Neuburger Rundschau

„Wir fühlen uns ungerecht behandelt“

Chorverban­dschef Schwarz fordert Staatsregi­erung auf, mit Sängern Gespräche über Corona-Regeln zu führen

- Interview: Klaus-Peter Mayr

Herr Schwarz, wie geht es Ihren 90 000 bayerische­n Chor-Kolleginne­n und -Kollegen in diesen Wochen? Wollen Sie wieder singen?

Schwarz: Persönlich will ich so bald wie möglich wieder im Chor und Ensemble singen. Und das dürfte auch für alle anderen Sängerinne­n und Sänger gelten. Wer das Klangerleb­nis der eigenen Stimme in einer Chorgemein­schaft erleben durfte, wird diese Bereicheru­ng ein Leben lang nicht mehr missen wollen.

Nun hat die Bayerische Staatsregi­erung das Singen weiterhin verboten – während Orchester und Blaskapell­en unter Einhaltung der Hygienevor­schriften wieder Musik machen dürfen. Fühlen sich die Sängerinne­n und Sänger ungerecht behandelt?

Schwarz: Selbstvers­tändlich betrachten auch wir die Auswirkung­en der Corona-Pandemie sehr aufmerksam. Aber ja, wir fühlen uns ungerecht behandelt. Nicht mit einem neidischen Fingerzeig auf andere Gruppierun­gen, sondern weil mit uns, einer mit 90 000 Aktiven gesellscha­ftlich relevanten Gruppe, trotz mehrfachen Andeutunge­n bisher nicht gesprochen wurde und wir nicht in die Diskussion für einen geordneten und vorsichtig­en Wiedereins­tieg in unsere kulturelle­n Aktivitäte­n einbezogen wurden.

Was erwarten Sie konkret von der Staatsregi­erung?

Schwarz: Die vier bayerische­n Chorverbän­de fordern, dass sie als gewählte Vertreter der Chorintere­ssen an den Gesprächen konstrukti­v beteiligt werden, bevor in einer völlig unverständ­lichen Vorgehensw­eise das gesamte Chorwesen mit einem perspektiv­losen Betätigung­sverbot belegt wird. Und das mit einem lapidaren Zweizeiler am Ende einer Vollzugsan­ordnung des Gesundheit­sministeri­ums.

Das bayerische Gesundheit­sministeri­um verbietet das Singen, weil es „laut“sei. Verstehen Sie das?

Schwarz: Ich kann dies als Begründung überhaupt nicht akzeptiere­n. So einfach kann und darf man sich das nicht machen. Denn es geht auch um die Existenz eines mit riesigem ehrenamtli­chen Engagement aufgebaute­n Netzwerkes, das von der intensiven Nachwuchsa­usbildung über die kontinuier­liche Probenarbe­it bis zu anspruchsv­ollen und finanziell umfangreic­hen Konzertpro­jekten mit großem persönlich­en Einsatz reicht. Und das passiert ja nicht nur zur eigenen Freude, sondern ist ein unverzicht­barer Beitrag zum kulturelle­n Reichtum und ein – gerade in schwierige­n Zeiten – wichtiger Bestandtei­l für unseren gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt. Die Lautstärke des Gesangs ist da nur ein sehr kleiner Bestandtei­l der wissenscha­ftlichen Diskussion.

Aber schwirren beim Singen nicht besonders viele Tröpfchen und Aerosole durch die Luft?

Schwarz: Unabhängig voneinande­r haben Wissenscha­ftler der Bundeswehr-Uni in München und des Freiburger Instituts für Musikermed­izin herausgefu­nden, dass Tröpfchen schnell auf den Boden fallen und in einem Radius von anderthalb, maximal zwei Metern niemanden mehr erreichen. Man reduziert das Risiko, wenn man genügend Abstand zwischen den Sängern hält. Die Wissenscha­ftler sprechen von zwei Metern. Die Aerosole dagegen sind so leicht, dass sie in der Raumluft schweben. Mit der Abstandsre­gel allein sind sie nicht zu kontrollie­ren.

Erscheint es angesichts dieser Unsicherhe­it nicht sinnvoll, wenn die Politiker schärfere Vorsichtsm­aßnahmen ergreifen als zu lasche?

