Deutsch-amerikanische Dämmerung
Seit Donald Trump regiert, erreicht das Verhältnis zwischen Washington und Berlin nie für möglich gehaltene Tiefpunkte. Kenner der USA sprechen über eine Beziehung, die aus dem Lot geraten ist
Augsburg Rüdiger Lentz ist überzeugter Transatlantiker – so nennt man in Deutschland erklärte Verfechter und Förderer der deutschamerikanischen Freundschaft. Der heute 72-jährige Journalist hat lange als Washington-Korrespondent der Deutschen Welle in den USA gelebt, ist seit sieben Jahren Direktor der deutschen Dependance des Aspen Instituts in Berlin. Dass Lentz mit der Zeit eine tiefe emotionale Bindung zu den USA entwickelt hat, wird im Gespräch genauso schnell klar wie der Umstand, dass er zurzeit genau daran leidet. Der Schatten hat einen Namen: Donald Trump. „Die Bilder und Meldungen aus den USA sind für mich derzeit oft kaum zu ertragen“, sagt Lentz.
So geht es vielen, die sich mit den Werten und der Bevölkerung des noch immer mächtigsten Landes der Welt verbunden fühlen. Wie beispielsweise Angela Merkel, die in ihrer Jugend im Osten Deutschlands von Bluejeans und einer Reise in die Staaten träumte. Ein Wunsch, der – zumindest was die Reise betrifft – in Erfüllung ging. Mehr noch. Merkel durfte im Mai 2010 eine Rede vor dem Kongress halten, die ihren Höhepunkt in einer für ihre Verhältnisse überschwänglichen Beschwörung der Freundschaft zwischen den beiden Nationen fand.
Das alles scheint unendlich lange zurückzuliegen. Wohl noch nie war das Konterfei eines US-Präsidenten in deutschen Medien derart omnipräsent – und so negativ behaftet. Donald Trump, gezeichnet als „Feuerteufel“auf dem aktuellen
Spiegel-Titel oder – schon 2017 – im Stern als in eine US-Flagge gehüllter Neonazi mit römischem Gruß. Darstellungen, die in Deutschland lange kaum denkbar waren, auch wenn der eine oder andere Präsident schon mal als rachsüchtiger Uncle Sam karikiert wurde.
Keine Spur mehr vom „Großen Bruder“, der seine schützende Hand über Westeuropa und insbesondere Deutschland hält. „Es wird schon nicht so schlimm kommen“, sagten sich Freunde der USA, als Trump vor mehr als drei Jahren in Washington vereidigt wurde. Und heute? Der US-Präsident gilt in Deutschland als gnadenloser System-Sprenger – nach außen wie nach innen. Als Narziss, der sich nicht um internationale Bündnisse und Partnerschaften schert, dem demokratische Grundwerte egal zu sein scheinen, der in der CoronaKrise nicht auf Wissenschaftler hört und der die aufgeheizte Stimmung nach dem tödlichen Polizeieinsatz gegen den Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis noch anheizt.
„Natürlich darf man die USA nicht mit Trump gleichsetzen. Meine große Befürchtung ist nur, dass viele in Deutschland diesen Unterschied nicht mehr wahrnehmen“, sagt Lentz. Genau dies befürchtet auch Thomas Kleine-Brockhoff, der viele Jahre für Die Zeit in den USA arbeitete. Der Vizepräsident des German Marshall Fund, einer USDenkfabrik, bezeichnet die Situation im Gespräch mit unserer Redaktion als „Fest für den Antiamerikanismus“, da Gegner der USA jetzt – und noch mehr im Falle einer Wiederwahl Trumps – weit weniger Mühe haben würden, ihre Abneigung zu begründen. „Wir haben in Europa und Deutschland aber keinen Anlass, uns über die Krisen in den USA zu erheben. Denn was wir sehen, ist nicht alleine eine amerikanische Krise, sondern auch eine Krise des Westens. Ich denke an Figuren wie Salvini in Italien oder Le Pen in Frankreich.“
David Deißner, Geschäftsführer der Atlantik-Brücke, der traditionsreichen Plattform für die deutschamerikanische Freundschaft, ist sich bewusst, dass die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland auf dem „tiefsten Punkt der Nachkriegszeit“angelangt sind. Die Antwort
