Neuburger Rundschau

Weniger Blitzer, deutlich mehr Raser

Im Mai verloren 835 Temposünde­r in Schwaben ihren Führersche­in, obwohl coronabedi­ngt weniger als sonst kontrollie­rt wurde. Woran das liegt und warum es laut ADAC für betroffene Autofahrer Hoffnung gibt

- VON SASCHA BOROWSKI UND MICHAEL BÖHM

Augsburg/Kempten Die Zahl der Fahrverbot­e wegen zu schnellen Fahrens ist in den vergangene­n Wochen in Schwaben drastisch gestiegen. Wie die beiden Polizeiprä­sidien in Augsburg und Kempten auf Anfrage berichtete­n, verloren im Zeitraum 28. April bis 28. Mai insgesamt 835 Autofahrer­innen und Autofahrer in der Region wegen Tempoverst­ößen ihren Führersche­in. Das sind gut viermal mehr als im Vorjahresz­eitraum.

Grund für den Anstieg ist der neue Bußgeldkat­alog, der am 28. April in Kraft trat. Er sieht vor, dass Temposünde­r deutlich früher als bisher ihre Fahrerlaub­nis verlieren. Ein einmonatig­es Fahrverbot wird jetzt schon verhängt, wenn man innerhalb geschlosse­ner Ortschafte­n die Höchstgesc­hwindigkei­t um 21 Stundenkil­ometer überschrei­tet. Außerorts ist der Schein bei 26 Stundenkil­ometern Überschrei­tung weg. Bisher drohte der Führersche­inentzug erst, wenn man innerorts 31 Stundenkil­ometer oder außerorts 41 Stundenkil­ometer zu schnell unterwegs ist.

Besonders deutlich zeigt sich der Anstieg, wenn man die Zahl der verhängten Fahrverbot­e ins Verhältnis zu den Gesamtfäll­en setzt.

● 2018 wurden im Zeitraum 28. April bis 28. Mai in Schwaben 15051 Temposünde­r ertappt. 359 von ihnen verloren den Führersche­in, also rund jeder Vierzigste.

● Ähnlich war das Verhältnis 2019, als im Vergleichz­eitraum 12 633 Raser ertappt und davon in 198 Fällen Fahrverbot­e verhängt wurden, was Anteil von rund 1,6 Prozent entspricht.

● Im Mai dieses Jahres gab es coronabedi­ngt weniger Tempokontr­ollen, dafür aber 16057 Schnellfah­rer – von denen am Ende 835 den Führersche­in abgeben mussten. Rund 5,2 Prozent.

Ob der starke Anstieg ein schwäbisch­es Phänomen ist, mag man beim für Bayern zuständige­n Polizeiver­waltungsam­t in Straubing nicht beurteilen. Auch eine bayernweit­e Steigerung der verhängten Fahrverbot­e könne man – noch – nicht belegen. „Die Zahlen kommen immer erst mit einem zeitlichen Versatz bei uns an, daher sind belastende Aussagen erst in einigen Wochen möglich“, sagt Sprecher Alexander Lorenz.

Tatsache ist, dass die Verschärfu­ng des Bußgeldkat­alogs durchaus umstritten ist. So bezeichnet­e Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer die Senkung der Grenze für

Fahrverbot kürzlich selbst als „unverhältn­ismäßig“und kündigte an, den neuen Bußgeldkat­alog in diesem Punkt gleich wieder auf den Prüfstand zu stellen. Ähnlich äußerte sich Bayerns Verkehrsmi­nisterin Kerstin Schreyer (beide CSU). Auf Nachfrage unserer Redaktion hieß es am Dienstag aus dem Bundesverk­ehrsminist­erium, man arbeite derzeit an einer Änderung und „ist bereits auf die Bundesländ­er zugegangen, um deren für die Umsetzung notwendige Zustimmung zu erhalten“.

Unterstütz­ung für diesen Vorstoß kommt vom ADAC. „Die Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng schießt bei der Sanktionie­rung von Tempoverst­ößen über das Ziel hinaus“, sagte ein ADAC-Sprecher in München gegenüber unserer Redaktion. Die bisherige Unterschei­dung in leichte, mittelschw­ere und grobe Verkehrsve­rstöße habe sich in Deutschlan­d seit Jahrzehnte­n beeinem währt, „diese Differenzi­erung fällt mit der Neuregelun­g weg“. Der Club forderte „schnelles Handeln, um baldmöglic­hst Rechtssich­erheit für Autofahrer herzustell­en“.

Sollten Temposünde­r, die in den vergangene­n Wochen ihren Führersche­in verloren, also Einspruch einlegen und darauf hoffen, dass die Straßenver­kehrsordnu­ng schon bald wieder geändert wird? So weit will der ADAC nicht gehen. Ein Einspruch wäre vor allem sinnvoll, wenn klar ist, wann eine „Reform der Reform“umgesetzt wird. Dann könnten Autofahrer möglicherw­eise von einer milderen Buße profitiere­n. Das sei momentan aber noch nicht absehbar.

Geht es nach den Grünen, soll ohnehin alles so bleiben, wie es ist. „Die meisten tödlichen Unfälle ereignen sich nun einmal wegen überhöhter Geschwindi­gkeit“, sagt Thomas Gehring aus Gunzesried (Oberallgäu), Landtagsab­geordneein ter der Grünen und II. Vizepräsid­ent des Bayerische­n Landtags. Für ein schnelles Zurückdreh­en der Reform hätte Gehring kein Verständni­s. „Wir sollten jetzt erst einmal in Ruhe prüfen, welche Auswirkung­en der neue Bußgeldkat­alog tatsächlic­h hat.“Ein Jahr hält Gehring hier für einen sinnvollen Zeitraum.

Bis dahin dürften in Schwaben noch jede Menge schneller Autofahrer ihren Führersche­in verlieren. Darauf deutet auch ein Test aus dem Bereich Neu-Ulm/Elchingen hin, für den ebenfalls das Polizeiprä­sidium in Kempten zuständig ist. Dort stellte die Verkehrspo­lizei im Mai einen speziellen Anhänger für Tempokontr­ollen an unfallträc­htigen Straßenabs­chnitten ab. Bilanz: Binnen zweieinhal­b Wochen dokumentie­rte der Enforcemen­t Trailer 2311 zu schnelle Autofahrer. 667 von ihnen – gut jeder Vierte – wird nun den Führersche­in verlieren. Und bei diesem Test soll es nicht bleiben.

„Das Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West hat die dauerhafte Anschaffun­g eines solchen Enforcemen­t Trailers beschlosse­n“, berichtete Sprecher Thomas Hodruss. Nur wann der Anhänger kommt, sei noch nicht klar.

Auch das Präsidium Schwaben Nord in Augsburg hat seit diesem Jahr einen solchen Blitzeranh­änger. Wie „erfolgreic­h“der ist, zeigen die Zahlen. Im Vergleich zum Mai des Vorjahres wurden 2020 im Bereich des Präsidiums nicht einmal halb so viele Geschwindi­gkeitsmess­ungen durchgefüh­rt, dabei aber beinahe doppelt so viele Raser erwischt.

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Foto: Ralf Lienert Die Zahl der Temposünde­r, die ihren Führersche­in verloren haben, ist im Mai massiv gestiegen.
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Foto: Polizei Einen speziellen Anhänger für Tempokontr­ollen wird die Polizei künftig auch im Allgäu einsetzen.

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