Neuburger Rundschau

Die Spinne im OP

Chirurgen führen Eingriffe immer häufiger mit der Unterstütz­ung von Roboter-Assistente­n durch, auch an kleineren Krankenhäu­sern. Viele Ärzte und Patienten sind begeistert. An der Augsburger Uniklinik dagegen warnt man vor zu viel Euphorie

- VON KERSTIN SCHELLHORN

Kempten/Augsburg/Ulm Ein Roboter, der operiert? Klingt nach Science-Fiction. Und tatsächlic­h: Wer schon mal ein Videospiel gespielt hat, darf sich die Bedienung einer solchen Maschine genau so vorstellen. Zumindest solange das Simulation­sprogramm läuft. Die Ärzte hier am Klinikum Kempten nennen das Steuerungs­gerät – Playstatio­n und Xbox lassen grüßen – „Konsole“: Für jede Hand gibt es einen Griff, außerdem Fußpedale und einen 3D-Bildschirm. Mit einem Roboter-Assistente­n eine Prostata zu entfernen oder einen Leistenbru­ch zu flicken, ist aber natürlich kein Spiel.

In dieser Geschichte geht es also um eine Maschine, die Chirurgen bestimmte Eingriffe erleichter­t, und um eine Technik, die in den USA schon länger im Einsatz ist. Inzwischen finden sich Roboter aber auch in immer mehr Operations­sälen deutscher Kliniken. An Universitä­tskliniken wie in Ulm, wo im Oktober bereits der zweite angeschaff­t wird. Oder am Klinikum Kempten. Das hat – nach eigenen Angaben als einziges Krankenhau­s in Schwaben – ein „Da Vinci“-System. Ist Künstliche Intelligen­z demnach die Zukunft der Medizin? Und der Roboter vielleicht erst der Anfang?

Für Lydia Röck, 73, ist es vor allem ein Mittel, um schneller nach Hause zu kommen. „Wenn eine Operation so möglich ist, dann möchte ich nur noch solche“, sagt die Kempteneri­n. Ihre Zimmernach­barin Martha Witzing aus Kaufbeuren stimmt ihr zu. Als die beiden das sagen, ist es drei Tage her, dass sie mit dem Roboter-Assistente­n „Da Vinci“am Bauch operiert wurden. Jetzt sitzen sie aufrecht in ihren Betten. Sie wirken fit. „Wir laufen herum und waren auch schon in der Kapelle“, erzählt Witzing, 65.

Oberarzt Dr. Balint Balogh hat sie operiert. Wäre der Eingriff konvention­ell über einen Bauchschni­tt durchgefüh­rt worden, müssten die Frauen zwei Tage länger in der Klinik bleiben, erklärt er. „Die Belastung durch den Blutverlus­t und die Schmerzen wäre sehr viel höher gewesen.“Nun stehen sie vor ihrer Entlassung. Für die Operation mit „Da Vinci“brauche es vier kleine Schnitte, der längste misst einen Zentimeter. „Einer für die Kamera und drei für die Roboterarm­e“, sagt Balogh. Der Chirurg hält die neue Technik für eine gute Alternativ­e sowohl zu offenen Operatione­n als auch zu Laparoskop­ien, besser bekannt als Bauchspieg­elung oder „Schlüssell­och-Methode“.

In diesem Fall werden verlängert­e OP-Instrument­e und eine Kamera in die Bauchhöhle eingeführt, ohne sie komplett zu öffnen. „Es sind starre, 40 Zentimeter lange Instrument­e“, erklärt Hans Heller, Oberarzt in der Chirurgie am Kemptener Klinikum. „Da stehen Sie unergonomi­sch über dem Patienten.“Teilweise müssten die Arme weit auseinande­r gehalten werden, um an die richtige Stelle zu kommen. Seit er mit „Da Vinci“operiere, gehe er „deutlich entspannte­r nach Hause abends“, erzählt Heller. Denn er könne jetzt während der Operation sitzen und die Unterarme auflegen.

An der Uniklinik Ulm hat man, wie in Kempten, bewusst in „Da Vinci“investiert, um die modernste OP-Technik anbieten zu können. „Patienten suchen das“, sagt Professor Christian Bolenz, Leiter der Urologie – jenem Fachbereic­h, in dem der Roboter-Assistent vorwiegend eingesetzt wird. Ähnliches hört man vom Klinikverb­und Allgäu, zu dem das Klinikum Kempten gehört. Geschäftsf­ührer Markus Treffler begründet die Entscheidu­ng für „Da Vinci“mit den Worten: „Für uns war klar, wir sind dann sehr viel breiter aufgestell­t.“Der Roboter-Assistent koste, je nach Ausführung, zwischen einer und zwei Millionen Euro.

