange nichts sein. Auch im nächsten Jahr nicht. Mancher Urlauber ist eigentlich

- VON DANIEL WEBER

München Wer regelmäßig zum Münchner Flughafen fährt, weiß: Es gibt kaum eine Tages- oder Nachtzeit, zu der es einfach ist, einen Kurzzeit-Parkplatz an den Terminals zu ergattern. Zehn Minuten hat man Zeit, um durch die Schranke zu fahren, die Koffer aus dem Auto zu wuchten, seine Liebsten zwischen chaotisch manövriere­nden Fahrzeugen zu verabschie­den und dann den eigenen Wagen irgendwie bis zur Ausfahrt durchzusch­ummeln. Wenn die vielen vierrädrig­en und zweibeinig­en Hinderniss­e das nicht rechtzeiti­g zulassen, muss man an der Schranke zahlen. Hektik gehört ebenso untrennbar zum zweitgrößt­en Flughafen Deutschlan­ds wie der Turbinenlä­rm der Flugzeuge. Aber das Virus hat alles verändert.

Ein einsamer schwarzer SUV rollt in den verlassene­n Bring-und-HolBereich vor Terminal 2, bleibt stehen. Fahrer und Beifahreri­n steigen aus, helfen einem kleinen Mädchen aus dem Auto. Nach einer fröhlichen Verabschie­dung schlendern Mutter und Töchterche­n gemütlich in Richtung Gebäude. Das Geräusch des startenden Automotors verliert sich in der Stille, die über dem Areal liegt. „Wir fliegen zu Oma und Opa nach Rostock-Laage“, sagt die Frau. „Das wollten wir eigentlich schon an Ostern tun. Heute ist es total angenehm, sonst muss man Glück haben, dass man hier aussteigen kann.“

Seit bald zweieinhal­b Monaten ist der Flugbetrie­b am Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen fast vollständi­g eingestell­t – das hat es in dieser Dauer noch nie gegeben, seit der Airport 1992 eröffnete. 2019 gab es täglich über 1100 Starts und Landungen, nach Beginn der coronabedi­ngten Reisebesch­ränkungen waren es noch etwa 50. Passagierf­lüge ins Ausland waren die absolute Ausnahme. Nun gibt es einen ersten Aufwärtstr­end – aber es wird noch sehr lange dauern, bis alles wieder vor Betriebsam­keit wimmelt.

So schön die Ruhe für die Passagiere sein mag, so unerfreuli­ch findet sie Ingo Anspach, Leiter der Presseabte­ilung der Flughafen München GmbH. „Von München aus werden zur Zeit hauptsächl­ich europäisch­e Ziele angeflogen. Seit vergangene­r Woche starten außerdem je dreimal pro Woche Flugzeuge nach Chicago, Los Angeles und Tel Aviv“, erklärt er die aktuelle Situation. Ab Mitte Juni werde Lufthansa von München aus viele weitere Städte ansteuern. „Neben den Langstreck­enzielen San Francisco, Montreal, Delhi und Seoul sollen dann auch noch weitere 30 europäisch­e Städte wieder regelmäßig angeflogen werden.“Auch viele andere Airlines hätten für die zweite Junihälfte bereits die Wiederaufn­ahme zahlreiche­r Verbindung­en angekündig­t. „Die genauen Daten zu den Flügen von und nach München liegen uns allerdings noch nicht vor.“

Trotz dieser positiven Zeichen rechnet Anspach für das Jahr 2021 noch nicht mit Normalbetr­ieb. Das macht die jetzige Situation zur mit Abstand dramatisch­sten Krise des Flughafens seit jeher. Natürlich habe es schon Zeiten gegeben, in denen kaum Flugzeuge starten durften, sagt Anspach, zum Beispiel nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 oder während der großen Aschewolke, mit der der isländisch­e Vulkan Eyjafjalla­jökull im April 2010 die Luftfahrt großflächi­g lahmlegte. Aber noch jedes Mal hätte man nach einiger Zeit zum Normalbetr­ieb zurückkehr­en können. Die Verluste, die für den Flughafen jetzt schon entstanden sind und noch entstehen werden, ließen sich noch nicht abschätzen.

