„Was will denn der jetzt hier?“
Der 19-jährige Merlin Zierer ist in Neuburg geboren. Aufgrund seiner Hautfarbe hat der TSV-Basketballer bereits einschlägige Erfahrungen mit dem Thema Rassismus gemacht. Was er sich weltweit wünscht
Neuburg Eigentlich ist Merlin Zierer ein freundlicher und oftmals strahlender junger Mann. Wenn der 19-jährige Basketballer des TSV Neuburg jedoch auf ein ganz bestimmtes Thema angesprochen wird, verändert sich sein Gesichtsausdruck schlagartig: Rassismus! Obwohl der Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters in Neuburg geboren ist, hat er bereits seit ganzes Leben lang immer wieder mit rassistischen Beschimpfungen und Beleidigungen zu kämpfen. Im Interview mit der Neuburger Rundschau spricht Merlin Zierer über seine Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen.
Merlin, was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie vom Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt in Minnesota erfahren haben?
Zierer: Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Als ich nach dem Aufwachen auf mein Handy geschaut habe, ist mir sofort ein Twitter-Eintrag von „Black Lives Matter“ins Auge gestochen, in dem es um Polizeigewalt ging. Mein erster Gedanke war: Was ist denn jetzt schon wieder los? Nachdem ich dann das Video mit dem Polizeibeamten und George Floyd gesehen habe, war ich geschockt, wütend und frustriert zugleich. Und immer stellt sich mir bei solchen Vorkommnissen die Frage: Wann ändert sich endlich etwas?
Seit diesem tragischen Vorfall gibt es nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland unzählige Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt. Sehen Sie es positiv, dass die Menschen auf die Straße gehen, oder sind Sie doch eher traurig, dass zumeist immer etwas Schlimmes passieren muss, damit es derartige Massenbewegungen gibt?
Zierer: Nun, ich war am vergangenen Samstag selbst bei einer „Black Lives Matter“-Demonstration in München dabei. Es war schon sehr beeindruckend zu sehen, wie viele Leute dort auf die Straßen gegangen sind. Am Ende waren es deutlich über 25.000 Teilnehmer. Das Thema Rassismus gibt es ja in der Tat schon viel länger als seit dem Tod von George Floyd. Das wissen vor allem die Leute, die davon direkt betroffen sind. Und die stört es schon seit langer Zeit gewaltig. Auf der anderen Seite kann ich aber schon auch die „weißen“Menschen verstehen, die sich ansonsten mit diesem Thema nicht permanent beschäftigen – sondern erst dann, wenn es einen solchen Vorfall wie mit George Floyd gibt. Ich finde es jedenfalls sehr gut, dass derart viele Leute in Deutschland auf die Straße gehen, obwohl das Ganze ja in den USA passiert ist.
Wie traurig macht es Sie grundsätzlich, dass Rassismus auch im Jahr 2020 in der Gesellschaft überhaupt noch eine Rolle spielt?
Zierer: Es macht mich wirklich sehr traurig! Aufgrund der Tatsache, dass ich in Neuburg geboren bin, habe ich quasi seit meiner Geburt immer wieder Erfahrungen mit Rassismus gemacht. So schlimm es klingen mag: Irgendwann gewöhnt man sich zumindest ein bisschen daran, dass es leider zum Leben dazugehört. Man bekommt immer mal wieder komische Blicke oder auch einen blöden Spruch. Dennoch muss man sagen, dass die Lage in Deutschland im Vergleich zu den USA sicherlich besser ist.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass rassistisches Gedankengut immer noch in nicht wenigen Köpfen der Bevölkerung verankert ist?
Zierer: Ich denke, dass viele Menschen diese Denkweise von ihren Eltern „vererbt“und vorgelebt bekommen. Da wird beispielsweise schon am Essens-Tisch über dieses Thema gesprochen und dabei die eine oder andere unüberlegte Bemerkung gemacht, die sich dann in den Köpfen der Kinder einbrennt. Darin liegt in meinen Augen das Hauptproblem.
Wie bereits erwähnt, haben Sie in Ihrem Leben auch schon Erfahrung mit Rassismus machen müssen. In welcher Form sind Sie darauf getroffen? Zierer: Nun, wenn man beispielsweise durch die Stadt läuft, kommt es schon des Öfteren vor, dass mich die Menschen etwas komisch und misstrauisch anschauen. So nach dem Motto: Was will denn der jetzt hier? Da fühlt man sich fast schon wie ein Verbrecher. Vor einigen Jahren bin ich dann auch bei einer Schul-Abschlussfeier im Hofgarten von einigen betrunkenen Jugendlichen rassistisch beleidigt und beschimpft worden. Das Ganze endete dann in einem Handgemenge, was alles andere als toll war.
Sie sind jetzt 19 Jahre. In welchem Alter sind diese rassistischen Beleidigungen am schlimmsten ausgefallen? Zierer: (überlegt) Ich würde schon sagen, dass es mich am Ende meiner Grundschul- beziehungsweise zu Beginn meiner Gymnasium-Zeit am meisten getroffen hat, wenn meine
Mitschüler einen Witz oder Spruch über meine Hautfarbe gemacht haben. Wenn man so will, dann hat das zur Abhärtung einfach dazugehört – auch wenn ich das damals natürlich nicht so empfunden habe. Wenn man dann etwas älter und reifer wird, lernt man, mit gewissen Situationen besser umzugehen.
Haben Sie im Sport – konkret beim Basketball – auch schon Erfahrungen mit Rassismus gemacht?
Zierer: Nein, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Nachdem ja die überwiegende Anzahl der NBA-Spieler bekanntlich dunkelhäutig ist, meinen viele, dass ich ein besonders guter Basketballer bin. Das ist schon immer ganz lustig (lacht).
Was kann das mit einem Menschen, der in seinem ganzen Leben immer wieder rassistischen Anfeindungen im Alltag ausgesetzt ist, machen?
Zierer: In erster Linie Frust und innerer Hass. Ich denke, wenn man beispielsweise von Deutschen wegen seiner Herkunft und Hautfarbe immer wieder aufgezogen wird, kann sich dieser Rassismus auch schnell einmal in die andere Richtung drehen. Grundsätzlich zieht einen das schon ziemlich runter, wenn man auf diese Art und Weise beschimpft und beleidigt wird.
Im deutschen Parteien-Spektrum spielt bekanntlich die rechtspopulistische AFD keine unbedeutende Rolle. Sie ist im Bundestag vertreten, bekam bei der Landtagswahl 2018 in Bayern 10,2 Prozent und ist zudem in OstDeutschland stark vertreten. Macht Ihnen diese Situation und Entwicklung Angst?
Zierer: Ehrlich gesagt macht mir das schon etwas zu schaffen, dass diese Partei in Deutschland doch so viel Anerkennung bekommt. Auf der anderen Seite muss man aber auch deutlich sagen, dass die überwiegende Mehrheit anders wählt und denkt. Ein sehr gutes Beispiel war die bereits erwähnte Anti-Rassismus-Demonstration in München. Daher glaube ich auch nicht, dass die AFD in Deutschland irgendwann einmal eine Führungsrolle übernehmen wird. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen.
Wenn Sie abschließend einen Wunsch frei hätten: Wie würde dieser ausschauen?
Zierer: Ich würde mir wünschen, dass die Menschen auf der ganzen Welt keine Farbe und Rasse mehr sehen und friedlich miteinander umgehen. Es ist doch Unsinn, jemanden nicht zu mögen oder zu verurteilen, nur weil er anders aussieht. Wenn das in die Köpfe der Leute geht, haben wir extrem viel erreicht.