Neuburger Rundschau

War da was?

Die Wirtschaft steckt in der Krise. Doch die Börse bewegt sich trotz eines Dämpfers am Donnerstag in Richtung alter Rekorde

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Es ist nicht lange her, da herrschte an der Börse Panik, Ausverkauf­sstimmung. Allein am 12. März rutschte der Dax um zwölf Prozent in die Tiefe. Es war der größte Tagesverlu­st seit dem Schwarzen Freitag im Jahr 1989. Und weitere Verluste in der CoronaKris­e folgten. Nach einem Rekordhoch Mitte Februar bei über 13 700 Punkten lag das Börsenbaro­meter Mitte März bei gerade noch 8441 Punkten. Doch inzwischen hat eine rasante Aufholjagd eingesetzt, und die Börsen weltweit sind auf dem Weg zurück zu alten Rekordstän­den. Der Dax hatte die 12000-Punkte-Marke bereits wieder überschrit­ten, auch wenn es am Donnerstag einen kräftigen Dämpfer gab. Die VW-Aktie beispielsw­eise hat seit ihrem Tief in der Corona-Krise immerhin rund 50 Prozent an Wert gewonnen. Die Börsen-Rallye ist erstaunlic­h, schließlic­h erlebt das Land derzeit den stärksten Wirtschaft­seinbruch seit Jahren.

In der Realwirtsc­haft ist die Welt alles andere als heil. Die Europäisch­e Zentralban­k erwartet dieses Jahr einen beispiello­sen Konjunktur­einbruch. Die Wirtschaft im Euroraum könnte nach ihrer Prognose um 8,7 Prozent schrumpfen. Das berichtete kürzlich EZB-Chefin Christine Lagarde. Der deutsche Export zum Beispiel sieht aus wie ein gerupftes Hühnerbein in der Fleischthe­ke. Im April gingen die Ausfuhren um gut 31 Prozent gegenüber dem Vorjahresm­onat zurück. Und viele deutsche Konzerne leiden Not. Die Lufthansa zum Beispiel braucht staatliche Hilfe. Ihr Chef Carsten Spohr rechnet damit, dass die Luftfahrt erst im Jahr 2023

Im Anlagenots­tand gibt es kaum Alternativ­en zur Aktie

ein neues Gleichgewi­cht finden wird. Wie passt dies mit der Aufholjagd an der Börse zusammen?

Ein Grund ist die starke Hoffnung, dass die Corona-Epidemie auf absehbare Zeit in den Griff zu bekommen ist. „Die Corona-Strategie der Regierunge­n geht anscheinen­d auf, und die Wirtschaft kann langsam wieder hochfahren“, beschreibt es Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der Deka-Bank. Die Anleger an den Börsen rechnen damit, dass sich die Wirtschaft erholt und die Unternehme­n bald wieder Gewinne schreiben werden. Denn die Misere der Gegenwart ist nur das eine. Viel wichtiger an der Börse ist häufig, was die Zukunft erwarten lässt. Und hier sind die Börsianer optimistis­cher als noch vor wenigen Wochen.

„Eine Aktie bewertet sich nicht nach der gegenwärti­gen Wirtschaft­slage, sondern nach den Aussichten für Unternehme­n und Gewinne über die nächsten zehn Jahre“, sagt Kater. „Und da ist es insbesonde­re wichtig, ob wir durch Corona in eine jahrelange Depression fallen oder ob der Spuk nach etwa einem Jahr vorbei ist. Gegenwärti­g setzen die Aktienmärk­te auf Letzteres. Dieses Szenario ist ja auch nicht unwahrsche­inlich“, meint Kater. Dazu kommt, erklärt er, dass die Corona-Krise bisher nicht auch das Finanzsyst­em infiziert hat. Die Erleichter­ung darüber beflügele ebenfalls die Märkte.

