Stand der VW-Chef kurz vor dem Rauswurf?
Wie Herbert Diess nicht nur den eigenen Aufsichtsrat gegen sich aufbrachte
Wolfsburg Die Nerven liegen blank in Wolfsburg. Wieder einmal. Aber so deutlich wie seit dem Beginn von „Dieselgate“vor fast fünf Jahren nicht mehr. Das Durcheinander ist nur noch schwer zu entwirren. Fakt ist: VW-Konzernchef Herbert Diess gibt die Führung der Hauptmarke in der größten Autogruppe der Welt ab. Nur: Tut er das freiwillig oder muss er sie abgeben? Ist es eine letzte Warnung an den gern schneidig auftretenden Manager, nachdem sich in den vergangenen Monaten die Probleme und Kommunikationspannen häuften?
Die offizielle Darstellung lautet so: Diess müsse „mehr Freiraum“für strategische Aufgaben erhalten. Die inoffizielle Lesart bei so manchem ist etwas anders: Er könne noch froh sein, wenigstens den Gesamtkonzern weiter steuern zu dürfen. Bei Volkswagen sind sie Machtkämpfe gewohnt – zum Leidwesen der Beschäftigten, die ihr Unternehmen immer wieder in ein schlechtes Licht gerückt sehen. Doch jetzt hat der oberste Manager im Streit um die Verantwortung für Fehler den Bogen womöglich überspannt.
Vor mehr als 3000 Managern beklagte sich Diess in einer Videokonferenz über das Durchstechen sensibler Informationen zu den Schwierigkeiten, mit denen der Hersteller zu kämpfen hat. Beim Aushängeschild Golf 8 hinkt die Produktion den Zielen dramatisch hinterher, Software-Probleme plagen das Modell, viele Mitarbeiter fühlen sich mit dem steigenden Druck allein gelassen. Auch der milliardenteure Hoffnungsträger, der Elektrowagen ID.3, verzögert sich. In Sachen Auto-Kaufprämie wagte sich Diess mit seinen Forderungen weit vor, die in der Bundesregierung als anmaßend empfunden wurden. Dann noch die als abwiegelnd wahrgenommene Kommunikation um ein rassistisches Werbevideo. Und die Frage, ob in einer solchen Gemengelage Diess’ angeblicher Wunsch nach einer frühzeitigen Vertragsverlängerung angemessen erscheint.
Als Ersten riss den einflussreichen Vertrauensleuten der IG Metall der Geduldsfaden. In einer beispiellosen Aktion sprachen sie dem Vorstand per offenem Brief über weite Strecken das Misstrauen aus. Man sei „zunehmend massiv besorgt“, vermisse eine klare Krisenstrategie zu den Produktionsproblemen sowie zum öffentlichen Bild, das VW abgebe, kritisierte die Gewerkschaft. Aber auch Diess fühlte sich angegriffen, weil Interna gestreut worden seien. Bei dem, was am vergangenen Donnerstag in der Managerrunde folgte, sollen manche
Anwesenden kaum ihren Ohren getraut haben. „Die Vorkommnisse im Aufsichtsrat in der letzten Woche und die Kommunikation über die Vorkommnisse im Aufsichtsrat helfen dem Unternehmen nicht“, sagte Diess. „Sie sind auch ein Zeichen fehlender Integrität und Compliance. Das sind Straftaten, die im Aufsichtsratspräsidium passieren und dort offensichtlich zugeordnet werden können.“Man müsse „aufpassen, dass der Aufsichtsrat, unser oberstes Gremium, im Prinzip uns da nicht in dieser Position schwächt“. Das saß. Nicht nur bei den anderen Managern löste der Boss damit Befremden aus, sondern auch bei den so betriebsöffentlich kritisierten Kontrolleuren. Ein Konzernsprecher versicherte, es sei nicht Diess’ Absicht gewesen, die eigenen Aufseher anzugreifen. Nur wie sonst soll man seine Aussagen werten?
Im engsten Machtzirkel sitzen neben Chefkontrolleur Hans Dieter Pötsch Vertreter der Familien Porsche und Piëch, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, IGMetall-Chef Jörg Hofmann und hohe Betriebsräte. „Dr. Diess wollte nicht zum Ausdruck bringen, dass sich Mitglieder des Aufsichtsrats strafbar gemacht haben“, erklärte
Die IG Metall verfolgt den Kurs mit Misstrauen
VW eilig. Die Äußerungen seien „im Kontext von Presseberichten getätigt worden, für deren Grundlage in wiederholten Fällen offensichtlich vertrauliche Informationen auch zu Themen des Aufsichtsrats an Medien gelangt waren“.
Dennoch empfanden manche das als Untergraben der Autorität des obersten Konzerngremiums. Diess soll kurz vor dem Rauswurf gestanden haben, ist mitunter zu hören – vor allem formalrechtliche Bedenken hätten einige Entscheidungsträger noch davon abgehalten. Die Idee, den erfahrenen Ralf Brandstätter vom Co-Geschäftsführer der Kernmarke zum operativ alleinzuständigen Chef der Fahrzeuge mit dem VW-Logo zu machen, habe es jedoch auch unabhängig von den jüngsten Zuspitzungen gegeben.
Einige Kommentatoren bezweifeln, ob es eine glückliche Entscheidung ist, Diess bei aller Kritik ausgerechnet in der schwierigen aktuellen Phase die Hauptmarke zu nehmen. Kein Geheimnis ist, dass es insbesondere zwischen Betriebsratschef Bernd Osterloh und Diess seit langem kriselt. Schon beim Sparprogramm „Zukunftspakt“gerieten beide heftig aneinander, als der neue Chef gerade von BMW gekommen war. Danach herrschte so etwas wie ein Burgfrieden. Im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten mit dem Golf 8 – den Diess in sozialen Netzwerken als großen Erfolg darstellt, was an den Bändern teilweise Kopfschütteln auslöst – entzündete sich der Konflikt von Neuem.
Spätestens jetzt dürfte dem Manager, der bisher Konzern und Kernmarke in Personalunion leitete, eine heikle Bewährungsprobe bevorstehen. Er habe seine Äußerungen als „unangemessen und falsch“entschuldigt, hieß es aus dem Kontrollgremium am Dienstag. Der Porsche/Piëch-Clan, der von Diess’ Management-Qualitäten und Zukunftsorientierung überzeugt ist, steht – vorerst – ebenfalls weiter zu dem promovierten Fertigungstechniker. „Herr Diess hat sich in aller Form entschuldigt“, ließen die VWMehrheitseigner erklären – verbanden damit aber eine Mahnung. „Klar ist auch: Das Unternehmen muss jetzt in ruhigeres Fahrwasser kommen.“