Neuburger Rundschau

Die nächste Zerreißpro­be

- VON CHRISTIAN GRIMM

Als die SPD unter Kanzler Schröder die Hartz-Reformen einführte, fühlten sich viele Gewerkscha­fter von ihrer Partei verraten. Jetzt, wo die erhoffte Autoprämie nicht kommt, ist die Situation ganz ähnlich. Bei der IG Metall haben sie den Schuldigen schon ausgemacht

Berlin Es ist ein böses Wort, das die SPD-Chefs fürchten. Arbeiterve­rräter! Es rührt an der Seele der Partei, erinnert an alte Wunden und vergangene Schlachten. „Wer hat uns verraten – Sozialdemo­kraten!“So keilten vor 100 Jahren während der Novemberre­volution der linke Flügel und die Linksradik­alen gegen die damalige SPD-Führung. Der Vorwurf: Sie hätten in den angespannt­en Tagen mit Bourgeoisi­e, Militär und alter Elite gemeinsame Sache gemacht, um den wahren Sozialismu­s zu verhindern.

Der Vorwurf, der Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken heute gemacht wird, hat nicht diese historisch­e Dimension. Es geht nicht um alles oder nichts. Aber er ist dennoch zu laut, zu heftig, um einfach zu verhallen im geschäftig­en Getriebe des politische­n Betriebs. Er kommt auch aus dem eigenen Lager. Und er kommt von der mächtigen IG Metall. Weil im 130 Milliarden Euro schweren Konjunktur­paket, das die Große Koalition gegen die wirtschaft­lichen Folgen der CoronaKris­e geschnürt hatte, zwar von der Mehrwertst­euersenkun­g über den Familienbo­nus bis zu den Zuschüssen für Elektroaut­os vieles enthalten ist. Ausgerechn­et die Kaufprämie für Autos mit Verbrennun­gsmotor, die Volkswagen, Daimler und BMW so vehement gefordert hatten, aber kam nicht. Weil sich ausgerechn­et die SPD dagegenges­tellt hatte.

Er sei „stinksauer“, sagte Daimler-Gesamtbetr­iebsratsch­ef Michael Brecht. „Die SPD-Spitze hat es nicht verstanden.“Sein Amtskolleg­e Saki Stimoniari­s vom Lkw-Bauer MAN arbeitete sich ebenfalls an Esken und Walter-Borjans ab. „Die Parteispit­ze der SPD sollte sich hinterfrag­en. Vertritt sie tatsächlic­h noch die Interessen der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er?“, schimpfte Stimoniari­s. IG-Metall

Chef Jörg Hofmann wurde genauso deutlich. Es gebe einen „massiven Vertrauens­verlust der Beschäftig­ten der Autoindust­rie und angrenzend­er Branchen gegenüber der Sozialdemo­kratie“, sagte er im Interview mit unserer Redaktion.

Beide Betriebsrä­te und der Gewerkscha­ftsboss stehen für den historisch­en Kern der über 150 Jahre alten SPD. Die Industriea­rbeiter und die Bergmänner begründete­n ihren Aufstieg, als noch ein Kaiser auf Deutschlan­ds Thron saß. Meist machte die Partei der Arbeiterkl­asse gemeinsame Sache mit den Gewerkscha­ften, aber es gab auch Streit. Ihr Milieu war dasselbe: Maloche, 12Stunden-Schicht, Mietskaser­nen, die Verachtung der Oberschich­t und der Kampf um Anerkennun­g. Kein Geld mehr am Monatsende, aber der Parteibeit­rag wurde bezahlt. Es riecht nach Schweiß und Dreck. „Drum links, zwei, drei! Drum links, zwei, drei! Reih dich ein in die Arbeiterei­nheitsfron­t.“

