Der Grenzgänger aus Karlshuld
Nach 57 Jahren im Dienst der Feldgeschworenen übergibt Hans Schütz an einen Jüngeren. Wie der 84-Jährige zu dem jahrhundertealten Ehrenamt gekommen ist
Karlshuld Fast 57 Jahre lang war Hans Schütz als Feldgeschworener der Gemeinde Karlshuld unterwegs. Seine Einsätze hat er nicht gezählt, im Schnitt war er wohl jede Woche mindestens einmal auf Tour. Am 28. August 1963 war der damals 27-jährige Landwirt vereidigt worden.
„Damals musste man noch ins Landratsamt rein“, erinnert er sich, als er zu Oberregierungsrat Leidenheimer „zum Schwören“einbestellt wurde. Der sei ein sehr strenger Mann gewesen, den Schütz noch von seinen beiden Wintersemestern an der Landwirtschaftsschule her kannte. Dort hatte Leidenheimer Staatsbürgerschaftskunde unterrichtet.
Schütz hatte sich schon früh für Grenzen und Vermessung interessiert. So hatte er als Jugendlicher seine Mutter, die als Kriegswitwe mit drei Kindern alleine durchkommen musste, auf Unstimmigkeiten aufmerksam gemacht. „Wir haben 2,5 Tage lang vermessen, weil ich gesagt hatte: Da stimmt was nicht.“Letztlich habe sich an der Fläche des Schütz’schen Hofs aber nicht viel geändert. „An einem Ende haben wir gewonnen und am anderen verloren“, sagt er. Damals waren die meisten Grundstücke durch Gräben getrennt, und die Gräben wanderten. „Der Moorboden ist immer in Bewegung“, erklärt er, „und keiner kümmert sich so richtig um seine Grenzen“. Ein alter Landwirt, der von der Vermessung mitbetroffen war, kommentierte die Aktion mit dem ironischen Satz: „Jetzt hast du den Brennnesselgraben gewonnen.“
Als dann Bürgermeister Josef Geier knapp zehn Jahre später auf den jungen Mann zukam und fragte, ob er das Ehrenamt übernehmen wolle, musste er nicht lange überredet werden. Damals war die Vermessung noch mühsame und zeitraubende Handarbeit. Mit einem 30 Meter langen Maßband wurden die Strecken abgegangen und ausgemessen – manchmal fast einen Kilometer weit. Am Ende des Maßbandes wurde ein Messstab gesetzt und dann ging der Feldgeschworene weiter. Ab den 1970er oder 80er Jahren machten Tachymeter und Spiegel diese Arbeit überflüssig.
Angefordert werden die Feldgeschworenen jeweils vom Vermessungsamt – heute wie vor 60 Jahren. „Ohne Feldgeschworene gehen sie nicht raus“, sagt Schütz, der sich nicht erinnern kann, dass die Beamten vom Vermessungsamt jemals vor ihm am Treffpunkt waren. Versäumt hat er keinen einzigen seiner Termine – bis zum diesjährigen Frühjahr, als er die letzten beiden aus gesundheitlichen Gründen absagen musste. Deshalb hat er Anfang Mai, auch auf Anraten seiner beiden Töchter hin, entschieden, das Ehrenamt aufzugeben. Ein Ehrenamt, das er mit Leib und Seele ausgeübt hat und das ihm nach dem Tod seiner Frau über die schlimmste Zeit hinweggeholfen hat.
Eine wichtige Aufgabe des Feldgeschworenen war und ist, dafür zu sorgen, dass das benötigte Material wie Grenzsteine, Fluchtstäbe, Schlagmarken, Messpunkt- und Grenznägel, Eisenrohre, Holzpflöcke, Tonrohre und rote Sprühfarbe sowie Werkzeuge vor Ort sind. Vor allem aber geht es darum, dass die Feldgeschworenen als Ortskundige mit dabei sind. „Wir kennen die Leute“, betont Schütz. Wenn es Unstimmigkeiten gibt, kann der Feldgeschworene am besten vermitteln. Gröbere, möglicherweise beabsichtigte Grenzverletzungen hat Schütz nicht erlebt – oder er spricht nicht darüber. Manchmal, erzählt er, hätte es schon größere Abweichungen gegeben, aber er sei immer sehr gut mit den Leuten ausgekommen.
Eigentlich sollten es stets sieben Feldgeschworene sein, dennoch war Schütz zeitweise mehr oder weniger alleine in Karlshuld unterwegs. Die älteren waren einer nach dem anderen weggestorben, jüngere nicht nachgeworben worden und Obmann Siegfried Schäfer, der für Neuschwetzingen zuständig war, hatte wenig Zeit, sodass Schütz ihn öfter vertrat. Er hatte seine Landwirtschaft verpachtet, als seine Frau krank wurde und verfügte so über genügend Zeit. Heute sind es sechs Feldgeschworene: Siegfried Schäfer an der Ingolstädter Straße mit älteren Neubaugebieten, Peter Glöckl an der Hauptstraße, stellvertretender Obmann Josef Priller in der Augsburger Straße samt Maurerstraßl, Werner Heinzlmeir in der Schrobenhausener Straße, Oberer Kanal Grasheim und Kochheim sowie Albert Seitz in Kleinhohenried, Oberer und Unterer Kanal sowie der Pfaffenhofener Straße. Frisch vereidigt wurde jetzt Christian Hammer, der die Neuburger Straße mit seinen angeschlossenen Neubaugebieten übernimmt.
Auf das Siebenergeheimnis angesprochen, muss Hans Schütz schmunzeln. Das spiele heute keine Rolle mehr. Hat es eigentlich auch damals schon nicht mehr getan, als er als junger Mann die Arbeit als Feldgeschworener aufnahm, erzählt der 84-Jährige. Gelegentlich habe noch mal jemand einen Magneten oder Metallteile unter tieferliegenden Grenzsteinen angebracht, um sie leichter finden zu können, doch aufgrund der heutigen Technik seien die geheimen Zeichen, die ein mögliches Versetzen eines Grenzsteins aufdecken konnten, überflüssig geworden.