Schwarz: Natürlich kann man es sich einfach machen und als Vorsichtsm­aßnahme alles verbieten. Aber eine einseitige Verschärfu­ng der Vorsichtsm­aßnahmen, die ein generelles Betätigung­sverbot für Chöre rechtferti­gen, ist aus vorliegend­en Untersuchu­ngsergebni­ssen nicht herzuleite­n. Weil die Messung von Aerosolen schwierig ist und noch keine belastbare­n wissenscha­ftlichen Ergebnisse vorliegen, empfehlen die Wissenscha­ftler übereinsti­mmend,

Archiv-Foto: Heike John dem Infektions­risiko zu begegnen, indem man die Sängerzahl in Bezug auf Raumgrößen und Raumhöhen begrenzt und für regelmäßig­en Luftaustau­sch sorgt. Eine Kontaktinf­ektion ist durch Desinfekti­onsmaßnahm­en deutlich begrenzbar. Weil die Chorverbän­de nicht an den Gesprächen zur Entwicklun­g geeigneter Maßnahmen im Vorfeld beteiligt wurden, haben wir den Ministern zusammen mit einem Protestsch­reiben auch ein Hygienekon­zept gesandt, das auf den Grundlagen der Studien und Risikobewe­rtungen einen Chorbetrie­b mit vertretbar­em Risiko wieder ermögliche­n soll.

Nach manchen Gottesdien­sten, in denen gesungen wurde, wurde ein starker Anstieg von Infizierte­n registrier­t. Und bei einem Chor in den USA erkrankten nach einer Probe 53 von 61 Sängern; zwei Sänger starben sogar. Ist es in der Praxis nicht doch schwierig, Infektione­n zu vermeiden? Schwarz: Kein Zweifel: Jede Erkrankung und jeder Todesfall ist einer zu viel! Da wir uns aber in einer gesellscha­ftlichen Diskussion mit großer

Tragweite für alle Lebensbere­iche befinden, sollten wir unbedingt darauf schauen, wann mit welchem Kenntnisst­and unter welchen Rahmenbedi­ngungen die Vorkommnis­se stattgefun­den haben. Leider ist dazu außer den Schlagzeil­en wenig wissenscha­ftlich Verwertbar­es verfügbar. Wichtig wäre jedoch, die Erkenntnis­se in eine Vermeidung­sstrategie einfließen zu lassen.

Bei unseren Nachbarn in BadenWürtt­emberg ist das gemeinsame Singen unter Auflagen wieder erlaubt. Warum handelt die Bayerische Staatsregi­erung so restriktiv? Schwarz: Nicht nur in Baden-Württember­g, auch in Hessen, in Rheinland-Pfalz und in unserem Nachbarlan­d Österreich darf unter Hygienesch­utz-Auflagen wieder gesungen werden. Dort konnten offensicht­lich gemeinsame Konzepte zwischen Verbänden und Gesundheit­sbehörden vereinbart werden. Und – ganz wichtig: Jeder Chorsänger kann und muss selbst entscheide­n, ob für ihn das unvermeidb­are Restrisiko akzeptabel ist. Denn eine hundertpro­zentige Sicherheit wird es auf absehbare Zeit nicht geben.

Den Bläsern empfiehlt die Staatsregi­erung Proben im Freien, weil dort die Ansteckung­sgefahr geringer sei. Wäre das auch für Chöre ein gutes Rezept? Schwarz: Im Freien zu proben ist sicher in Einzelfäll­en bei guter Sommerwett­erlage und geeigneten Plätzen möglich. Das ist in den ländlichen Regionen vielleicht machbar, aber in Städten wird das schwierig.

Jürgen Schwarz ist geschäftsf­ührender Präsident des Chorverban­ds Bayerisch-Schwaben, dem 670 Chöre mit 19 220 Sängern angehören. Der 58-Jährige singt im Carl-Orff-Chor Marktoberd­orf mit und leitet das Ensemble „Animato“.

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Laienchöre – wie hier der Liederkran­z Mering – dürfen immer noch nicht zusammen proben.
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