Weniger Blitzer, deutlich mehr Raser
Im Mai verloren 835 Temposünder in Schwaben ihren Führerschein, obwohl coronabedingt weniger als sonst kontrolliert wurde. Woran das liegt und warum es laut ADAC für betroffene Autofahrer Hoffnung gibt
Augsburg/Kempten Die Zahl der Fahrverbote wegen zu schnellen Fahrens ist in den vergangenen Wochen in Schwaben drastisch gestiegen. Wie die beiden Polizeipräsidien in Augsburg und Kempten auf Anfrage berichteten, verloren im Zeitraum 28. April bis 28. Mai insgesamt 835 Autofahrerinnen und Autofahrer in der Region wegen Tempoverstößen ihren Führerschein. Das sind gut viermal mehr als im Vorjahreszeitraum.
Grund für den Anstieg ist der neue Bußgeldkatalog, der am 28. April in Kraft trat. Er sieht vor, dass Temposünder deutlich früher als bisher ihre Fahrerlaubnis verlieren. Ein einmonatiges Fahrverbot wird jetzt schon verhängt, wenn man innerhalb geschlossener Ortschaften die Höchstgeschwindigkeit um 21 Stundenkilometer überschreitet. Außerorts ist der Schein bei 26 Stundenkilometern Überschreitung weg. Bisher drohte der Führerscheinentzug erst, wenn man innerorts 31 Stundenkilometer oder außerorts 41 Stundenkilometer zu schnell unterwegs ist.
Besonders deutlich zeigt sich der Anstieg, wenn man die Zahl der verhängten Fahrverbote ins Verhältnis zu den Gesamtfällen setzt.
● 2018 wurden im Zeitraum 28. April bis 28. Mai in Schwaben 15051 Temposünder ertappt. 359 von ihnen verloren den Führerschein, also rund jeder Vierzigste.
● Ähnlich war das Verhältnis 2019, als im Vergleichzeitraum 12 633 Raser ertappt und davon in 198 Fällen Fahrverbote verhängt wurden, was Anteil von rund 1,6 Prozent entspricht.
● Im Mai dieses Jahres gab es coronabedingt weniger Tempokontrollen, dafür aber 16057 Schnellfahrer – von denen am Ende 835 den Führerschein abgeben mussten. Rund 5,2 Prozent.
Ob der starke Anstieg ein schwäbisches Phänomen ist, mag man beim für Bayern zuständigen Polizeiverwaltungsamt in Straubing nicht beurteilen. Auch eine bayernweite Steigerung der verhängten Fahrverbote könne man – noch – nicht belegen. „Die Zahlen kommen immer erst mit einem zeitlichen Versatz bei uns an, daher sind belastende Aussagen erst in einigen Wochen möglich“, sagt Sprecher Alexander Lorenz.
Tatsache ist, dass die Verschärfung des Bußgeldkatalogs durchaus umstritten ist. So bezeichnete Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer die Senkung der Grenze für
Fahrverbot kürzlich selbst als „unverhältnismäßig“und kündigte an, den neuen Bußgeldkatalog in diesem Punkt gleich wieder auf den Prüfstand zu stellen. Ähnlich äußerte sich Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (beide CSU). Auf Nachfrage unserer Redaktion hieß es am Dienstag aus dem Bundesverkehrsministerium, man arbeite derzeit an einer Änderung und „ist bereits auf die Bundesländer zugegangen, um deren für die Umsetzung notwendige Zustimmung zu erhalten“.
Unterstützung für diesen Vorstoß kommt vom ADAC. „Die Novelle der Straßenverkehrsordnung schießt bei der Sanktionierung von Tempoverstößen über das Ziel hinaus“, sagte ein ADAC-Sprecher in München gegenüber unserer Redaktion. Die bisherige Unterscheidung in leichte, mittelschwere und grobe Verkehrsverstöße habe sich in Deutschland seit Jahrzehnten beeinem währt, „diese Differenzierung fällt mit der Neuregelung weg“. Der Club forderte „schnelles Handeln, um baldmöglichst Rechtssicherheit für Autofahrer herzustellen“.
Sollten Temposünder, die in den vergangenen Wochen ihren Führerschein verloren, also Einspruch einlegen und darauf hoffen, dass die Straßenverkehrsordnung schon bald wieder geändert wird? So weit will der ADAC nicht gehen. Ein Einspruch wäre vor allem sinnvoll, wenn klar ist, wann eine „Reform der Reform“umgesetzt wird. Dann könnten Autofahrer möglicherweise von einer milderen Buße profitieren. Das sei momentan aber noch nicht absehbar.
Geht es nach den Grünen, soll ohnehin alles so bleiben, wie es ist. „Die meisten tödlichen Unfälle ereignen sich nun einmal wegen überhöhter Geschwindigkeit“, sagt Thomas Gehring aus Gunzesried (Oberallgäu), Landtagsabgeordneein ter der Grünen und II. Vizepräsident des Bayerischen Landtags. Für ein schnelles Zurückdrehen der Reform hätte Gehring kein Verständnis. „Wir sollten jetzt erst einmal in Ruhe prüfen, welche Auswirkungen der neue Bußgeldkatalog tatsächlich hat.“Ein Jahr hält Gehring hier für einen sinnvollen Zeitraum.
Bis dahin dürften in Schwaben noch jede Menge schneller Autofahrer ihren Führerschein verlieren. Darauf deutet auch ein Test aus dem Bereich Neu-Ulm/Elchingen hin, für den ebenfalls das Polizeipräsidium in Kempten zuständig ist. Dort stellte die Verkehrspolizei im Mai einen speziellen Anhänger für Tempokontrollen an unfallträchtigen Straßenabschnitten ab. Bilanz: Binnen zweieinhalb Wochen dokumentierte der Enforcement Trailer 2311 zu schnelle Autofahrer. 667 von ihnen – gut jeder Vierte – wird nun den Führerschein verlieren. Und bei diesem Test soll es nicht bleiben.
„Das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West hat die dauerhafte Anschaffung eines solchen Enforcement Trailers beschlossen“, berichtete Sprecher Thomas Hodruss. Nur wann der Anhänger kommt, sei noch nicht klar.
Auch das Präsidium Schwaben Nord in Augsburg hat seit diesem Jahr einen solchen Blitzeranhänger. Wie „erfolgreich“der ist, zeigen die Zahlen. Im Vergleich zum Mai des Vorjahres wurden 2020 im Bereich des Präsidiums nicht einmal halb so viele Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt, dabei aber beinahe doppelt so viele Raser erwischt.