Das alles schwingt mit, ist sofort in den Köpfen, wenn die, die bei Audi, BMW oder Daimler am Fließband stehen, „ihre“Partei nicht mehr verstehen. Eigentlich waren Esken und Nowabo, wie Walter-Borjans genannt wird, angetreten, um die SPD stärker zu ihren Wurzeln zu führen. Das Duo will die Partei nach links rücken. Und nun das. Die Bannerträg­er wenden sich ab. Dabei war das Verhältnis wieder besser geworden in den letzten Jahren. Die vorherigen SPDVorsitz­enden Sigmar Gabriel und Andrea Nahles hatten viel Zeit und Mühe in das Flicken der alten Bande gesteckt. Sie waren zerrissen, als die

die Agenda 2010 unter ihrem letzten Kanzler Gerhard Schröder durchsetzt­en. Hartz IV wurde von den Gewerkscha­ften als kalter Verrat der SPD an den eigenen Leuten empfunden. Die Verletzung ging so tief, dass sich Gewerkscha­fter und Agenda-Gegner bei der SPD zusammenta­ten und abspaltete­n. Die Führung der neuen Unabhängig­en SPD (USPD), wie als historisch­e Anlehnung gespottet wurde, übernahm Oskar Lafontaine. Er ist bis heute Schröders Intimfeind. Der Bruch, der durch das linke Lager ging, ist jetzt anderthalb Jahrzehnte her. „Links, zwei, drei“war aus dem Gleichschr­itt gekommen.

Bei den Gewerkscha­ften ist Hartz IV noch lange nicht vergessen. Reiner Hoffmann ist Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes, der Dachorgani­sation der Gewerkscha­ften. Der Bund zählt sechs Millionen Mitglieder. Unter Hoffmann haben SPD und Gewerkscha­ften die alte Seilschaft wieder aufgenomme­n. Der 65-Jährige kann den Ärger der Metaller verstehen. „Es gibt einen handfesten Konflikt um ein Sachthema. Dass die IG Metall damit nicht zufrieden ist, kann ich nachvollzi­ehen“, sagt er am Telefon. Dass sich die SPD-Spitze letztlich gegen die Abwrackprä­mie stellte, kam für ihn nicht überrasche­nd. Hoffmann war mit Nowabo im Kontakt. „Es hat keine Sprachlosi­gkeit gegeben.“

Walter-Borjans hat die Entscheidu­ng, die ihm den Zorn der IG Metall einbrachte, allein getroffen. Er ging im Wald spazieren. Es hatte ihn privat ins Erzgebirge verschlage­n. Ihm war klar, dass er Wut ernten würde. Vor Pfingsten hatten die Gewerkscha­ften auf einem Branchendi­alog der SPD die Partei gedrängt, Milliarden lockerzuma­chen, damit alte Wagen in der Schrottpre­sse landen und neue gekauft werden. Autoherste­ller und Zulieferer trommelten ebenso energisch für die Prämie, die sie nach der großen Finanzkris­e 2009 wieder hochgeholt hatten. Es könne nicht sein, „dass eine Branche dem Staat diktiert, auf welche Weise die Förderung zu erfolgen hat“, verteidigt­e der 67-Jährige die Haltung später im Gespräch mit unserer Redaktion. In den meisten Kommentare­n der Berliner Journalist­en bekamen die SPD-Vorsitzend­en Lob dafür, dass sie nicht umgefallen sind vor der organisier­ten Macht der IG Metall und der Autoindust­rie. Die SPD ist selten der Liebling der Presse.

Den Preis zahlen die Genossen in Form der Bruderkeil­e, die es von den Metallern setzt. Bei den anderen Gewerkscha­ften bleiben die Fäuste entspannt in den Hosentasch­en. „Mit Autos haben wir nichts zu tun“, sagt die IG Bau. „Das Thema ist durch“, heißt es bei der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi. Die Gewerkscha­ft Bergbau, Chemie und Energie will sich nicht äußern. Die Chemieindu­strie hätte von der Abwrackprä­mie indirekt profitiert, weil sie Lacke und Kunststoff­e an die Autoherste­ller liefert. DGBChef Hoffmann fasst es so zusammen: „Man kann nicht davon sprechen, dass das ein Grundsatzk­onflikt ist. Der Streit wird bald überwunden sein.“

Michael Schneider weiß, was ein Grundsatzk­onflikt ist. Der GeSozialde­mokraten schichtspr­ofessor füllt mit seinen Büchern und Aufsätzen zur Arbeiterbe­wegung Regalmeter. Schneider zählt auf: Da war der erbitterte Krach um das Streikrech­t und die Führungsro­lle in der Bewegung, der erst nach Jahren 1906 in Mannheim beigelegt wurde. Arbeiterka­iser August Bebel und Gewerkscha­ftsboss Carl Legien drechselte­n einen Kompromiss. Die versammelt­en Arbeiterge­sangsverei­ne erhielten stürmische­n Applaus. „Wacht auf, Verdammte dieser Erde…“heißt es in der ersten Strophe der Internatio­nalen. Schon damals brauchte es einige Nachtsitzu­ngen, um heikle Fragen zu befrieden.

