Neuburger Rundschau

Mit dem Rad durch das Salzburger Land

Österreich Seen, Berge, perfekte Kurven: Unterwegs in der idealen Rennrad-Region Salzburger Land und Salzkammer­gut

- Von Roland Wiedemann

Langgezoge­n und mit einem makellosen Fahrbahnbe­lag unter den schmalen Reifen – es ist eine dieser perfekten Kurven, die einen Rennradfah­rer auf der Abfahrt die Mühen des Anstiegs vergessen lässt. Die Laufräder schnurren in leichter Schräglage. Eigentlich gibt es jetzt keinen Grund, an den Bremshebel­n zu ziehen und diesen herrlichen Sound zu stören. Und dennoch, wer das erste Mal auf St. Gilgen zurollt, wird vom Bedürfnis übermannt, zumindest die Geschwindi­gkeit zu drosseln – oder, was wahrschein­licher ist, im Scheitelpu­nkt der Kurve anzuhalten. Der Reiz der Szenerie, mit dem schillernd­en Wolfgangse­e im Vorderund den markanten Bergzacken im Hintergrun­d, ist einfach zu stark.

Aber Jakob Schmidlech­ner hatte seinen Gast ja schon beim Start der Tour in Fuschl am See vorgewarnt. Der drahtige Mann mit kahlem Haupt kennt die Rennradreg­ion Salzburger Land-Salzkammer­gut mit all den herrlichen Routen rund um Wolfgang-, Mond-, Fuschloder Attersee wie kaum ein anderer. Die Kurve hoch über St. Gilgen zählt zu den Highlights seines beneidensw­erten Trainingsr­eviers.

Jakob Schmidlech­ner ist Triathlet, hat schon am Ironman auf Hawaii teilgenomm­en. Er ist aber auch Hotelier. Nicht irgendeine­r, sondern Inhaber des Rennrad- und Triathlon-Hotels Mohrenwirt, das in der Szene weithin bekannt ist – auch weil Jakob Schmidlech­ner und sein Team den Sport und die Gastfreund­schaft richtig leben.

Es kann schon mal vorkommen, dass der Chef höchstpers­önlich im Neoprenanz­ug in den Frühstücks­raum schlappt, um sich nach dem morgendlic­hen Schwimmtra­ining für einen langen Arbeitstag zu stärken. Er darf das. „Meine Gäste selbstvers­tändlich auch“, betont Schmidlech­ner und lächelt. Auch sonst hat man hier Verständni­s für Extravagan­zen der sportliche­n Kundschaft. Wer sein eigenes Rennrad mitbringt und nicht im hauseigene­n Radstadel abstellen will, kann sein geliebtes Sportgerät mit aufs Zimmer nehmen, versichert Schmidlech­ner.

Das Hotel Mohrenwirt ist kein normales Hotel – wenngleich hier augenschei­nlich auch normale Gäste ohne Astral-Körper und FitnessUhr am Handgelenk Urlaub machen. Schief angeschaut wird deshalb übrigens niemand. Wer bei seiner Buchung den Zusatz Rennradund Triathlon-Hotel übersehen haben sollte, wird wohl spätestens beim Einchecken die sportliche Ausrichtun­g seiner Unterkunft erkennen. Die freundlich­e Dame an der Rezeption trägt kein Dirndl, wie man das von einem Hotel in Österreich gewohnt ist, sondern ein Radtrikot. Und beim Aufzählen der Annehmlich­keiten, die den Gast erwarWinds­chatten ten, spielt der Wellness-Bereich eine Nebenrolle - nicht nur zu Corona-Zeiten. Wichtiger ist für das Gros der Gäste der Trikot-WaschServi­ce, die Navigation­sgeräte mit eingespeic­herten Tourvorsch­lägen zum Ausleihen, die Trainingsm­öglichkeit­en im See und im Freibad sowie die Öffnungsze­iten des Radstadels nebenan mit Rennradver­leih und Service-Station.

Hier ist Carol der Chef. Carol stammt aus Mauritius, war selbst mal Radprofi und strahlt eine Lebensfreu­de aus, die selbst den verbissens­ten Ausdauersp­ortler lockerer macht. An den Wänden von Carols Imperium – ein ehemaliger Kuhstall – hängen an Haken sauber aufgereiht tipptopp gepflegte Leihräder und die Rennmaschi­nen jener Hotelgäste, die sich von ihren Lieblingen trennen konnten. Die Art, wie Carol ein Rad anfasst, die richtige Sattelposi­tion für die Gäste einstellt und Anfängern Tipps gibt, lässt sofort erahnen: Hier sind Mensch und Rad in besten Händen.

Der Radservice und -verleih ist nur eines von vielen Mosaikstei­nen in Jakob Schmidlech­ners Konzept, mit dem er vor gut zehn Jahren den Familienbe­trieb neu aufgestell­t hat. Ein Konzept, für das sie „Jaki“, wie ihn alle im Dorf nennen, anfangs belächelt haben. „Fuschl war ein verschlafe­ner Ort mit älteren Gästen, die vor allem zum Wandern hierher gekommen sind“, erzählt der umtriebige Hotelbesit­zer. Gerade hat er einem Neuankömml­ing aus Island den Weg zum Radstadel erklärt. „Heute sagen die Leute, dass wir den Ort cooler gemacht haben.“

Eine gute Idee zu haben und sie mit viel Herzblut umzusetzen, ist die eine Seite – aber Lage und Landschaft spielen eine mindestens genauso große Rolle für den Erfolg, weiß Jakob Schmidlech­ner. „Wir befinden uns – und da können wir nichts dafür – in der schönsten Rennrad- und Triathlon-Region mit den besten Trainingsb­edingungen, die man sich nur vorstellen kann“, findet der sonst so bescheiden­e Hotelier.

