Luft nach oben
Neustart Seit zweieinhalb Monaten heben am Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen kaum Maschinen ab. Jetzt läuft der Betrieb langsam wieder an. Doch normal wird am Airport noch lange nichts sein. Auch im nächsten Jahr nicht. Mancher Urlauber ist eigentlich
München Wer regelmäßig zum Münchner Flughafen fährt, weiß: Es gibt kaum eine Tages- oder Nachtzeit, zu der es einfach ist, einen Kurzzeit-Parkplatz an den Terminals zu ergattern. Zehn Minuten hat man Zeit, um durch die Schranke zu fahren, die Koffer aus dem Auto zu wuchten, seine Liebsten zwischen chaotisch manövrierenden Fahrzeugen zu verabschieden und dann den eigenen Wagen irgendwie bis zur Ausfahrt durchzuschummeln. Wenn die vielen vierrädrigen und zweibeinigen Hindernisse das nicht rechtzeitig zulassen, muss man an der Schranke zahlen. Hektik gehört ebenso untrennbar zum zweitgrößten Flughafen Deutschlands wie der Turbinenlärm der Flugzeuge. Aber das Virus hat alles verändert.
Ein einsamer schwarzer SUV rollt in den verlassenen Bring-und-HolBereich vor Terminal 2, bleibt stehen. Fahrer und Beifahrerin steigen aus, helfen einem kleinen Mädchen aus dem Auto. Nach einer fröhlichen Verabschiedung schlendern Mutter und Töchterchen gemütlich in Richtung Gebäude. Das Geräusch des startenden Automotors verliert sich in der Stille, die über dem Areal liegt. „Wir fliegen zu Oma und Opa nach Rostock-Laage“, sagt die Frau. „Das wollten wir eigentlich schon an Ostern tun. Heute ist es total angenehm, sonst muss man Glück haben, dass man hier aussteigen kann.“
Seit bald zweieinhalb Monaten ist der Flugbetrieb am Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen fast vollständig eingestellt – das hat es in dieser Dauer noch nie gegeben, seit der Airport 1992 eröffnete. 2019 gab es täglich über 1100 Starts und Landungen, nach Beginn der coronabedingten Reisebeschränkungen waren es noch etwa 50. Passagierflüge ins Ausland waren die absolute Ausnahme. Nun gibt es einen ersten Aufwärtstrend – aber es wird noch sehr lange dauern, bis alles wieder vor Betriebsamkeit wimmelt.
So schön die Ruhe für die Passagiere sein mag, so unerfreulich findet sie Ingo Anspach, Leiter der Presseabteilung der Flughafen München GmbH. „Von München aus werden zur Zeit hauptsächlich europäische Ziele angeflogen. Seit vergangener Woche starten außerdem je dreimal pro Woche Flugzeuge nach Chicago, Los Angeles und Tel Aviv“, erklärt er die aktuelle Situation. Ab Mitte Juni werde Lufthansa von München aus viele weitere Städte ansteuern. „Neben den Langstreckenzielen San Francisco, Montreal, Delhi und Seoul sollen dann auch noch weitere 30 europäische Städte wieder regelmäßig angeflogen werden.“Auch viele andere Airlines hätten für die zweite Junihälfte bereits die Wiederaufnahme zahlreicher Verbindungen angekündigt. „Die genauen Daten zu den Flügen von und nach München liegen uns allerdings noch nicht vor.“
Trotz dieser positiven Zeichen rechnet Anspach für das Jahr 2021 noch nicht mit Normalbetrieb. Das macht die jetzige Situation zur mit Abstand dramatischsten Krise des Flughafens seit jeher. Natürlich habe es schon Zeiten gegeben, in denen kaum Flugzeuge starten durften, sagt Anspach, zum Beispiel nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 oder während der großen Aschewolke, mit der der isländische Vulkan Eyjafjallajökull im April 2010 die Luftfahrt großflächig lahmlegte. Aber noch jedes Mal hätte man nach einiger Zeit zum Normalbetrieb zurückkehren können. Die Verluste, die für den Flughafen jetzt schon entstanden sind und noch entstehen werden, ließen sich noch nicht abschätzen.
