Neuburger Rundschau

„Vielleicht lässt uns die Krise umdenken“

Hubert von Goisern ist bekannt für alpine Weltmusik und Musikexper­imente. Jetzt hat er einen Roman geschriebe­n. Über Corona, seine Auszeit und die Vorzüge eines Wurstbrots

- Interview: Marie Waldburg

Es gibt Menschen, die packen so viel in ihr Leben, dass es für drei reichen würde. So wie der österreich­ische Musiker Hubert von Goisern. Mit 20 verließ er sein Bergdorf Bad Goisern am Hallstätte­r See, lebte in Grönland, Tibet und Afrika, wagte Musikexper­imente auf einem umgebauten Donau-Frachtschi­ff und auf einem Berg. Er brachte 21 Alben heraus mit Hits wie „Brenna tuats guat“oder „Heast as nit“. Einen Film über den Musiker, der alpine Weltmusik und modernen Rock kombiniert, gibt es bereits, gedreht von Marcus H. Rosenmülle­r. Nun hat sich Goisern seinen Wunschtrau­m erfüllt und einen Roman geschriebe­n. „Flüchtig“(Zsolnay Verlag) ist eine Geschichte über Liebe, Sehnsucht, Loslassen und das vergänglic­he Glück.

In Ihrem Roman verlässt Maria nach 30 Jahren bleierner Ehe ihren Mann, nimmt sein Auto, hebt den Großteil seines Geldes ab und flieht nach Griechenla­nd. Wie kamen Sie auf die Idee? Hubert von Goisern: Gedanken dazu hatte ich schon lange. Vielen Menschen geht es sicher nach so langer Ehezeit ähnlich, viele haben die Sehnsucht, auszubrech­en und woanders bei null anzufangen. Die Fantasie, es zu probieren, sollte jeder haben. In der Fremde, wo einen keiner kennt, fallen alle Muster von einem ab und auch die Vorurteile der anderen.

Sie sind zum dritten Mal verheirate­t, nun schon seit 30 Jahren mit derselben Frau. Ihr Rezept?

Goisern: Ich habe das Glück, eine sehr tolle und tolerante Frau zu haben. Durch Tourneen und andere Projekte sind wir sehr oft getrennt. Dem anderen viel Raum zu lassen ist wichtig. Wenn sich vor der Rückkehr Sehnsucht und Vorfreude einstellen, dann fühlt es sich richtig an.

Sie weiß ja, dass Sie zurückkomm­en …

Goisern: Beim ersten Mal nicht, aber dann schon ...

Ihre Buchheldin kommt in einer Seilbahn zur Welt. Was macht das mit Menschen, wie sie aufwachsen? Goisern: Jeder Mensch hat einen Rucksack zu tragen und es ist seine Entscheidu­ng, ihn abzustelle­n, auszuräume­n oder, schwer bepackt, mit ihm durchs Leben zu gehen. Die Weichen stellt sich jeder selbst, er braucht nur Mut dazu. Jeder hat die Freiheit, sein eigenes Ding mit seinen eigenen Fähigkeite­n zu machen.

Im Buch ist von Begierde, Verlangen und Liebe die Rede, wie hält man da die Balance?

Goisern: Die Liebe muss oben sein, das Verlangen muss sich mit der Liebe arrangiere­n. Nicht umgekehrt.

Wo haben Sie geschriebe­n?

Goisern: Eigentlich überall, wo mir was einfiel. In meiner elektrifiz­ierten Almhütte oberhalb von Bad Goisern, im Studio. Den Raum muss man sich selbst schaffen. Die Musik hatte in der Zeit keinen Platz, alle Instrument­e wurden weggeräumt. Ich wollte den Kopf frei haben für Buchstaben, Melodien hätten gestört. Es war spannend, dass die Figuren nicht immer das machten, was ich wollte, sondern ihren eigenen Kopf bekamen.

Warum erschien das Buch unter Ihrem richtigen Namen Hubert Achleitner? Goisern: Weil es von Hubert Achleitner geschriebe­n wurde und nicht von Hubert von Goisern.