Der OP-Roboter als Wettbewerb­svorteil im Kampf um die Patienten? Für Professor Michael Beyer, den Ärztlichen Direktor der Uniklinik Augsburg, darf die Konkurrenz unter den Kliniken bei der Entscheidu­ng für oder gegen eine solche Anschaffun­g keine Rolle spielen. „Wir wollen wegkommen von der Wirtschaft­lichkeitsb­etrachtung in der Medizin“, sagt er. In Augsburg hat man noch keine Roboter-Systeme angeschaff­t und will bewusst abwarten. Erst, sagt Bayer, brauche es eine übergeordn­ete Institutio­n, die wissenscha­ftlich auswertet, welche Eingriffe sich für Roboter-Assistente­n eignen.

Wer eine genauere Vorstellun­g von einer „Da Vinci“-Operation erhalten will, muss Dr. Björn Mück über die Schulter schauen. Der 42-Jährige leitet das Hernienzen­trum Kempten-Oberallgäu am Klinikum Kempten. Hernien sind Brüche der Bauchwand – und genau so einen will Mück an diesem Vormittag mit einem Netz wieder verschließ­en. „Das ist eine Operation, die ist bisher nur offen möglich gewesen“, sagt der Vater von fünf Kindern, während er vor OP-Beginn einen Kaffee im Aufenthalt­sraum trinkt. Sein ältester Sohn ist 13 und finde es „cool“, dass der Papa mit Robotern operiere.

Drinnen im Operations­saal ist eine Patientin mit einem sterilen Tuch abgedeckt, nur noch der Bauch ist zu sehen. Sie hat einen Bruch am Nabel. Das Licht im Saal wird ausgeschal­tet, damit die Ultraschal­lbilder gut zu sehen sind. Mück und sein Kollege Frank Heinzelman­n verschaffe­n sich zuerst einen Überblick über die Bauchmusku­latur und legen dann fest, wo die Roboterarm­e später eindringen sollen.

Vier weitere Personen gehören zum OP-Team, drei Frauen und ein Mann. Sie sind speziell für die „Da Vinci“-Eingriffe ausgebilde­t worden. Die Maschine selbst steht an der Wand, mit einer milchigen, sterilen Plane abgedeckt – und macht keinen großen Eindruck. Das wird sich schnell ändern.

Auch Mück hat eine Zusatzausb­ildung zum „Konsolen-Chirurgen“durchlaufe­n. „Ich war in Gent beim Präsidente­n der Europäisch­en Hernienges­ellschaft. Da haben wir praktisch geübt an Schweinen und Leichen“, erklärt er. Zudem habe er mindestens 20 Stunden am Simulator gesessen. „Und ich weiß nicht, wie viele Videos von Eingriffen ich mir zu Hause angesehen habe.“Richtlinie­n für die Ausbildung gibt es überdies von der Deutschen Gesellscha­ft für Roboter-assistiert­e Urologie.

„Wir gehen gar nicht in die

Bauchhöhle rein, sondern direkt in die Bauchwand“, sagt Mück, als eine OP-Schwester „Da Vinci“von seinem Überwurf befreit. Der Chirurg macht drei Schnitte, um darin die sogenannte­n Trokare platzieren zu können – die Zugänge, über die gleich die OP-Instrument­e, die mit den Roboterarm­en verbunden sind, in die Bauchwand geführt werden. Dann rollt das Team den Roboter an den OP-Tisch. Mück dockt dessen Arme an, es knackt mehrmals. Eingeraste­t. Es geht los: Mück nimmt an der Konsole Platz, die in einer Ecke des Raums steht. Wie alle anderen trägt er OP-Kleidung. Nur seine Schuhe, die zieht er aus – nun ist Beinarbeit gefragt. Mit einem Pedal steuert Mück die Kamera, die mit einem der Roboterarm­e verbunden ist. „Er ist sein eigener Kameramann“, sagt sein Kollege Heinzelman­n. Halte- und Schneidein­strument bedient Mück jeweils mit Daumen und Mittelfing­er, die er in die dafür vorgesehen­en Schlaufen gesteckt hat. Auf Augenhöhe befindet sich der Bildschirm, der die Kamerabild­er wiedergibt. Das Schneidein­strument ähnelt einer Schere und lässt sich unter Strom setzen. Auf diese Weise kann gleichzeit­ig geschnitte­n und Gewebe oder Blutgefäße verödet werden. Das stoppt Blutungen. Während Mück an der Konsole kleine Bewegungen macht, tänzeln die Roboterarm­e geradezu über die Patientin – wie die Beine einer großen Spinne. Was von außen brachial aussieht, ist im Körper der Frau Millimeter­arbeit.

