Neuburger Rundschau

Ist der Mord an Olof Palme nun geklärt?

Die Polizei geht davon aus, dass der Mord an dem früheren Regierungs­chef aufgeklärt ist. Doch es gibt auch ganz andere Stimmen

- VON ANDRÉ ANWAR

Stockholm Diese Sätze hallen noch heute nach: „Schwedens Staatsmini­ster Olof Palme ist tot. Er wurde am gestrigen Abend im Zentrum von Stockholm erschossen. Die Polizei sucht einen zwischen 35 und 45 Jahre alten Mann mit dunklem Haar und langem, dunklen Mantel“, sagte ein Radiosprec­her mit trockener Stimme am 28. Februar 1986.

Aus nächster Nähe erschoss der Attentäter damals Olof Palme und verletzte mit einem weiteren Schuss dessen Frau, die dem unmaskiert­en Mörder kurz in die Augen geblickt haben will, während sie sich zu ihrem um 23.21 Uhr auf der Zentrumsst­raße Sveavägen, Ecke Tunnelgata­n zusammenge­brochen Ehemann kniete – dem letzten sozialdemo­kratischen Ministerpr­äsidenten Schwedens mit betont linker Orientieru­ng, vielen Freunden und vielen Feinden. Das Ehepaar war ganz allein auf dem nächtliche­n Heimweg vom Kino. Es hatte keinen Personensc­hutz dabei. Danach tauchte ein ganzes Land, ähnlich wie die USA beim Mord an John F. Kennedy, in ein jahrzehnte­langes Trauma ein – auf der erfolglose­n Suche nach dem Mörder, der Tatwaffe und vor allem dem Motiv.

Am Mittwochmo­rgen, gut 34 Jahre nach dem Mord, kam dann ein bereits zuvor groß angekündig­ter, als historisch bezeichnet­er, aber viele Schweden eher enttäusche­nder Bescheid des Chefermitt­lers Krister Pettersson. In einer ungewöhnli­ch langen Pressekonf­erenz in Stockholm ging er detaillier­t auf alte, den Täter beschreibe­nde Zeugenauss­agen und den Handlungsv­erlauf in jener tragischen Nacht ein, und schloss daraus, dass der sogenannte „Skandiaman­n“Stig Engström Olof Palme ermordet habe. Weil Engström im Jahr 2000 gestorben sei, werde die Voruntersu­chung nun endgültig niedergele­gt, so der Chefermitt­ler.

Der damals 52-jährige Engström der in der Werbeabtei­lung des Versicheru­ngsund Finanzkonz­ern Skandia arbeitete, soll sein unweit vom Tatort liegendes Büro demnach um 23:19 in einem langen Mantel, einer Mütze, einer kleinen Tasche und der scharf geladenen Mordwaffe verlassen haben. Am früheren Abend hatte er draußen etwas gegessen und auch Alkohol getrunken. Ob er dabei mitbekomme­n hatte, dass Palme im Kino war, ist nicht geklärt.

Taktisch klug, suchte er am Tag danach die Polizei auf und sagte, dass ein anfänglich­es Täterbild in den Zeitungen auf ihn passen würde, dass er aber lediglich zum Tatort gekommen sei, um dem Ehepaar Palme zu helfen. Er habe auch kurz mit Palmes Ehefrau und Polizisten geredet. Doch niemand, auch Palmes Frau, erinnerte sich daran. Die Polizei tat den mutmaßlich­en Mörder schnell als Wichtigtue­r ab, weil Engström nach dem Mord immer wieder eifrig und von alleine die großen Medien, so auch das öffentlich rechtliche Fernsehen SVT, aufsuchte, um über seine eigene Zeugenauss­age zu referieren.

Engström hasste Palmes linke Politik, er war verschulde­t, wegen Alkoholpro­blemen in Behandlung und kurz vor dem Mord in Kreisen unterwegs, in denen Palme als linke Gefahr galt. Die Frage, inwieweit es sich um eine Konspirati­on oder die Zufallstat eines Einzelnen handelte, konnte der Chefermitt­ler nicht abschließe­nd beantworte­n. „Wir haben keine Indizien für eine Verschwöru­ng gefunden, aber man kann das nicht gänzlich ausschließ­en“, sagte Pettersson. Wenn er tatsächlic­h Teil einer Verschwöru­ng gewesen wäre, hätte Engström vermutlich die Öffentlich­keit gemieden, fügte der Chefermitt­ler hinzu. Doch der mutmaßlich­e Täter sprach mehrfach mit den Medien.

Die Öffentlich­keit hatte erwartet, dass die Polizei neue konkrete, vielleicht technische Beweise, etwa die Mordwaffe oder DNA-Proben präsentier­en würde. Stattdesse­n hat sie lediglich alte Zeugenauss­agen neu ausgewerte­t. „Dieses Ermittlung­sergebnis ist eine sehr große Enttäuschu­ng. Ich dachte, die Ermittler hätten etwas Konkretes. Aber das haben sie nicht“, kritisiert­e etwa der prominente schwedisch­e Kriminolog­e Leif Persson. „Was da kam, hätte vermutlich nicht mal für eine Anklageerh­ebung ausgereich­t“, kritisiert er.

Persson hatte gesagt: „Erstens glaube ich, es waren mehr als nur eine Person in den Mord verwickelt. Zweitens werden politische Personen für gewöhnlich aus politische­n Gründen ermordet. Drittens glaube ich, dass die Mörder genaue Informatio­nen über Palmes örtliche Bewegungen am Mordabend hatten und auch vorab informiert waren, dass er da nicht bewacht wurde.“

Der altgedient­e Journalist des öffentlich rechtliche­n Senders SVT, Lars Borgnäs, hat kürzlich ein Buch zum Palme-Mord herausgebr­acht. Demnach soll die für Personensc­hutz verantwort­liche Geheimpoli­zei Säpo in den Mord verwickelt gewesen

„Wir haben keine Indizien für eine Verschwöru­ng gefunden.“

Chefermitt­ler Krister Pettersson

sein. Damals gab es viele Rechtsradi­kale im schwedisch­en Sicherheit­sapparat. Palme setzte sich vehement gegen Rassismus in Schweden und vor allem auch in Südafrika ein. Schweden unterstütz­te aktiv den ANC.

Doch Theorien zu den Motiven gibt es viele. Auch Teile der Oberschich­t hassten Palme, wegen weitgehend­en Umverteilu­ngsideen. So stützte er eine Initiative, mit der bis zu 20 Prozent aller Gewinne von Großuntern­ehmen in Arbeitnehm­er-Eigentum übergehen sollten.

Doch es gibt auch Stimmen, die es für richtig halten, die Akte Palme zu schließen: Mårten Palme, der Sohn des früheren Regierungs­chefs, sagte, dass er die Argumente von Pettersson für plausibel halte.

Das Ende der Ermittlung­en wird wohl kaum dazu führen, dass die Hintergrün­de des Falles in Schweden in Zukunft nicht mehr diskutiert werden. Dazu ist das Thema zu emotional. So wird es wohl weitere Spekulatio­nen und auch neue Theorien zu dem Mord an der sozialdemo­kratischen Ikone Olof Palme geben.

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Archivfoto: dpa Er galt als Ikone der Linken: der Sozialdemo­krat Olof Palme. Der Mord an dem schwedisch­en Regierungs­chef vor 34 Jahren löste weltweit Entsetzen aus. Die Polizei geht davon aus, dass der Fall geklärt ist.
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Archivfoto: Arnback, dpa Stig Engström: War er der Täter? Die Ermittler sagen „Ja“.

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