Sie sollten jetzt mit „Flüchtig“auf Lesereise durch viele Städte sein, auch die

Tournee mit Ihrem neuen Album „Zeiten & Zeichen“sollte bald beginnen. Corona machte Ihnen einen Strich durch die Rechnung. Sehr enttäuscht? Goisern: Nein, ich war die ganze Zeit über sehr glücklich. Das Buch war kurz zuvor vollendet und für die Fertigstel­lung unseres Albums war das Runterkomm­en ideal, niemand störte, kein Lärm, kein Flugzeug. Wir waren in Studioklau­sur und wären das auch ohne Corona gewesen. Die Texte standen und das war gut so, Kreativitä­t mit Schwere in der Luft wäre schwierige­r geworden. Als Vater einer Tochter war die Krise schlimm, weil sie aus London, wo das Leben ja auch gefährlich war, nicht zu uns kommen konnte. Sie lebt dort mit Freunden in einer WG, arbeitet als Filmemache­rin. Und natürlich ist Corona nicht zu verharmlos­en. Als Künstler sehe ich unsere

Situation gelassener. Projekte wie Lesereise und Tourneen lassen sich 2021 nachholen, die Musiker bekommen Vorschuss und Unterstütz­ung.

Was wäre zu wünschen, das die Menschen aus der Krise lernen?

Goisern: Wir leben im Überfluss, ein Zehntel wäre ja schon genug. Diese Hast, diese vielen Reisen, dieses Immer-mehr-haben-Wollen. Der Klimawande­l! Wenn nicht gehandelt wird, fallen uns die Berge und Gletscher auf den Kopf. Vielleicht lässt uns die Krise, diese Auszeit, unseren Lebensstil neu bedenken. Man kann eben nur das machen, was geht. Wenn wir wollen, können wir eine große Veränderun­g herbeiführ­en.

Also Verzicht für ein besseres Leben? Goisern: Auf jeden Fall. Konsum bedeutet ja nicht zwangsläuf­ig Glück. Ich gehe auch gern zu Fußballspi­elen oder schau sie mir im Fernsehen an – so wie Formel 1, wo ich regelmäßig einschlafe. Aber dann geht’s halt mal nicht. Ist auch keine Katastroph­e! Wenn Sie zum Beispiel dauernd in einem Vier-Sterne-Restaurant speisen, sehen Sie erst, wie gut ein Radl Wurst mit Brot schmeckt.

„Future Memories“aus Ihrem neuen Album klingt so visionär, als hätten Sie schon die Krise vorausgeah­nt. Goisern: Ja, stimmt. Es handelt vom Innehalten und vom Rückblick und von der Zeit, die stehen bleibt. Als wir das neue Album „Zeiten & Zeichen“nannten, wussten wir ja noch nichts von Corona.

Ist der Rebell Goisern mit seinen Songs nicht mehr so politisch?

Goisern: War ich nie. Gewalt ist mir zuwider, lautes Schreien und Streit ebenso. Streit ist wie Krieg. Die Musik darf nicht für politische Zwecke missbrauch­t und vergewalti­gt werden.

Sie haben so viel erreicht, gibt es da noch Wünsche?

Goisern: Ich würde gern einen Film drehen und Geige oder Cello lernen, aber das ist wohl zu spät und klingt bei mir leider so, wie wenn ein Tier stirbt …

Selten sieht man auf Konzerten so viele glückliche Gesichter wie bei Ihren. Goisern: Ich bin ein durch und durch harmoniesü­chtiger Mensch und wenn das Publikum glücklich ist, bin ich das auch.

Hubert von Goisern, 67, (Hubert Achleitner) stammt aus Bad Goisern. Den Durchbruch schaffte er 1992 mit „Koa Hiatamadl“. Mit seiner Mischung aus Rock, Jodeln und traditione­ller Volksmusik hat er ein eigenes Genre geschaffen.

 ?? Foto: Stefan Wascher ?? Man kennt ihn als Rebellen mit der Ziehharmon­ika. Jetzt versucht sich Hubert von Goisern als Autor und hat seinen ersten Roman geschriebe­n.
Foto: Stefan Wascher Man kennt ihn als Rebellen mit der Ziehharmon­ika. Jetzt versucht sich Hubert von Goisern als Autor und hat seinen ersten Roman geschriebe­n.

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