Derzeit gibt es in Terminal 1 keinen Passagierbetrieb und Terminal 2 ist alles andere als ausgelastet. Zwar stehen zahlreiche Flugzeuge ordentlich aufgereiht an den Gates, doch statt Männern, die Tankschläuche an ihnen anbringen, statt herumflitzenden Gepäcktransportern, statt Mechanikern mit Hebebühnen: Leere. Während vor Corona nahezu keine Minute verging, in der nicht mindestens ein Flugzeug mit dröhnenden Turbinen über das Rollfeld fuhr, sind es derzeit nur wenige Maschinen pro Stunde. Für den Münchner Flughafen ist es besonders fatal, dass kaum Langstreckenflüge stattfinden, denn er ist ein sogenannter Drehkreuz-Flughafen. Etwa 60 Prozent der Passagiere steigen hier normalerweise von einem Flugzeug in ein anderes – Umsteigen ist aber bei kurzen Strecken innerhalb Europas selten nötig.
Entsprechend verlassen ist auch das Innere von Terminal 2. Die riesige Eingangshalle, die nur ab und zu ein einzelner Reisender durchquert, die labyrinthartigen Abgrenzungen vor den vielen Schaltern, vor denen nur an einem einzigen ein Mann mit Reisetasche steht: Alles wirkt hoffnungslos überdimensioniert. Kein Scheppern von den Plastikrädern der Koffer und kein Stimmengewirr füllen die Luft, nur selten durchbricht eine Durchsage die Stille: „Bitte lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt.“Sie wirkt wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Der nächste Hinweis aus dem Lautsprecher zielt auf eine viel drängendere Gefahr ab: „Achten Sie auf Handhygiene.“
Wer zurzeit eine Flugreise machen will, muss aber noch deutlich mehr tun, um sich und andere vor dem Virus zu schützen. Pressemann Anspach zählt die Vorkehrungen im Münchner Flughafen auf: Die Passagiere müssen in allen Gebäuden eine Maske tragen. Oberflächen werden regelmäßig desinfiziert, es gibt Spender mit Handdesinfektionsmittel und Automaten mit Schutzmasken. In vielen Bereichen sorgen Bodenmarkierungen dafür, dass die Passagiere den Mindestabstand einhalten. Wo Passagiere und Mitarbeiter in direktem Kontakt stehen, wurden zusätzlich Plexiglasscheiben installiert. Anspachs Liste ist lang.
Auch in den Flugzeugen wurden Vorkehrungen getroffen. Zum Beispiel seien alle Magazine von Bord verbannt worden, damit sich die Passagiere damit nicht gegenseitig anstecken können, sagt LufthansaSprecherin Bettina Rittberger. Zwar müssten die Fluggäste keinen Platz zwischeneinander freilassen, aber durch die Maskenpflicht und die sehr effiziente Klimaanlage an Bord bestehe keine Ansteckungsgefahr. „Die Klimaanlage bläst die Luft nicht durch die ganze Kabine, sondern saugt sie gleich wieder in Richtung Fenster ab und reinigt sie mit extrem starken Filtern. Die Luft im Flugzeug ist so sauber wie in einem OP-Saal“, sagt Rittberger. Bisher habe es noch keine einzige CoronaInfektion während eines LufthansaFlugs gegeben.