Oder, ein anderes Beispiel: das Jahr 1930 und der Kampf um die Arbeitslos­enversiche­rung. Es ging um einen halben Prozentpun­kt, den der Beitrag steigen sollte. Die SPD zerstritt sich intern, was zum Rücktritt von Reichskanz­ler Hermann Müller (SPD) führte. Es war das vorgezogen­e Ende der Weimarer Republik. Danach folgten die Präsidialk­abinette, 1933 übernahm Hitler die Macht. Die Arbeiterbe­wegung hatte gemeinsam verloren.

Nach dem Krieg kam es Mitte der 1960er Jahre erneut zur Zerreißpro­be zwischen Sozialdemo­kraten und Gewerkscha­ften. Letztere wollten die Notstandsg­esetze verhindern, die die damalige Große Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Außenminis­ter Willy Brandt (SPD) plante. Mit Streik wurde gedroht, und über den Zoff spaltete sich sogar das Gewerkscha­ftslager selbst. Und dann entzweiten Anfang des jungen Jahrtausen­ds die Hartz-Reformen den

Bund zwischen Partei und Gewerkscha­ften. Die SPD vermarktet­e ihr Werk unter „Fordern und Fördern“, die Arbeitnehm­ervertrete­r unter „Armut per Gesetz“. „Die Hartz-Gesetze haben ins Herz der gewerkscha­ftlichen Identität gestochen“, meint Michael Schneider. Den Ärger um die Abwrackprä­mie sieht er dagegen nur als Sturm im Wasserglas. „Da wird bald Gras drüber wachsen.“

Die IG Metall kann es sich nicht leisten, sehr lange verstimmt zu sein. Denn im Konjunktur­paket steckt jede Menge drin, was die Stellen der Mitglieder sichert. Es gibt einen höheren Bonus für Elektroaut­os und Geld für den Ausbau des Ladenetzes. Der Bund verteilt mit einem

„Die Parteispit­ze der SPD sollte sich hinterfrag­en. Vertritt sie noch die Interessen der Arbeitnehm­er?“

MAN-Betriebsra­tschef Saki Stimoniari­s

„Man kann nicht davon sprechen, dass das ein Grundsatzk­onflikt ist.“

DGB-Chef Reiner Hoffmann

Bonus-Programm eine Milliarde Euro zusätzlich an Autobauer und Zulieferer für Zukunftsin­vestitione­n. Außerdem öffnet der Finanzmini­ster die Staatskass­e, wenn Busse und Lkw ausgetausc­ht werden.

Zudem wird die Metallgewe­rkschaft in den kommenden Jahren immer wieder die Hilfe der Bundesregi­erung brauchen, wenn der Abschied vom Diesel- und Benzinmoto­r ohne soziale Verwüstung­en gestaltet werden soll. Zehntausen­de Stellen sind in Gefahr. „Da gibt es viel zu tun, und wir müssen darüber im Dialog bleiben“, sagt die SPDArbeits­marktpolit­ikerin Katja Mast. Ihre Partei will die Arbeitsage­nturen so umbauen, dass Beschäftig­te lebenslang weitergebi­ldet und neu qualifizie­rt werden.

Und auch bei der IG Metall weiß man: Im Zweifel sind die Interessen der Gewerkscha­ftsmitglie­der bei der SPD besser aufgehoben als bei Grünen oder Union. „Meine Zusammenar­beit mit den Gewerkscha­ften funktionie­rt konstrukti­v und vertrauens­voll und ist in ihren Grundfeste­n unerschütt­erlich“, sagte Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil unserer Redaktion. Heil ist bei der SPD, wie könnte es anders sein.

 ?? Archivfoto: Christian Ditsch, Imago Images ?? Zehntausen­de demonstrie­rten 2004 gegen die Hartz-Gesetze, darunter viele Mitglieder der IG Metall. Auch damals stand die SPD am Pranger.
Archivfoto: Christian Ditsch, Imago Images Zehntausen­de demonstrie­rten 2004 gegen die Hartz-Gesetze, darunter viele Mitglieder der IG Metall. Auch damals stand die SPD am Pranger.

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