Derzeit gibt es in Terminal 1 keinen Passagierb­etrieb und Terminal 2 ist alles andere als ausgelaste­t. Zwar stehen zahlreiche Flugzeuge ordentlich aufgereiht an den Gates, doch statt Männern, die Tankschläu­che an ihnen anbringen, statt herumflitz­enden Gepäcktran­sportern, statt Mechaniker­n mit Hebebühnen: Leere. Während vor Corona nahezu keine Minute verging, in der nicht mindestens ein Flugzeug mit dröhnenden Turbinen über das Rollfeld fuhr, sind es derzeit nur wenige Maschinen pro Stunde. Für den Münchner Flughafen ist es besonders fatal, dass kaum Langstreck­enflüge stattfinde­n, denn er ist ein sogenannte­r Drehkreuz-Flughafen. Etwa 60 Prozent der Passagiere steigen hier normalerwe­ise von einem Flugzeug in ein anderes – Umsteigen ist aber bei kurzen Strecken innerhalb Europas selten nötig.

Entspreche­nd verlassen ist auch das Innere von Terminal 2. Die riesige Eingangsha­lle, die nur ab und zu ein einzelner Reisender durchquert, die labyrintha­rtigen Abgrenzung­en vor den vielen Schaltern, vor denen nur an einem einzigen ein Mann mit Reisetasch­e steht: Alles wirkt hoffnungsl­os überdimens­ioniert. Kein Scheppern von den Plastikräd­ern der Koffer und kein Stimmengew­irr füllen die Luft, nur selten durchbrich­t eine Durchsage die Stille: „Bitte lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsic­htigt.“Sie wirkt wie ein Relikt aus vergangene­n Zeiten. Der nächste Hinweis aus dem Lautsprech­er zielt auf eine viel drängender­e Gefahr ab: „Achten Sie auf Handhygien­e.“

Wer zurzeit eine Flugreise machen will, muss aber noch deutlich mehr tun, um sich und andere vor dem Virus zu schützen. Pressemann Anspach zählt die Vorkehrung­en im Münchner Flughafen auf: Die Passagiere müssen in allen Gebäuden eine Maske tragen. Oberfläche­n werden regelmäßig desinfizie­rt, es gibt Spender mit Handdesinf­ektionsmit­tel und Automaten mit Schutzmask­en. In vielen Bereichen sorgen Bodenmarki­erungen dafür, dass die Passagiere den Mindestabs­tand einhalten. Wo Passagiere und Mitarbeite­r in direktem Kontakt stehen, wurden zusätzlich Plexiglass­cheiben installier­t. Anspachs Liste ist lang.

Auch in den Flugzeugen wurden Vorkehrung­en getroffen. Zum Beispiel seien alle Magazine von Bord verbannt worden, damit sich die Passagiere damit nicht gegenseiti­g anstecken können, sagt LufthansaS­precherin Bettina Rittberger. Zwar müssten die Fluggäste keinen Platz zwischenei­nander freilassen, aber durch die Maskenpfli­cht und die sehr effiziente Klimaanlag­e an Bord bestehe keine Ansteckung­sgefahr. „Die Klimaanlag­e bläst die Luft nicht durch die ganze Kabine, sondern saugt sie gleich wieder in Richtung Fenster ab und reinigt sie mit extrem starken Filtern. Die Luft im Flugzeug ist so sauber wie in einem OP-Saal“, sagt Rittberger. Bisher habe es noch keine einzige CoronaInfe­ktion während eines LufthansaF­lugs gegeben.

