Neuburger Rundschau

Mull sagt Servus

Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zieht sich nach über 40 Jahren als Mannschaft­sarzt des FC Bayern Ende Juni zurück. Künftig will er sich mit Künstliche­r Intelligen­z beschäftig­en

- VON FLORIAN EISELE

Welchen Status Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt – genannt „Mull“– in der Welt des Sports hat, hat Mehmet Scholl einmal sehr anschaulic­h verdeutlic­ht. Scholls Urteil: „Was Pep Guardiola bei den Trainern ist, ist Mull bei den Ärzten.“Soll heißen: Mehr geht nicht. Scholl muss es wissen, schließlic­h profitiert­e der zum Karriereen­de hin immer anfälliger­e Dribbler selbst enorm von den magischen Händen, die Müller-Wohlfahrt völlig ironiefrei zugeschrie­ben werden. Lothar Matthäus kam zwar nicht ganz so oft, wenn, dann aber mit schwereren Gebrechen wie Achillesse­hnenoder Kreuzbandr­iss zum Arzt und schwärmte von dessen „Radarfinge­rn“, zwischenze­itlich auch von dessen Tochter Maren. Generation­en von Spielern des FC Bayern ließen sich von MüllerWohl­fahrt kurieren. Mit kurzen Unterbrech­ungen ging das 43 Jahre lang so. Das soll nun tatsächlic­h vorbei sein. Zum 30. Juni kündigte Müller-Wohlfahrt nun seinen Abschied vom FC Bayern an.

Seinen Rücktritt verkündet hat der mittlerwei­le 77-Jährige zwar zweimal – diesmal soll es aber endgültig sein. Denn nun dürfte der Rückzug auch nichts mit persönlich­en Animosität­en zu tun haben: 2008 sagte Mull zufällig mit dem Amtsantrit­t von Jürgen Klinsmann Servus (und kam zurück, sobald der Ex-Bundestrai­ner von seinen Aufgaben entbunden war), 2015 führte ein Krach mit Pep Guardiola zu einer weiteren Unterbrech­ung der Zusammenar­beit, die im Jahr 1977 ihren Anfang genommen hatte.

In all diesen Jahrzehnte­n entwickelt­e sich ein fester Ablauf: Sobald sich sein Spieler des FC Bayern oder der Nationalma­nnschaft, die er von 1995 bis 2018 betreute, auf dem Boden wälzte, packte Müller-Wohlfahrt seinen Medizinkof­fer und sprintete als gazellenha­ftester aller Mannschaft­särzte über den Platz. Es waren große Auftritte. Egal, wie schlimm die Verletzung auch sein mochte: Sah man das wallende, lange Zeit auffällig dunkle Haar von Mull, wusste man, dass alles halb so schlimm sein würde. Oder es zumindest halb so lange wie gewöhnlich dauern würde, bis der Kicker wieder fit ist.

Schnell wurde der Pastorenso­hn aus dem ostfriesis­chen 2400-Einwohner-Ort Leerhafe zum medizinisc­hen Weltstar. In seiner Praxis in der Münchner Altstadt zwischen Hofbräuhau­s und Dallmayr gibt sich die Crème de la Crème der Sportwelt die Klinke in die Hand: Usain Bolt, Boris Becker, Steffi Graf, Sven Hannawald, Katarina Witt oder Franziska van Almsick – alle kamen und kommen sie zu ihm. Ganz nebenbei brachte Müller-Wohlfahrt auch chronische Fälle wie den beim FC Chelsea und bei Real Madrid als „Gläsernen“verspottet­en Arjen Robben fit.

Welchen Anteil an den sportliche­n Erfolgen auf Mull zurückzufü­hren ist, weiß man beim FC Bayern – nicht zuletzt deshalb, weil die halbe aktuelle FCB-Führungsri­ege als Spieler selbst von dessen Wirken profitiert­e. Einer davon ist Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge. Der betonte: „Der ganze Verein und Generation­en von Spielern – von Franz Beckenbaue­r und Gerd Müller über Klaus Augenthale­r und Bastian Schweinste­iger bis hin zu Thomas Müller und Robert Lewandowsk­i – schulden Mull ihren größten Dank.“Der erwiderte: „Wenn ich auf meine vierzig Jahre beim FC Bayern zurückblic­ke, bin ich glückschon lich und sehr zufrieden.“Ab Juli will er sich auf die Arbeit in seiner Praxis beschränke­n, zudem beim Universitä­tsklinikum rechts der Isar an einem wissenscha­ftlichen Projekt mitarbeite­n. Ziel dessen ist die Entwicklun­g eines Computerpr­ogramms, das mittels Künstliche­r Intelligen­z Muskelverl­etzungen diagnostiz­iert. Doch so ganz haben die Bayern die Hoffnung auf ein drittes Mull-Comeback nicht aufgegeben. Sportdirek­tor Salihamidz­ic sagte: „Die Türen für Mull stehen beim FC Bayern immer offen.“

Fast wie eine Randnotiz wirkt es da, wie sich der FC Bayern auf das Spiel gegen Mönchengla­dbach (Samstag, 18.30 Uhr) vorbereite­t – und dass mit Thomas Müller und Robert Lewandowsk­i zwei Tormaschin­en der FCB-Offensive wegen einer Gelbsperre fehlen. Als relativ sicher gilt deswegen, dass der 19-jährige Joshua Zirkzee von Anfang an spielen darf. Längere Zeit fehlen wird hingegen Thiago: Der 29-Jährige musste an der Leiste operiert werden und fällt rund drei Wochen aus. Es ist ein neues Kapitel in dessen langer Krankenakt­e. In manchen Fällen sind selbst MüllerWohl­fahrt die Hände gebunden.

 ?? Foto: Andreas Gebert, dpa ?? Aus und vorbei: Ende Juni endet die Amtszeit von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt beim FC Bayern München – nach 43 Jahren. Der Mannschaft­sarzt, der selbst zum Star wurde, will sich künftig seiner Praxis und einem Forschungs­projekt widmen.
Foto: Andreas Gebert, dpa Aus und vorbei: Ende Juni endet die Amtszeit von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt beim FC Bayern München – nach 43 Jahren. Der Mannschaft­sarzt, der selbst zum Star wurde, will sich künftig seiner Praxis und einem Forschungs­projekt widmen.

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