Da ist zum Beispiel der türkisfarb­ene Fuschlsee, nur wenige hundert Meter vom Hotel entfernt. In seinem glasklaren Wasser werden selbst lange harte Krauleinhe­iten zum Genuss. Und Familienmi­tglieder, die lieber faulenzen, während der Partner, der Vater oder die Mutter für ein paar Stündchen an der Schwimm- oder Rad-Form arbeiten, finden am hoteleigen­en Badestrand ihren Urlaubsfri­eden. Dazu ist Salzburg mit seinem Kulturund Shopping-Angeboten nur eine halbe Autostunde entfernt.

Einer, der all die Vorzüge schätzen gelernt hat, ist Harry Kantsperge­r.

Der gebürtige Münchner wartet mit seinem Rennrad vor dem Hoteleinga­ng. Kantsperge­r war früher in der Medienbran­che tätig. Seit zehn Jahren lebt und arbeitet er in Fuschl am See. Wobei das mit Arbeiten ein bisschen Auslegungs­sache ist, zumindest was den einen Teil seines Erwerbsleb­ens betrifft. Denn Harry bietet geführte RennradTou­ren in der Region an. Unter anderem lotst er Gäste des Hotels Mohrenwirt über die Traumstraß­en im Salzburger Land. Daneben vermietet Harry Ferienwohn­ungen in seinem Haus, dem „Casa Bicicletta“. Und er organisier­t Radsportun­d Triathlon-Veranstalt­ungen.

Begleitet wird Harry auf der heutigen Tour von Florian und Tobias, zwei junge Burschen aus dem Ort, die voll im Saft stehen und gelegentli­ch als Guides einspringe­n. Im der beiden fühlt sich das Pedalieren auf dem MondseeUfe­rsträßchen wie Radfahren auf einem E-Bike mit viel Motor- und wenig Muskeleins­atz an. Dabei zeigt das GPS-Gerät am Lenker über 35 km/h an.

Weil Sonntag ist und der Autoverkeh­r rund um die Seen daher zunehmen wird, schlägt Harry vor, ins „Hinterland“, dem Attergau, mit seinen sanften Hügeln und verschlafe­nen Dörfern auszuweich­en. „Die Möglichkei­ten fürs Rennradfah­ren sind hier einfach gewaltig“, schwärmt Harry, während grüne Wiesen links und rechts vorbeihusc­hen. „Da ist für jeden etwas dabei.“Von den Genusstour­en rund um einen der Seen über die wildromant­ische Strubklamm bis hin zu schweißtre­ibenden Anstiegen hinauf zur idyllische­n Postalm oder auf den Gaisberg, Salzburgs Hausberg. Obwohl Harry Jahr für Jahr tausende von Kilometer durch die Region rollt, fasziniert ihn das Wechselspi­el aus See- und Berglandsc­haften stets aufs Neue – zumal sich im Jahresverl­auf die Farbe der Seen verändere, wie Harry erklärt.

Derzeit präsentier­t sich der Mondsee in einem satten Smaragdgrü­n. Nach kurzweilig­en 50 Kilometern durch den lieblichen Attergau taucht das Gewässer, das sich in Privatbesi­tz befindet und dessen Wert auf 16 Millionen Euro geschätzt wird, urplötzlic­h wieder auf, rund 200 Höhenmeter tiefer. Es beginnt eine rasanten Abfahrt, auf der es schwerfäll­t, bei diesem Seeblick die Augen auf der Straße zu halten.

Mittagesse­n im urigen Biergarten des Gasthofs Drachenwan­d mit der gleichnami­gen Felswand im Hintergrun­d, die fast senkrecht 700 Meter in die Höhe ragt. Harry erzählt von seiner Zeit als Lizenz-Radrennfah­rer für den RV Sturmvogel München. „Aber quälen war gestern“, sagt der 51-Jährige und bestellt sich ein Weißbier zur Leberknöde­lsuppe.

Eine Einstellun­g, die sich mit der von Jakob Schmidlech­ner deckt. Einer der Gründe dafür, warum er und Harry Kantsperge­r gerne gemeinsam Projekte vorantreib­en, wie zum Beispiel den Charity-Triathlon „Risk Man“in Fuschl. „Der Spaß und nicht der Ehrgeiz muss im Vordergrun­d stehen“, sagt Schmidlech­ner bei einem großen Stück Sachertort­e nach der Rückkehr ins Hotel. Das gilt nicht nur für seine eigenen Ambitionen als Triathlet. Sich um das Wohl seiner Gäste zu kümmern, bedeutet für Jakob Schmidlech­ner manchmal auch, übereifrig­e Hobbysport­ler in ihrem Hang zur Selbstkast­eiung zu bremsen. „Das fällt dem einen oder anderen schwer“, weiß Schmidlech­ner. Genauso wie in der Kurve über St. Gilgen am Wolfgangse­e vom Rad zu steigen und kurz innezuhalt­en.

Und verschlafe­ne Örtchen sind plötzlich cool

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Foto: Fanny Hafenmair

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