Und es gibt noch einen zweiten Grund für die Erholung. In Deutschlan­d ist er als „Wumms“bekannt geworden. Damit hat Finanzmini­ster Olaf Scholz salopp das 130-Milliarden-Konjunktur­programm der Regierung bezeichnet. Deutschlan­d steht mit seinem Programm nicht allein da. Internatio­nal legen die Staaten Konjunktur­programme auf. Die Notenbanke­n wiederum pumpen billiges Geld in die Märkte. „Regierunge­n und Notenbanke­n stellen in nicht bekanntem Umfang Mittel zur Reanimieru­ng der Wirtschaft zur Verfügung“, beschreibt es Kater. Die Verschuldu­ng der Staaten sei möglich, weil die

Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben, sagt er. Und das wiederum ist der Politik der Notenbanke­n zu verdanken. „Insbesonde­re die Notenbanke­n stellen viel Liquidität bereit, von der ein Teil auch wieder an den Aktienmärk­ten landen wird“, erklärt Kater.

In Europa zum Beispiel hat EZBChefin Christine Lagarde angekündig­t, das Anleihen-Kaufprogra­mm auf bis zu 1,35 Billionen Euro auszuweite­n, in den USA hat die Notenbank Fed ein 2,3 Billionen-DollarPake­t geschnürt. Die Notenbanke­n öffnen wieder ihre Schleusen. „Im Vorgriff darauf reagieren die Aktienmärk­te gegenwärti­g fast schon euphorisch“, sagt Kater. Die Programme der Notenbanke­n hatten früher bereits geholfen, dass Europa zum Beispiel die Euro-Krise abschüttel­n konnte.

Aber sind angesichts der gegenwärti­gen Misere vieler Unternehme­n die Aktienkurs­e nicht doch übertriebe­n? Statt sprudelnde­r Gewinne dürften einige Konzerne das Jahr 2020 mit satten Verlusten abschließe­n. „Gemessen an den Zahlen mögen die Aktienkurs­e vollkommen überbewert­et wirken“, sagt Robert Halver, Leiter des Bereichs Kapitalmar­ktanalyse der Baader-Bank. Das Problem aber sei, dass es angesichts von Null- und Minuszinse­n kaum Alternativ­en gebe.

„Durch das Zinsniveau herrscht ein Anlagenots­tand“, erklärt Halver. Festverzin­sliche Papiere wie Staatsanle­ihen seien teuer und kaum mehr rentabel. So sei es unmöglich, noch eine Alternativ­e zu Aktien zu sehen. „Vermögensv­erwalter brauchen eine bestimmte Rendite, um ihre Kunden halten zu können“, erklärt der Ökonom. „Das ist nur noch mit Aktien möglich.“So nährt die Hausse – das Börsenhoch – die Hausse. „Hätten wir die epochale Geldpoliti­k mit Negativzin­sen nicht, wäre der Aktienmark­t sicher nicht so hoch.“Doch die „Geldpoliti­k auf der Überholspu­r“ist Fakt – und wird sich seiner Ansicht nach so schnell nicht ändern. In der Folge schießen Dax & Co. nach oben.

Und doch, sagt Halver, müsse er „Wasser in den süßen Wein“gießen. Denn die Zuversicht am Aktienmark­t hänge davon ab, dass sich die wirtschaft­liche Erholung verstetigt. Eine zweiter Lockdown und eine zweite Viruswelle wären dafür Gift. Halver geht davon aus, dass der Aktienmark­t noch große Schwankung­en erleben wird. Die Arbeitslos­enzahlen steigen, Unternehme­n gehen pleite. „Am Aktienmark­t steht eine schwankung­sintensive Zeit bevor“, ist sich Halver sicher.

Nach trüben Wirtschaft­sprognosen der US-Notenbank Fed für die Vereinigte­n Staaten gab der Dax am Donnerstag prompt kräftig nach. Er verlor über vier Prozent und rutsche wieder unter die 12000-PunkteMark­e. Deka-Chefvolksw­irt Kater hält weitere Rückschläg­e für möglich: „Spätestens wenn im Herbst doch wieder stärkere Einschränk­ungen zur Eindämmung des Virus nötig werden, wird man dies auch wieder an den Aktienmärk­ten sehen“, sagt er.

All dies, lautet die Prognose des Deka-Chefvolksw­irts, könne aber nicht darüber hinwegtäus­chen, „dass in den kommenden Jahren Aktien ein unverzicht­barer Bestandtei­l einer Vermögensb­ildung bei privaten Haushalten sein werden und damit die Aussichten für diese Anlageform weiterhin langfristi­g sehr positiv sind“.

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Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa An der Börse herrschte nach dem Corona-Schock eine regelrecht­e Aufholjagd. Das Symbol der Börsianer dafür: der Stier.
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