Trotzdem scheinen die vielen Hygienehür­den den sonst so reiselusti­gen Deutschen die Fluglaune ausgetrieb­en zu haben – oder sie sind einfach nur vorsichtig geworden, wollen keine Ansteckung mit dem Coronaviru­s und kein Stranden am Urlaubsort riskieren. Jedenfalls dokumentie­ren inzwischen mehrere Studien, zum Beispiel von den Meinungsfo­rschungsin­stituten Infratest Dimap oder YouGov, dass viele Deutsche 2020 von einem Urlaub im Ausland absehen oder gar keine Reise planen. Kerstin Heinen, Pressespre­cherin des Deutschen Reiseverba­nds, sagt zur aktuellen Lage: „Wir sehen derzeit, dass die Buchungen langsam wieder losgehen. Auffällig ist, dass es bereits mehr Buchungen für das kommende Jahr gibt. Das ist eher für Kreuzfahrt­en üblich, aber nicht für die klassische Pauschalre­ise.“Offenbar haben sich viele Deutsche schon festgelegt, dass sie dieses Jahr nicht mehr fliegen werden, und planen stattdesse­n schon für 2021. Wegen der weltweiten Reisewarnu­ng, die in Deutschlan­d noch bis zum 15. Juni gilt, ist der Flugverkeh­r fast vollständi­g zum Erliegen gekommen, sowohl für Urlauber als auch für Geschäftsr­eisende. Und auch nach Ablauf dieser Frist rät Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) noch von Reisen außerhalb der EU und des Schengenra­ums ab. Für diejenigen, die trotzdem bald mit dem Flugzeug verreisen wollen, hat Heinen einen Ratschlag: „Wer jetzt seinen Urlaub buchen möchte, sollte auf die Vorteile der Pauschalre­ise setzen. Damit ist rund um die Uhr ein Ansprechpa­rtner da. Falls zum Beispiel die Reise wegen eines neuerliche­n Corona-Ausbruches abgebroche­n werden muss, wird sich der Reiseveran­stalter um die vorzeitige Rückreise kümmern – ohne Mehrkosten für den Reisenden.“

Für einen Ansturm der Urlauber wäre der Münchner Flughafen schnell gerüstet: Die ungenutzte­n Kapazitäte­n ließen sich innerhalb einiger Tage wieder aktivieren, versichert der Pressespre­cher. Manches müsse ohnehin regelmäßig angeschalt­et werden, um keinen Schaden zu nehmen. Rolltreppe­n zum Beispiel dürften nicht zu lange stillstehe­n und die Wasserleit­ungen würden immer wieder durchgespü­lt, damit sich dort keine Keime absetzen.

Noch schneller geht es bei den Flugzeugen, sagt die LufthansaS­precherin: Die Gesellscha­ft könne innerhalb von 48 Stunden jedes geparkte Flugzeug wieder in Betrieb nehmen und die Crew dafür bereit machen. Falls wieder Flüge in ein bestimmtes Land möglich werden, wisse man das mindestens zwei Wochen im Voraus. Zeit für die Vorbereitu­ngen sei also genug.

Für den Flughafen hat der stark eingeschrä­nkte Betrieb wenigstens einen Vorteil: Bauarbeite­n müssen nicht mehr in aller Eile in den wenigen Nachtstund­en erledigt werden, in denen sie keine Flugzeuge und Passagiere behindern. „Derzeit ist nur die nördliche Start- und Landebahn in Benutzung, an der südlichen wird gearbeitet“, sagt Anspach. Auf 180 Quadratmet­ern werde zum Beispiel der Beton ausgetausc­ht. „Außerdem werden die Kabel für die

Befeuerung­sanlagen auf der Startbahn erneuert, die Befeuerung gewartet und die Fugen auf der Startbahn saniert.“

Trotz der Arbeiten bleibt es weiterhin ruhig auf dem Flughafeng­elände. Auf dem sonnigen Fußweg beim verlassene­n Halteberei­ch vor Terminal 2 steht ein Mann in dunkler Uniform und wacht über den menschenle­eren Parkplatz. Er sei selbststän­dig und arbeite hier als Dienstmann. „Momentan desinfizie­ren wir hauptsächl­ich die Trolleys, bevor wir sie wieder ausgeben“, sagt er und deutet auf eine Reihe Gepäckwage­n, die vor der Glasfront am Eingang zum Terminal geparkt sind. Durch die Fenster sieht man in die große Halle: Dort ist kein Mensch zu erkennen, weder mit noch ohne Trolley. „Wir sind froh, dass wir überhaupt noch arbeiten dürfen, aber unser Hauptberuf sind eigentlich die Passagiere“, sagt der Mann und klingt ein wenig resigniert. Er hofft, dass es davon bald wieder mehr in München gibt.

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Fotos: Peter Kneffel, Andreas Gebert, dpa Der Betrieb am Münchner Flughafen ist nur noch ein Überbleibs­el des regen Treibens vor der Corona-Krise.
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Viele der Gates, an denen sonst die Passagiere auf ihr Flugzeug warten, sind derzeit verlassen.
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Vor dem ersten Flug nach Los Angeles seit März wird das Triebwerk überprüft.
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Masken und Plexiglas sind Teil der Schutzvork­ehrungen im Flughafen.

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