Babys schreien nach ihren Eltern
Leihmütter bringen Kinder zur Welt, die wegen Corona nicht abgeholt werden können
Kiew Das Geschrei dutzender Babys durchdringt das kleine Hotel Venice am Stadtrand von Kiew. Neugeborene Jungen und Mädchen liegen hier in ihren Bettchen – zur Welt gebracht von Leihmüttern. Wegen der Reisebeschränkungen in der Corona-Pandemie können sie nicht abgeholt werden. Lebendig gewordene Kinderwünsche von Paaren, die aus vielerlei Gründen nicht selbst Nachwuchs bekommen. Ukrainische Frauen haben die Kinder der biologischen Eltern ausgetragen. Was etwa in Deutschland verboten ist, hat sich in der Ukraine zu einem Geschäft entwickelt.
„65 Neugeborene“, sagt Dmitri Lagodny etwas ratlos. Er managt das zur Kinderstation umfunktionierte Hotel. Die Flaggen Deutschlands, Chinas, Argentiniens, Frankreichs und Italiens wehen im Wind. Sie geben einen Hinweis darauf, woher die vermögenden Kunden kommen. China führt. Seit März sind aber die Grenzen dicht. Auch deshalb wandte sich die Firma BioTexCom an die Öffentlichkeit. Der Appell sollte Druck auf die Behörden im Ausland machen, damit die Eltern reisen können. „Wir hoffen, dass die Lage sich bald entspannt, wenn bei uns der internationale Flugverkehr am 15. Juni wieder freigegeben wird“, sagt Firmenchef Albert Totschilowski.
Doch Hilfe aus Deutschland zum Beispiel ist kaum zu erwarten. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied im vergangenen Jahr in einem Fall, dass die Ukrainerin die leibliche Mutter des Kindes bleibe. Die Deutsche, die ihr Kind mithilfe einer ukrainischen Leihmutter zur Welt brachte, konnte sich demnach auf dem deutschen Standesamt nicht als Mutter eintragen lassen. Ihr bleibe nur die Adoption, hieß es. Viele schreckt das aber nicht ab. Die Ukraine ist wegen ihrer liberalen Gesetze längst eines der Zentren für Leihmutterschaft in Europa. Das Komplettpaket von der Entnahme der Eizellen und Spermien über die Befruchtung und die Verpflanzung in die Leihmutter bis zur Geburt kostet zwischen 30000 und 50000 Euro. Die Leihmütter erhalten etwa 15000 Euro bei erfolgreicher Geburt. Hinzu kommen Kost und Logis und ein Taschengeld während der Schwangerschaft. Davon leben die Frauen besser als viele andere in dem verarmten Land. Bei rund 300 Euro liegt das Monatseinkommen im Durchschnitt. Vorwürfe, er benutze die Frauen, weist Totschilowski zurück. „Wenn das eine Ausbeutung der Frau ist, dann eine freiwillige, mit ihrer Zustimmung“, sagt der 43-Jährige. Viele meldeten sich sogar für eine weitere Schwangerschaft.
58 Kinderpflegerinnen kümmern sich rund um die Uhr um die schreienden Neugeborenen. Von den Leihmüttern werden sie gleich nach der Geburt getrennt, damit keine Bindungen entstehen. „Uns blutet das Herz“, sagt eine Pflegerin, weil die Kinder ohne Eltern leben.
Allein im vergangenen Jahr trugen Leihmütter in der Ukraine rund 1500 Kinder aus, wie das Justizministerium mitteilte. Davon hätten 137 Babys mindestens einen deutschen Elternteil gehabt. Mit der Zahl der von Leihmüttern zur Welt gebrachten Kinder steigt auch die Kritik. Der Kinderbeauftragte des Präsidenten, Nikolai Kuleba, beklagte die Ausbeutung ukrainischer Frauen. Sie würden wie Gebärmaschinen behandelt.
Andreas Stein, Ulf Mauder, dpa