Trotzdem scheinen die vielen Hygienehürden den sonst so reiselustigen Deutschen die Fluglaune ausgetrieben zu haben – oder sie sind einfach nur vorsichtig geworden, wollen keine Ansteckung mit dem Coronavirus und kein Stranden am Urlaubsort riskieren. Jedenfalls dokumentieren inzwischen mehrere Studien, zum Beispiel von den Meinungsforschungsinstituten Infratest Dimap oder YouGov, dass viele Deutsche 2020 von einem Urlaub im Ausland absehen oder gar keine Reise planen. Kerstin Heinen, Pressesprecherin des Deutschen Reiseverbands, sagt zur aktuellen Lage: „Wir sehen derzeit, dass die Buchungen langsam wieder losgehen. Auffällig ist, dass es bereits mehr Buchungen für das kommende Jahr gibt. Das ist eher für Kreuzfahrten üblich, aber nicht für die klassische Pauschalreise.“Offenbar haben sich viele Deutsche schon festgelegt, dass sie dieses Jahr nicht mehr fliegen werden, und planen stattdessen schon für 2021. Wegen der weltweiten Reisewarnung, die in Deutschland noch bis zum 15. Juni gilt, ist der Flugverkehr fast vollständig zum Erliegen gekommen, sowohl für Urlauber als auch für Geschäftsreisende. Und auch nach Ablauf dieser Frist rät Außenminister Heiko Maas (SPD) noch von Reisen außerhalb der EU und des Schengenraums ab. Für diejenigen, die trotzdem bald mit dem Flugzeug verreisen wollen, hat Heinen einen Ratschlag: „Wer jetzt seinen Urlaub buchen möchte, sollte auf die Vorteile der Pauschalreise setzen. Damit ist rund um die Uhr ein Ansprechpartner da. Falls zum Beispiel die Reise wegen eines neuerlichen Corona-Ausbruches abgebrochen werden muss, wird sich der Reiseveranstalter um die vorzeitige Rückreise kümmern – ohne Mehrkosten für den Reisenden.“
Für einen Ansturm der Urlauber wäre der Münchner Flughafen schnell gerüstet: Die ungenutzten Kapazitäten ließen sich innerhalb einiger Tage wieder aktivieren, versichert der Pressesprecher. Manches müsse ohnehin regelmäßig angeschaltet werden, um keinen Schaden zu nehmen. Rolltreppen zum Beispiel dürften nicht zu lange stillstehen und die Wasserleitungen würden immer wieder durchgespült, damit sich dort keine Keime absetzen.
Noch schneller geht es bei den Flugzeugen, sagt die LufthansaSprecherin: Die Gesellschaft könne innerhalb von 48 Stunden jedes geparkte Flugzeug wieder in Betrieb nehmen und die Crew dafür bereit machen. Falls wieder Flüge in ein bestimmtes Land möglich werden, wisse man das mindestens zwei Wochen im Voraus. Zeit für die Vorbereitungen sei also genug.
Für den Flughafen hat der stark eingeschränkte Betrieb wenigstens einen Vorteil: Bauarbeiten müssen nicht mehr in aller Eile in den wenigen Nachtstunden erledigt werden, in denen sie keine Flugzeuge und Passagiere behindern. „Derzeit ist nur die nördliche Start- und Landebahn in Benutzung, an der südlichen wird gearbeitet“, sagt Anspach. Auf 180 Quadratmetern werde zum Beispiel der Beton ausgetauscht. „Außerdem werden die Kabel für die
Befeuerungsanlagen auf der Startbahn erneuert, die Befeuerung gewartet und die Fugen auf der Startbahn saniert.“
Trotz der Arbeiten bleibt es weiterhin ruhig auf dem Flughafengelände. Auf dem sonnigen Fußweg beim verlassenen Haltebereich vor Terminal 2 steht ein Mann in dunkler Uniform und wacht über den menschenleeren Parkplatz. Er sei selbstständig und arbeite hier als Dienstmann. „Momentan desinfizieren wir hauptsächlich die Trolleys, bevor wir sie wieder ausgeben“, sagt er und deutet auf eine Reihe Gepäckwagen, die vor der Glasfront am Eingang zum Terminal geparkt sind. Durch die Fenster sieht man in die große Halle: Dort ist kein Mensch zu erkennen, weder mit noch ohne Trolley. „Wir sind froh, dass wir überhaupt noch arbeiten dürfen, aber unser Hauptberuf sind eigentlich die Passagiere“, sagt der Mann und klingt ein wenig resigniert. Er hofft, dass es davon bald wieder mehr in München gibt.