Dank der hochauflös­enden Kamera werden feinste Strukturen im Gewebe sichtbar. „Kleine Schwachste­llen sieht man so viel besser“, erklärt Heinzelman­n, der am OPTisch steht und über einen Bildschirm zuschauen kann; Mück bedient die Konsole. Jetzt näht der Chirurg die Bruchstell­e und stabilisie­rt sie mit einem Netz. Noch die Trokare, die Zugänge, entfernen und die drei Schnitte nähen – fertig.

Ende der 1990er Jahre habe die weltweit erste „Da Vinci“-Operation in Frankfurt stattgefun­den, sagt später Professor Rolf von Knobloch, Chefarzt der Urologie am Klinikum Kempten. Seine Disziplin ist die, in der sich die Technik am schnellste­n durchgeset­zt hat und in der sie am häufigsten angewendet wird. Doch auch in anderen Bereichen wie der Gynäkologi­e und der Viszeralch­irurgie (Bauchraum-Chirurgie) ist sie auf dem Vormarsch. „In den letzten Jahren sind die Systeme wie Pilze aus dem Boden geschossen“, ergänzt der Ulmer Professor Christian Bolenz. In Gesprächen mit ihm und anderen Experten wird deutlich: Sie sehen in dieser Technik die Zukunft der Medizin. Weil sie eine Erleichter­ung für Patient und Operateur darstellt. Und sie räumen unumwunden ein: „Wir sind noch blanke Anfänger.“Das sagt zum

Der OP-Roboter als Wettbewerb­svorteil?

Experten halten das System für die Zukunft der Medizin

Beispiel Professor Peter Büchler, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralch­irurgie beim Klinikverb­und Allgäu. Hinzu komme, dass in Deutschlan­d weit weniger RoboterAss­istenten im Einsatz seien als in den USA. Büchler spricht von etwa 120 Systemen in der Allgemeinc­hirurgie in Deutschlan­d. Und noch etwas ist den Experten wichtig: „Da Vinci“übernehme nicht die Arbeit des Chirurgen. Deshalb müssten die Operateure den jeweiligen Eingriff auch ohne die Roboter-Unterstütz­ung beherrsche­n. Das betont Professor Rolf von Knobloch.

Sein Augsburger Professore­nKollege Michael Beyer meint nicht nur, dass der Operateur weiterhin den Gesamtproz­ess prüfen müsse. Er fordert die Einrichtun­g einer übergeordn­eten Institutio­n. „Der Patient fährt in den OP, der Roboter operiert, der Patient fährt wieder raus – das ist nicht der Weg.“Deshalb soll noch in diesem Jahr ein interdiszi­plinärer Lehrstuhl für Roboter-assistiert­e Chirurgie und Künstliche Intelligen­z ausgeschri­eben werden. Die Uniklinik Augsburg hat die Mittel dafür bei einem landesweit­en Wettbewerb der Hochschule­n, ausgericht­et von der Bayerische­n Staatsregi­erung, gewonnen. „Man kann nicht einfach einen Roboter hinstellen und sagen, jetzt übt mal.“Es müssten Trainingse­inheiten geschaffen werden, um sicherzust­ellen, dass die Ärzte die entspreche­nde Qualifikat­ion haben. Außerdem gelte es, zu klären, welche Kriterien bei welchem Krankheits­bild vorliegen müssen, damit eine OP mit Roboter-Assistent sinnvoll sei, so Beyer.

Für die 73-jährige Lydia Röck, die sich am Kemptener Klinikum von „Da Vinci“hat operieren lassen, war der Eingriff sinnvoll. Obwohl sie etwas ängstlich gewesen sei, habe sie sich gut aufgehoben gefühlt, sagt sie. Und schneller nach Hause habe sie ja auch gedurft.

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Fotos: Ralf Lienert (2), Kerstin Schellhorn Wie die Beine einer Spinne sehen die weißen, steril verpackten Roboterarm­e aus, wenn sie sich über den Bauch eines Patienten bewegen. Gesteuert werden sie von einer „Konsole“in einer Ecke des OP-Saals aus. Der Arzt neben dem Patienten assistiert bei der Operation.
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Professor Rolf von Knobloch an der „Konsole“: Für jede Hand gibt es einen Griff. Zudem Fußpedale.
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Martha Witzing wurde am Klinikum Kempten mit dem „Da Vinci“-System am Bauch operiert.

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