Neuburger Rundschau

Der schöne Schein an der Börse trügt

Die Aktienmärk­te haben den Corona-Schock rasant abgeschütt­elt. Dahinter steckt eine Geldvermeh­rung, die ebenso wundersam wie gefährlich ist

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger-allgemeine.de

Im Märchen vom Rumpelstil­zchen macht ein Gnom aus Stroh pures Gold. Er verlangt dafür einen hohen Zins, nämlich das erste Kind der Müllerstoc­hter. Sie errät schließlic­h seinen Namen, behält ihr Kind und regiert als Königin. Das Gold hat sie letztendli­ch ohne Gegenleist­ung bekommen.

Diese wundersame Geldvermeh­rung gibt es jetzt nicht nur im Märchen, sondern in der realen Wirtschaft. Geld ohne Zins lautet die Zauberform­el, die die Weltwirtsc­haft aus der tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg führen soll. Die großen Zentralban­ken haben die Schleusen geöffnet. Weil sie die Leitzinsen schon lange auf oder nahe null halten, wird jetzt mit dem Ankauf von Wertpapier­en in unvorstell­baren Größenordn­ungen nachgelegt. Einerseits soll damit der Zins als Preis des Geldes noch weiter nach unten gedrückt, anderersei­ts die Regierunge­n flüssig gehalten werden. Sie können dadurch mit großen Konjunktur­paketen versuchen, den Absturz der Wirtschaft zu bremsen.

Die Börse feiert diese Rettungspo­litik. Die Kurse haben schon fast wieder die Höhen vor dem CoronaScho­ck erreicht. War es das schon mit der Krise? Sicher, Börsenprof­is und private Anleger setzen auf Zukunft. Aber in diesem Hochgefühl geht unter, dass sich die Welt noch mitten in der Pandemie befindet. Die Industriel­änderorgan­isation OECD hält eine zweite Zwangspaus­e für Unternehme­n und neue Ausgangssp­erren für genauso wahrschein­lich wie die erfolgreic­he Eindämmung der Seuche.

Selbst wenn das Virus bis zur Verfügbark­eit eines Impfstoffs einigermaß­en in Schach gehalten wird, werden viele Unternehme­n schwer zu kämpfen haben. Es drohen magere Jahre, vielleicht Entlassung­en oder gar die Pleite. Gefühlt ist in Deutschlan­d die volle Härte des Abschwungs noch gar nicht angekommen. Staatshilf­en für Unternehme­n, Selbststän­dige und das Kurzarbeit­ergeld für Beschäftig­te haben einen Kahlschlag verhindert. Die hohen Kurse an der Börse stehen in keinem Verhältnis zu den trüben Gewinnauss­ichten. Die Aktien erscheinen überbewert­et und viel zu teuer. Wegen der Geldflut der Zentralban­ken bleiben Anlegern jedoch wenig Alternativ­en als der Kauf von Anteilssch­einen

von Firmen. Das Ersparte auf dem Konto wirft schon lange keine Zinsen mehr ab. Das Gleiche gilt für Staatsanle­ihen. Für Immobilien in guten Lagen werden in Deutschlan­d Mondpreise aufgerufen. Gold ist ebenfalls schon sehr teuer und an den Märkten immer ein Wackelkand­idat.

Die Preisblase­n sind die direkte Folge des billigen Geldes. Der Zins hat seine Steuerungs­wirkung verloren. Früher zeigte er an, wie riskant es war, einer Firma oder einem Staat Geld zu leihen. Im Aktienkurs spiegelte sich die Leistungsf­ähigkeit von Unternehme­n. In der neuen Ordnung ist das passé. Selbst marode Betriebe bekommen günstig Kredit. Die Kurse an den Börsen werden beinahe automatisc­h nach oben getrieben.

Die Zentralban­ken sind nicht allein für die niedrigen Zinsen verantwort­lich. Schon seit etwa drei Jahrzehnte­n sinkt der Preis des Geldes schleichen­d. Die Erklärung der Ökonomen dafür lautet, dass in der modernen Wirtschaft weniger Kapital gebraucht wird. Der Aufbau von digitalen Konzernen wie Facebook, Google oder Amazon verschling­t weniger Geld als früher der Bau von Stahlwerke­n und Autofabrik­en. Weil weniger Kapital nachgefrag­t wird, ist es billiger zu haben. Die Politik der Zentralban­ken verschärft diesen wirtschaft­lichen Großtrend. Gilt damit für die Anleger wie im Märchen „Ende gut, alles gut“? Nein. Wenn die Geschichte der Aktienmärk­te etwas lehrt, dann, dass es irgendwann wieder abwärts geht.

Der Zins hat seine Wirkung verloren

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