darauf sei, weder „in nostalgische Sehnsucht nach alten Zeiten“noch in „fatalistische Ablehnung“zu verfallen. Für Deißner bleiben die USA auch in Zukunft der „wichtigste Partner“. Denn immerhin formiere sich dort öffentlicher Widerstand, würden die Menschen auf der Straße in fast allen Städten gegen Rassismus protestieren. „In Russland wäre das kaum möglich, in China undenkbar.“
Wie groß jedoch inzwischen das Befremden in der deutschen Bevölkerung über die US-Politik ist, schlägt sich auch in repräsentativen Umfragen nieder. Eine Erhebung im Auftrag der Körber-Stiftung vom Mai muss überzeugte Transatlantiker alarmieren: Danach sind 36
Prozent der Deutschen der Auffassung, Deutschland sollte eine engere Beziehung zu China als zu den USA haben. Nur eine hauchdünne Mehrheit von 37 Prozent wünscht sich ein engeres Verhältnis zu den USA als zu China. „Das ist für uns natürlich schockierend“, sagt Deißner. Zumal ein klarer Trend sichtbar wird: Im September 2019 hielt noch jeder Zweite die Verbundenheit mit den USA für wichtiger – nur 24 Prozent präferierten China. Eine weitere Umfrage von Körber-Stiftung und Pew-Research-Center zeigt hingegen, dass 75 Prozent der befragten Amerikaner das Verhältnis beider Länder als „gut“einschätzen. Und das, wie Kleine-Brockhoff hervorhebt, obwohl die US-Regierung immer wieder mit „irritierend antideutschen Gesten“operiere.
Zuletzt erfuhr die Bundesregierung aus der amerikanischen Presse, dass das Weiße Haus offensichtlich mit dem Gedanken spielt, knapp 10000 Soldaten – mithin rund ein Drittel ihres Kontingents – aus Deutschland abzuziehen. Auch innerhalb der CDU, der Partei also, die als Garant der deutsch-amerikanischen Freundschaft gilt, macht sich Unsicherheit breit, ob Washington tatsächlich noch in jedem Fall vorbehaltlos bereit wäre, die Bündnisverpflichtungen der Nato einzuhalten. Außenpolitiker wie Norbert Röttgen halten die wiederkehrenden Gerüchte für einen Truppenabzug für wahlkampftaktisch motiviert.
Sollte es so sein, wäre auch das ein weiteres Signal dafür, dass die Beziehungen zu Deutschland, aber auch die Zukunft der Nato bestenfalls von zweitrangiger Bedeutung sind. Was wiederum ins Bild passt: Schließlich steht die westliche Militärallianz als breit angelegtes Bündnis für alles, was Trump in Wort und Tat verachtet.
Thomas Kleine-Brockhoff hegt keine Hoffnungen, dass sich das Verhältnis schnell wieder verbessert: „Jetzt läuft in den USA der Wahlkampf, wir stehen vor einem heißen Sommer. Ein heißer Herbst könnte nach der Wahl im November folgen. Es sei denn, Joe Biden gewinnt haushoch. Alles unter haushoch könnte eine Fortsetzung der Krise bedeuten.“Schließlich würde Trump ja seit Wochen eine Verfassungsund Wahlkrise geradezu herbeireden, in dem er schon jetzt von einem bevorstehenden groß angelegten Wahlbetrug spricht. Auch Rüdiger Lentz glaubt nicht daran, dass Trump einen guten Verlierer abgeben würde: „Nein, dieser Mann wird nicht freiwillig von der Bühne gehen.“
Für den Fall einer Wiederwahl Trumps fürchtet Thomas KleineBrockhoff, dass „die Versuchung, gerade in Deutschland, umso größer wird, sich im geopolitischen Niemandsland zwischen Russland und China bewegen zu wollen. Angetrieben vom deutschen Neutralitätsgen und von der deutschen Wirtschaft. Allerdings hoffe ich, dass das europäische Gedächtnis der Deutschen ausreicht, diesen Weg nicht zu beschreiten.“
Rüdiger Lentz glaubt weiterhin daran, dass die Basis für ein enges Verhältnis auch in Zukunft tragen wird. „Die USA und Deutschland müssen Verbündete bleiben, sie teilen im Grundsatz noch immer die gleiche Werte.“
„Die Antwort ist weder nostalgische Sehnsucht noch fatalistische Ablehnung.“
David Deißner, Atlantik-Brücke